China:Geplagte Großmacht

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Die Zeit scheint günstig zu sein für Peking, um den USA den Rang in der Welt streitig zu machen. Doch China ist offensichtlich noch nicht bereit dafür.

Von Kai Strittmatter

Was für ein Jahr. "Man sagt, die Vorherrschaft des Westens komme zu einem Ende", begann am Mittwoch die Reporterin des Staatssenders CCTV ihre Frage an den chinesischen Außenminister Wang Yi. Und wenn man weiß, dass bei den großen Pressekonferenzen von Chinas Nationalem Volkskongress NVK jede Frage abgesprochen ist, konnte man das "endlich" mithören. Die Sitzung des NVK ist eine alljährliche Propagandaschau, aber in diesem Jahr schwingt mehr mit. Für Parteichef Xi Jinping sollte es ohnehin das bedeutendste Jahr seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren werden: Im Herbst steht der für ihn wichtige Parteitag an. Nun könnte es zudem noch das Jahr werden, in dem die USA - überraschend und viel früher als erwartet - Platz machen auf der Weltbühne für die Ambitionen Chinas.

Reformstau, Schulden, Zensur - das Land hat viele Probleme

Fraglich ist, ob China bereit ist. Xi Jinping hat bei seinem Amtsantritt seinem Volk einen "chinesischen Traum" verordnet: den Wiederaufstieg als große Macht. Aber das Misstrauen, das China entgegenschlägt, bei Weitem nicht nur in den USA oder in Europa, sondern auch und gerade bei seinen Nachbarn, ist trotz aller Partnerschaftsrhetorik groß. Es brauchte schon einen Donald Trump, um auf einmal China als Anker der Stabilität und Fackelträger des Freihandels dastehen zu lassen. Als Hoffnungsträger feierte die Globalisierungselite, die sich vor Kurzem in Davos zum Weltwirtschaftsgipfel traf, Xi Jinping. Die Mitglieder des Davoser Zirkels und Chinas Kommunistische Partei, sie haben im Moment tatsächlich einige Gemeinsamkeiten: Sie haben ihre Zukunft in die Globalisierung investiert, Unberechenbarkeit ist ihnen ein Graus, sie sehnen sich nach Stabilität - und sie pflanzen doch oft durch ihr Tun den Keim für zukünftige Instabilität.

Partei- und Staatschef Xi hat wohl so viel Macht auf sich vereint wie seit Jahrzehnten kein chinesischer Führer mehr. Er ist derjenige, der die einst von Deng Xiaoping dekretierte außenpolitische Zurückhaltung aufgegeben hat. Mitte Februar sagte er zum ersten Mal, China sei bereit, "die internationale Gemeinde zu führen" beim Aufbau einer "gerechteren Weltordnung". Nun hat jeder seine eigene Vorstellung von einer gerechten Ordnung. Während westliche Diplomaten bei Themen wie Klimaschutz, Vereinte Nationen oder auch Iran mit einem Mal mehr Gemeinsamkeiten mit Peking feststellen als mit Washington, wird die Kluft bei manch anderem Thema eher größer. Zunehmende gesellschaftliche Repression und Abschottung waren der Trend der ersten fünf Jahre Xi. Und so kündigte Chinas Cyberbürokratie etwa soeben an, fürs globale Internet die "chinesische Lösung" vorantreiben zu wollen: Zensur und Totalabschottung als Exportmodell, natürlich im Interesse von "Frieden und Stabilität auf der Welt".

Dabei hatte Xi sein Land in Davos als Verteidiger einer "vernetzten" Welt gepriesen. Aber nicht nur auf diesem Feld ist die Kluft zwischen Wort und Tat enorm - beim Thema Freihandel etwa hat diese Woche die Europäische Handelskammer in Peking Alarm geschlagen. Pekings "Made in China 2025"-Plan mit seiner Abschottung des heimischen Marktes, begleitet von einer staatlich gesteuerten Aufkaufwelle von Schlüsseltechnologien in Europa, drohe die Europäer mit unfairen Mitteln an die Wand zu drücken.

Xi Jinpings Reformbilanz ist bislang ernüchternd. Selbst da, wo er dringend nötige Reformen versprochen hat - in der Staatsindustrie oder beim Schuldenberg - ist kaum etwas passiert. Er selbst hat die Reformen oft ausgebremst durch die Zentralisierung der Macht und die Reideologisierung des Apparats. Xis Politik stellt Kontrolle und Gehorsam über alles, das erstickt nicht nur kritischen Geist, sondern auch vieles an Initiative im Land. Gleichzeitig gären unter der Oberfläche Chinas große Probleme weiter.

Xis vielgefeierte Antikorruptionskampagne ist nichts weiter als das: eine Kampagne, die die Wurzeln des Übels nicht angeht. Und die soziale Ungleichheit, die Kluft zwischen Arm und Reich, die so groß ist wie sonst kaum irgendwo auf der Welt? Xi hatte ihr den Kampf angesagt, aber die Kongresssitzungen in Peking diese Woche sind auch hier vielsagend: Die 200 reichsten Delegierten kommen zusammen auf ein Vermögen von umgerechnet 500 Milliarden US-Dollar, das kommt der Wirtschaftsleistung von Schweden nahe. Und die 100 reichsten Abgeordneten, das hat der Shanghaier "Hurun-Report" errechnet, haben ihr Vermögen seit Xi Jinpings Amtsantritt gar um 64 Prozent vermehrt. In diesem Parteitagsjahr, hört man allerorten, sei erst recht an keiner Front mit Reformen zu rechnen. Wegen der Stabilität. Als ob nicht anders herum gilt: Reformstillstand gebiert Instabilität.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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