Charlotte, North Carolina:"Ich mag Deinen Hut"

Sim-City-Büroviertel und endlose Excel-Listen.

Von Bob Summers

Charlotte. Es regnet. Downtown Charlotte ist sehr geschäftsmäßig und wirkt wie eine Miniaturausgabe des Financial District in Manhattan. Nur dass man die Hochhäuser hier an drei Händen abzählen kann. Irgendeinem Sim-City-Spieler muss langweilig geworden sein und hat dann mal eine richtige Stadt bauen wollen. Alles sehr clean hier.

Charlotte, NC

Das Bankenviertel von Charlotte, North Carolina.

(Foto: Foto: Reuters)

"I like your hat"

Nach einigem Suchen finde ich endlich einen Starbuck's mit Internet Service. Eine der Damen schiebt mir meinen Medium Sized Cappuccino im Pappbecher über den Tresen und strahlt mich an: "I like your hat and sticker!"

Mit ihrer Unterstützung für Kerry steht sie im Laden nicht alleine, und wir unterhalten uns über dieses und jenes und dass NC wohl leider für Bush stimmen wird. Auch der Cop, der in den Shop tritt, grinst. Ich bin mir aber nicht sicher, warum. Mein Auto ist es nicht, es steht im Parkhaus.

Ganz so Bush ist NC auch wieder nicht, wie ich immer mehr feststelle. Nur: Mit paarundvierzig Prozent wird es wohl nicht reichen.

Ich fahre die Third Street bis South King Drive, lasse den Business District hinter mir und befinde mich wieder in einer recht bunten Gegend, mit Community College, Wohnviertel, kleinen Restaurants und Geschäften. Es ist nicht mehr ganz so clean.

In einem alten aufgelassenen Radiosender, im Schatten des Sendemasts befinden sich das Hauptquartier der Demokraten in Charlotte. Nick und Tamy freuen sich über jede Unterstützung. Ich huste schon seit Tagen ziemlich eindrucksvoll, und so werde ich nicht zum Telefonieren eingeteilt.

"Ich mag Deinen Hut"

Stattdessen darf ich die kommentierten Listen von den Telephone Bankern auswerten. Es sind die bereits bekannten Listen der Wahlregister, mit Anmerkungen zu den Wählern, die bereits von der Campaign angerufen wurden. Keine Ahnung, wer sich für diese Daten interessieren wird, aber was soll's.

Ich sitze also da und zähle: Wie viele Personen einer Liste wurden kontaktiert, wie viele brauchen einen Fahrdienst am Wahltag, wie viele Briefwähler, wie oft wurde auf den Anrufbeantworter gequatscht, wie oft haben sich Wähler pro Bush oder pro Kerry ausgesprochen.

Die Liste enthält nur solche Wähler, die als Democrats oder Independants registriert sind. Die Kommentare geben daher nur ein unvollständiges Bild ab.

Meine Auswertung ähnelt gelegentlich der Lektüre des Kaffeesatzes. Ich spreche Nick drauf an. Ja, mit dem Einsatz von Freiwilligen gibt es hin und wieder ein Qualitätsproblem: Man kann die Anweisungen noch so deutlich machen: Sometimes, they just don't listen! Aber: "So what!"

"Ich mag Deinen Hut"

Aus vielen Kommentaren spricht der Alltag des Canvassing: "Ich wähle keinen dieser Hurensöhne" zitiert ein Volunteer einen Senior Citizen, einen demokratischen Rentner. Auch das Alter der Wähler steht in der Liste. Auch wenn Leute die Schnauze voll haben von den ewigen Anrufen.

Etliche Stunden später bin ich mit dem Stapel durch und habe die Ergebnisse fein säuberlich in eine Excel-Liste eingetragen. Wunderbar. Und was wird nun damit? Keine Ahnung. Aber es sieht gut aus.

Ich fahre zurück zu meiner Schwester, und an der Auffahrt zur Interstate 277, einer Umgehung des Stadtzentrums sehe ich endlich, wonach ich schon so lange Ausschau gehalten habe. Auf dem Grünstreifen neben der Auffahrt steht ein begeisterter Kerry/Edwards-Fan.

Auf seinem Rücken trägt er eine monströse Konstruktion mit einem knapp ein Meter hohem Kerry-Schild. Mit beiden Händen schwingt er eine riesige US-Fahne. Ein Hupkonzert begleitet das Ganze. Die Gesten der Autofahrer sind vielfältig: obszöne Gesten, Daumen oben, Daumen unten und natürlich: Das V für Victory!

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