Chemikalien-Lieferungen:Ausgerechnet nach Syrien

Pictures of Syria's President Assad and his father hang from a government building in Deraa

An einem Regierungsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus hängen Porträts von Baschar al-Assad (li.) und seinem Vater Hafiz al-Assad

(Foto: REUTERS)

Die Lieferung von Chemikalien an Diktaturen ist immer verdächtig - weil Zweifel, dass sie zur Herstellung von Giftgas verwendet werden könnten, nie ganz zu beseitigen sind. Das ist derzeit in Syrien der Fall. Doch bereits vor 20 Jahren stand Deutschland deshalb unter internationaler Kritik.

Von Hans Leyendecker

Der deutsche Frachter German Senator hatte gerade einige Container im zyprischen Larnaka gelöscht, da kam die Eilnachricht aus der Heimat: Die Ladung, die mit einem Zubringer-Schiff nach Syrien geschafft werden sollte, müsse sofort wieder an Bord geholt werden. German Senator müsse die Fracht nach Singapur schaffen. An Bord waren unter anderem 225 Fässer, die mit der Chemikalie Trimethylphosphit gefüllt waren. Der Stoff wird normalerweise bei der Herstellung von Mitteln zur Synthese von Insektiziden verwendet. Aber das Bundeswirtschaftsministerium hatte Alarm geschlagen, weil der Stoff auch als Vorprodukt zur Herstellung von Nervengas taugt. In Syrien, das war bekannt, gab es solche Giftgasküchen.

Der Verkäufer der Ware war ein indisches Unternehmen, der Käufer eine den westlichen Nachrichtendiensten einschlägig bekannte syrische Firma namens Setama, und eigentlich war nur die Reederei, die den Transport durchgeführt hatte, ein deutsches Unternehmen. Aber die Bundesregierung, die sich auf Expertisen deutscher und amerikanischer Geheimdienste stützte, war höchst alarmiert.

Die Geschichte ereignete sich am 6. August 1992. Damals stand die Bundesregierung international unter härtester Kritik, weil alle Welt wusste, dass deutsche Unternehmen nicht nur Saddam Hussein ausgestattet, sondern auch die Libyer hochgerüstet und im Iran mitgeholfen hatten. "Auschwitz in the sand", hatte William Safire in der New York Times über die deutsche Giftgasfabrik in Rabita geschrieben.

Gehen Geschäftemacher wieder über Leichen?

Sind die Deutschen nach all der Zeit wieder rückfällig geworden? Gehen Geschäftemacher wieder über Leichen? Riskieren sie wegen des Profits, dass am Ende Lieferungen aus Deutschland nach Syrien zur Herstellung von Giftgas verwendet wurden?

Das sind die drei wichtigsten Fragen, die sich um die Genehmigung der Lieferung von 111 Tonnen sensibler Chemikalien in den Jahren 2002 bis 2006 nach Syrien drehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erklärt, es gebe derzeit keine Hinweise, dass mit den Stoffen das Nervengas Sarin produziert worden sei.

Wer die deutschen Lieferanten, wer die syrischen Empfänger waren, darüber schweigt die Bundesregierung. Auch auf Nachfragen gab das Bundeswirtschaftsministerium keine Auskunft. Weder Wolfgang Clement (SPD) noch Michael Glos (CSU), die in der fraglichen Zeit das Ministerium leiteten, reagierten auf Anfragen. Werner Müller, bis Oktober 2002 im Amt, wollte keine Stellung nehmen. Aus gut informierten Kreisen ist aber zu erfahren, dass die Chemikalien nicht von einem, sondern von mehreren deutschen Unternehmen geliefert wurden, darunter ist mindestens ein sehr bekannter Konzern. Keine Klitschen sind unter den Lieferanten.

Auch wollen Geheimdienste herausgefunden haben, dass "fast alle Global Player aus vielen Ländern", wie ein Informant sagt, solche Chemikalien nach Syrien geliefert hätten. Bei den Empfängern der Ware handele es sich nicht um zweifelhafte Firmen, wie es damals das Unternehmen Setama war, sondern um "ordentliche Firmen" in Syrien. Es sei "durchaus glaubhaft", dass die Chemikalien, wie behauptet, für zivile Zwecke verwendet worden seien. Auch habe Syrien enge Kontakte zu Russland gepflegt, das bei den vier oder fünf Giftgasfabriken in Syrien die Bauleitung gehabt haben soll. Deshalb spreche "einiges dafür", dass auch die Chemikalien für diese Fabriken aus Russland stammten.

Klar ist: Es gab in Deutschland eine Zeit, da durfte dem Export um jeden Preis nichts im Wege stehen. Als UN-Inspekteure nach dem ersten Golfkrieg Saddams Waffenschmieden inspizierten, stießen sie, egal ob bei den Giftgasküchen in Samarra, den Fabriken zur Verlängerung der Reichweite der Scud-B-Rakete, beim Atomprogramm, bei der Superbombe und sogar bei den Kanonen in Tadschi auf deutsche Lieferanten. Und fast immer waren Dual-Use-Waren geliefert worden, die sowohl zivil als auch militärisch einsetzbar sind. Eine Kontrolle gab es nur auf dem Papier.

Todesfabrik oder Anlage zur Herstellung von Pestiziden?

Die Todesfabriken in Samarra etwa waren als Mehrzweckanlagen für die Herstellung von Pestiziden deklariert worden. Damals gab es ein Bundesaufsichtsamt für Wirtschaft in Eschborn, in dem zweieinhalb Sachbearbeiter rund 120.000 Meldungen über Einfuhren radioaktiver Stoffe wie Kobalt 60 oder Tritium prüften. Der Präsident der Behörde erklärte, er leite das Bundesamt für Wirtschaft und nicht gegen die Wirtschaft, und Lorenz Schomerus, Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium sagte später: An "scharfen Kontrollen gab es kein Interesse".

Inzwischen heißt die Behörde in Eschborn "Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle" (BAFA). Rund 200 der etwa 700 Mitarbeiter kümmern sich um solche Überprüfungen. 2012 zum Beispiel, so eine erste, interne Auswertung, hat das BAFA in 9000 Fällen den Export von Dual-Use-Gütern genehmigt. Und beim Zollkriminalamt, das vor dem deutschen Nahost-Skandal noch Zollkriminalinstitut hieß, hat sich die Zahl der Mitarbeiter mehr als vervierfacht. Das ZKA ist unter anderem für Betriebsprüfungen und auch Ermittlungen in Sachen Proliferation zuständig.

Das alles heißt nicht, dass die Lieferung von Chemikalien nach Syrien auf keinen Fall irgendetwas mit der Herstellung von Giftgas wie Sarin zu tun haben kann. Es meint nur, dass es nicht wahrscheinlich ist.

Für diese These spricht nicht allein die Zahl potenzieller Kontrolleure, sondern das veränderte Risikobewusstsein der Industrie. Ähnlich wie nach den Korruptionsaffären Compliance-Abteilungen eingerichtet wurden, die für die Einhaltung von Recht und Gesetz zumindest formal zuständig sind, wurden nach den Rüstungsskandalen selbst in kleineren Unternehmen Abteilungen geschaffen, die sich ums Risiko bei Exporten kümmern.

Die Beihilfe zur Herstellung von Giftgas wäre nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine wirtschaftliche Torheit: Der Image-Schaden bei Entdeckung würde in keinem Verhältnis zum erzielten Profit stehen. Es gibt Unternehmen, die in manchen Ländern Afrikas keine Geschäfte mehr machen, um nicht in Schmiergeld-Verdacht zu geraten. Vielleicht hätten die anständigen Chemielieferanten ihre Stoffe besser nicht nach Syrien verkauft. Sicher ist sicher.

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