China:Black Box

Die Welt soll China vertrauen, so will es die Pekinger Führung. Doch ihre Wirtschaftspolitik verwirrt zunehmend Investoren, Analysten, Handelspartner und Volk.

Von Kai Strittmatter, Peking

Erst einmal war Schweigen. Chinas Börse erlebte am Montag und Dienstag den größten Absturz seit 1996, aber im Parteiblatt Volkszeitung las man kein Wort dazu. Am Mittwoch schließlich meldete sich Chinas Premier Li Keqiang doch noch zu Wort. Er nannte die weltweite Wirtschaftslage "verwirrend", versicherte aber, seine Regierung habe die "richtigen Instrumente", um ihre Ziele zu erreichen. Wenn das stimmt, dann haben sie die Instrumente gut versteckt in den letzten Wochen. Am Mittwoch immerhin bremste sich die Talfahrt der Shanghaier Börse etwas ab, nachdem Chinas Notenbank zuvor die Zinsen gesenkt hatte.

Ein angeblich kommunistisches Land, in dem der Kapitalismus in schrägen Ausprägungen fröhliche Urstände feiert: China ist ein Reich der wildesten Widersprüche, und es ist lange erstaunlich gut damit gefahren. Nun aber stößt das Modell an seine Grenzen. Die Wirtschaft soll wachsen: Aber da prallt die Notwendigkeit von wirtschaftlicher Liberalisierung auf den Wunsch der Partei nach immer größerer Kontrolle. Die Welt soll China vertrauen - es ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt -, aber in Peking ist die Wirtschaftspolitik eine Black Box. Investoren, Analysten, Handelspartner, aber auch das eigene Volk haben keine Ahnung, nach welchen Mechanismen dort entschieden wird.

Die Propaganda ermunterte Kleinanleger, ihr Geld in Staatsunternehmen zu stecken

Das war so lange kein Problem, wie die Wirtschaft brummte und viele Beobachter in den Parteiführern die Weisen von Peking sahen, denen alles gelang. Das ist seit ein paar Wochen vorbei, und das ist für Peking ein Problem, weil Vertrauen und Glaubwürdigkeit Schlüsselwörter sind. Und davon hat Peking viel eingebüßt. "Die Leute glauben nicht mehr an Chinas Wirtschaftsführung", schrieb diese Woche der Blogger und Ökonom Christopher Balding, der als Professor an der Peking-Universität lehrt: "Die Märkte, egal ob in China oder im Ausland, haben keinerlei Vertrauen mehr in irgendetwas, was Chinas Zentralbank oder andere sagen oder tun."

Klar ist: Der Kollaps der Börse ist erst einmal kein Kollaps der chinesischen Wirtschaft. Der Absturz an den Aktienmärkten in Shanghai und Shenzhen war eigentlich absehbar und logisch, die notwendige Korrektur einer absurden Blase. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Aktien in Shanghai lag am Ende bei 70 zu 1, mehr als das Dreifache des weltweiten Durchschnitts. Das Problem ist also nicht, dass die Börsen in den Keller rutschten. Das Problem ist vielmehr, wie die Börse sich so aufblähen konnten - nämlich erst durch die kräftige Propaganda der Staatsmedien. Die ermunterte Millionen Kleinanleger, ihr Geld in überbewertete, verschuldete, intransparente Staatsunternehmen zu stecken, und dabei der Propaganda zu glauben, die allmächtige Partei halte schützend ihre Hand über sie. Das zweite Problem ist, wie der Staat auf den Absturz reagierte: konfus und panisch, mit dem Versuch, durch staatliche Intervention den Absturz aufzuhalten, ein Versuch, der kläglich scheiterte. Bei Chinas Kleinanlegern hat die Regierung gleich doppelt an Ansehen verloren.

Das macht Beobachter nervös: Sie sehen, wie der KP die Dinge entgleiten, und sie vermuten hinter dem Chaos die Sorge Pekings um die Entwicklung der Gesamtwirtschaft. Kommen wirklich sieben Prozent Wachstum in diesem Jahr zustande, wie angekündigt? Was ist überhaupt von Pekings Zahlen und Statistiken zu halten? "Wie eine Maschine funktioniert, sieht man am besten, wenn sie einen Maschinenschaden hat", schreibt Barry Naughton von der University of California in San Diego in einer Analyse der chinesischen Wirtschaft. Und es wird immer deutlicher: Das alte Gefüge zwischen dem Anspruch totaler politischer Kontrolle und den Anforderungen einer immer differenzierteren, modernen Wirtschaft gerät aus der Balance.

Die Staatsunternehmen sollen ihre "dominante Rolle" behalten

Die Tatsache, dass China langsamer wächst als in den Boomjahren, wäre erst einmal kein Problem: Das alte Wachstumsmodell, das auf Staatsinvestitionen, Schwerindustrie und Massenfertigung basierte, und das Überkapazitäten, Fehlinvestitionen, Verschuldung und Umweltzerstörung mit sich brachte, ist am Ende. Chinas Wirtschaft muss sich wandeln: Nur mehr Dienstleistung und mehr Konsum schaffen das Wachstum der Zukunft. Aber der Wandel gelingt nur, wenn Peking zu schmerzhaften Reformen bereit ist. Reformen, die die Partei 2013 auf ihrem dritten Plenum eigentlich versprochen hatte.

Die Märkte sollten in Zukunft eine "entscheidende Rolle" bei der Verteilung der Ressourcen spielen, hatte es damals geheißen. Gleichzeitig fand sich in dem Papier allerdings der Satz, die Staatsunternehmen sollten ihre "dominante Rolle" behalten. Zwei widersprüchliche Vorhaben. In chinesischer Dialektik geschulte Optimisten setzten vor zwei Jahren auf den Vormarsch der Märkte - und wurden enttäuscht. Die Staatsindustrie bleibt bislang unangetastet, auch bei der Lösung der Schuldenkrise der Lokalregierungen machten Parteichef Xi Jinping und Premier Li Keqiang einen Rückzieher. Die beiden haben in der Partei offenbar mächtige Gegner.

Der Widerstand gegen Reformen übersteige "jede Vorstellungskraft", klagte die Volkszeitung letzte Woche. Xi Jinpings Strategie der vergangenen beiden Jahre war: noch mehr Kontrolle, die Macht noch mehr zentralisieren. Das hat dazu geführt, dass nicht mehr wie früher der Premier, sondern der Parteichef als Lenker der Wirtschaft dastand. Seine Gegner werden dies in Zeiten schlechter Nachrichten gegen ihn zu nutzen versuchen.

Xi Jinping, Li Keqiang

Parteichef Xi Jinping (links) hat die Macht über die Wirtschaft seinem Premier Li Keqiang entzogen.

(Foto: Andy Wong/AP)
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