Chef der deutschen Atomlobby im Interview:"Wir brauchen ab 2020 neue Kernkraftwerke"

Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums, heizt die Debatte um die Zukunft der Atomkraft weiter an. Er kann sich mittelfristig neue Meiler für Deutschland vorstellen.

Thorsten Denkler

Walter Hohlefelder war bis März 2008 Vorstandsmitglied des Energieriesen Eon. Seit April 2004 führt Hohlefelder als Präsident die Lobbyorganisation Deutsches Atomforum.

Das Atomkraftwerk Biblis in Hessen. Es gehört zu den AKW, die als besonders störanfällig gelten. Foto: ddp

Das Atomkraftwerk Biblis in Hessen. Es gehört zu den AKW, die als besonders störanfällig gelten.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Herr Hohlefelder, sie vertreten die berühmt-berüchtigte Atomlobby und gelten als gefürchtetster Lobbyist in Berlin. Wie lebt es sich mit diesem Ruf?

Walter Hohlefelder: Sehr gut. Es gibt für die erneuerbaren Energien ebenso Lobbyverbände wie für die Kernenergie. Insofern ist das eine ehrenwerte Angelegenheit.

sueddeutsche.de: Nicht so bescheiden. Sie haben es geschafft, in relativ kurzer Zeit einen Stimmungswandel zugunsten der Atomkraft herbeizuargumentieren.

Hohlefelder: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass wir das geschafft haben. Es kommen hier objektive Kriterien zum Tragen.

sueddeutsche.de: Welche?

Hohlefelder: Das ist einmal das Thema Klimaschutz. Wer den ernst nimmt, der kommt um die Kernenergie nicht herum. Dann haben wir den rasanten Ölpreisanstieg, an den der Gaspreis ja gekoppelt ist. Das treibt die Diskussion unter dem Aspekt Versorgungssicherheit. Wenn wir aus der Kernenergie aussteigen würden, würde das den Strom noch viel teurer machen.

sueddeutsche.de: Auch Uran wird teurer.

Hohlefelder: Aber der Anteil des Rohstoffes an den Erzeugungsskosten für Atomstrom beträgt nur etwa fünf Prozent. Wenn sich die Brennstoffkosten erhöhen, wirkt sich das praktisch nicht auf diesen Preis aus. Das ist bei Gas, Öl und Kohle ganz anders.

sueddeutsche.de: Der Strompreis für den Endverbraucher wird nicht vom günstigsten Kraftwerk, sondern vom teuersten zur Stromversorgung nötigen Kraftwerk bestimmt, den sogenannten Grenzkraftwerken. Heißt: Die Stromwirtschaft verdient noch mehr am billigen Atomstrom - und der Verbraucher zahlt weiter hohe Preise.

Hohlefelder: Ohne Kernenergie in unserem Energiemix würde sich der Preis erhöhen, da dann in der Stromerzeugung teurere Kraftwerke "früher" - vereinfacht gesagt heißt dies "öfter" - ans Netz gehen müssten. Damit verschiebt sich in der Regel auch der Preis des von Ihnen angesprochenen Grenzkraftwerkes nach oben.

sueddeutsche.de: Atomenergie sichert derzeit gerade mal drei Prozent des weltweiten Energiebedarfes. So wichtig scheint Ihr Energieträger nicht zu sein.

Hohlefelder: Sie sprechen von Energiebedarf. Wir reden von der Stromproduktion. Da decken wir 17 Prozent des weltweiten Strombedarfs ab und vermeiden so den Ausstoß von 2,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Das ist kein Pappenstiel. Allein in Deutschland vermeiden die Kernkraftwerke Jahr für Jahr soviel CO2 wie im gesamten deutschen Straßenverkehr jährlich emittiert wird.

"Wir brauchen ab 2020 neue Kernkraftwerke"

sueddeutsche.de: Sie erwähnen nicht, dass Atomkraftwerke einen Großteil der erzeugten Energie als ungenutzte Wärme in die Luft pusten, die andere erst mit fossilen Brennstoffen produzieren müssen. Das ist ziemlich ineffizient und verändert ihre CO2-Bilanz dramatisch.

Chef der deutschen Atomlobby im Interview: Chef-Lobbyist der Atom-Industrie: Walter Hohlefelder.

Chef-Lobbyist der Atom-Industrie: Walter Hohlefelder.

(Foto: Foto: eon)

Hohlefelder: Das ist nicht so. Kernkraftwerke vermeiden CO2, weil sie so laufen, wie sie laufen. Wir vergleichen unsere Art der Stromerzeugung mit der fossilen Stromerzeugung.

sueddeutsche.de: Ist das nicht etwas zu eng? Ein dezentral organisiertes Netz von gasbefeuerten Kraft-Wärme-Kopplung-Kraftwerken, die Strom und Wärme nutzbar machen, hat unterm Strich eine bessere CO2-Bilanz als ein Atomkraftwerk. Sie könnten die Kernkraft ja auch damit vergleichen.

Hohlefelder: Natürlich kann man mit der Kraft-Wärme-Kopplung noch weiteres Potential heben. Das ist richtig. Aber die Wärme wird von Haushalten lediglich im Winter genutzt. Ist der Wärmeabsatz nicht kontinuierlich gegeben, kann etwa die Bilanz einer KWK-Anlage gegenüber der Kombination aus einem reinen Stromerzeugungskraftwerk mit einem zusätzlichen Wärmekraftwerk durchaus negativ ausfallen.

sueddeutsche.de: Was noch für Kraft-Wärme-Kopplung spricht, ist, dass sie keine Endlager benötigt - anders als bei abgebrannten Brennstäben. Welchem Politiker wollen Sie empfehlen, mit der Forderung nach einem Endlager in seinem Wahlkreis in die Bundestagswahl zu ziehen?

Hohlefelder: Wir haben mit Schacht Konrad ein Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Abfall im Bau. Es wird bis 2013 fertiggestellt sein und 90 Prozent des Volumens aller in Deutschland anfallenden nuklearen Reststoffe aufnehmen. Bei den hochradioaktiven Abfällen müssen wir die Erkundungen des Salzstockes in Gorleben zu Ende führen. Bislang spricht auch aus Sicht der Bundesregierung nichts gegen eine mögliche Eignung. Dann hätten wir auch hier eine Lösung.

sueddeutsche.de: Wenn es so bleibt - politisch durchsetzbar wäre es aber auch dann nicht ohne weiteres.

Hohlefelder: Das denke ich schon. Wir haben ja ein Moratorium für Gorleben über maximal zehn Jahre. Das läuft spätestens Ende 2010 aus. Dann soll das Projekt weitergeführt werden. Insofern gibt es einen politischen Konsens.

sueddeutsche.de: Die Atomindustrie sagt, die deutschen Atomkraftwerke seien sicher. Ist nicht davon auszugehen, dass es 100-prozentige Sicherheit nicht gibt?

Hohlefelder: 100-prozentige Sicherheit gibt es nie. Wir haben aber die höchsten Sicherheitsstandards weltweit. Da muss man sich die Frage stellen, warum wir ausgerechnet diese Kraftwerke abschalten?

sueddeutsche.de: Weil wir mit gutem Beispiel vorangehen?

Hohlefelder: Jürgen Trittin ...

sueddeutsche.de: ... unter Kanzler Schröder grüner Umweltminister ...

Hohlefelder: ... hat bei der Unterzeichnung der Kernenergieverständigung gesagt, der deutsche Ausstieg sei beispielgebend für die ganze Welt. Und was ist passiert? Auf der ganzen Welt werden neue Kernkraftwerke gebaut. Wenn wir da bei den Sicherheitsstandards mitreden wollen, geht das nur, wenn wir eigene Kernkraftwerke betreiben. Sonst werden wir nicht ernst genommen.

sueddeutsche.de: Da müssten Sie doch eigentlich auch neue Atomkraftwerke wollen?

Hohlefelder: Die Frage stellt sich in Deutschland auf absehbare Zeit nicht. Wenn es eine Laufzeitverlängerung gibt, dann haben wir eine ausreichend große Stromreserve. Allerdings sollte man die Option auf neue Kernkraftwerke auf lange Sicht nicht aufgeben.

sueddeutsche.de: Sie wollen die Option nicht aufgeben, obwohl wir keine neuen Atomkraftwerke brauchen?

Hohlefelder: Weil wir sie im Moment nicht brauchen.

sueddeutsche.de: Wann brauchen Sie denn neue Atomkraftwerke?

Hohlefelder: Ich würde mal sagen: irgendwann in den zwanziger Jahren.

sueddeutsche.de: Dieses Jahrhunderts?

Hohlefelder: (lacht) Dieses Jahrhunderts, ja.

"Wir brauchen ab 2020 neue Kernkraftwerke"

sueddeutsche.de: Sie hoffen doch nur darauf, dass eine schwarz-gelbe Koalition von 2009 an den Atomkonsens rückgängig macht.

Hohlefelder: Für mich ist das eine Frage der Rationalität, gleich in welcher politischen Konstellation. Wenn es rational zugeht, wird jede politische Konstellation zu einer Neubewertung kommen.

sueddeutsche.de: Wenn alles so gut ist, warum gibt es dann nur eine gefühlte und von Ihnen herbeigeredete Renaissance der Atomenergie? Faktisch nimmt der Atomkraft-Anteil an der Stromerzeugung ja ab.

Hohlefelder: Das sehe ich nun überhaupt nicht. Es führt doch kein Weg daran vorbei, dass wir in Asien einen massiven Ausbau der Kernenergie haben. In den USA wird neu gebaut. Beide Präsidentschaftsbewerber dort haben sich für die Atomkraft ausgesprochen. Rund um uns herum kommt die Kernkraft wieder. Die Finnen tun es, die Franzosen sowieso. Großbritannien setzt es konkret um. In der Schweiz sollen drei Kernkraftwerke gebaut werden. Italien hat seinen Widerstand gegen die Kernenergie aufgegeben.

sueddeutsche.de: Derzeit befinden sich weltweit höchstens 30 Kernkraftwerke konkret im Bau. Um aber den heutigen Anteil an der Stromerzeugung zu halten, müssten jährlich elf neue Kernkraftwerke dazukommen - und zeitgleich über 60 im Bau sein. Das sagen Energiemarkt-Analysten der schweizerischen Bank UBS.

Hohlefelder: Einmal abgesehen davon, dass sich der weltweite Stromverbrauch bis 2030 gegenüber dem Jahr 2004 nahezu verdoppeln könnte: Der Chef der Internationalen Energieagentur sagt, es seien 32 neue Kraftwerke pro Jahr notwendig. Und in dieser Größenordnung ist schon in den sechziger und siebziger Jahren gebaut worden. Technisch geht das.

sueddeutsche.de: Selbst die atomfreundliche Internationale Energieagentur kommt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Atomkraft an der Stromproduktion trotz einer Handvoll neuer Meiler sinken wird. Und am Ende reicht ein GAU irgendwo auf der Welt, um Ihnen alle Zukunftsträume kaputtzumachen. Ist das in Ihrer Planung mit drin?

Hohlefelder: Noch einmal, wir haben in Deutschland die sichersten Kernkraftwerke weltweit. Das Restrisiko ist so gering, dass man hier nicht von einem größeren Störfall ausgehen kann. Ich muss allerdings auch sagen, dass es einige Schwellenländer gibt, wo die Frage angebracht ist, ob sie Kernkraftwerke auch nach unseren Standards betreiben würden. Hier wird sehr deutlich: Bei einem Ausstieg würden wir unsere Mitsprache in der Debatte um internationale Standards verlieren. Das kann nicht in unserem Interesse liegen.

sueddeutsche.de: Schon ein kleiner Unfall in Europa würde doch reichen, Ihre Strategie zunichtezumachen. Noch mal eine Fast-Kernschmelze wie im schwedischen Forsmark oder Zwischenfälle wie in den deutschen AKW Brunsbüttel und Krümmel dürfte sich die Atomlobby kaum erlauben können.

Hohlefelder: Zunächst mal: Krümmel war kein Unfall, sondern ein sicherheitstechnisch nicht relevantes Ereignis. Das war ein Kommunikationsfehler.

sueddeutsche.de: Hat ja gereicht, um Ihnen das Leben schwerzumachen.

Hohlefelder: In den Umfragen hatten wird danach einen kleinen kurzfristigen negativen "Knick". Aber die Grundtendenz, dass in Deutschland die Zustimmung zur Kernenergie wächst, hat sich dadurch nicht geändert.

sueddeutsche.de: Dann ist den Menschen ihre Geldbörse doch wichtiger als ihre Sicherheit.

Hohlefelder: In Deutschland ist das kein Gegensatz.

Am morgigen Mittwoch auf sueddeutsche.de: Die Antwort des ehemaligen Umweltministers Jürgen Trittin.

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