Chaoswahl bei Hamburgs SPD:Der Staatsanwalt ermittelt

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Bei der parteiinternen Wahl zum SPD-Herausforderer von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust sind plötzlich 1000 Briefwahlzettel verschwunden. Die Partei steht nun ohne Spitzenkandidaten da - und auch die Polizei war schon im Haus.

Arne Boecker

Als alles in Trümmern lag, sprach der Hamburger SPD-Chef von einem ,,kriminellen Akt''. Seine Stellvertreterin machte ,,bestimmte Formen der Manipulation'' aus, gegen die offensichtlich ,,kein Kraut gewachsen'' sei. Ausgeleuchtet für Fernsehkameras und angeblitzt von Fotografen, war auch noch in der letzten Reihe zu erkennen, wie blass und erschrocken Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt aussahen. Um ihre Gefühle zu beschreiben, türmte Stapelfeldt die Begriffe ,,Entsetzen'', ,,Bestürzung'' und ,,Fassungslosigkeit'' aufeinander.

Bis Sonntagabend, 18 Uhr, suchte die Hamburger SPD einen Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl im Februar 2008. Mathias Petersen oder Dorothee Stapelfeldt?, lautete die Frage. Seit Sonntagabend, 18Uhr, sucht die Hamburger SPD knapp 1000 Briefwahl-Stimmen. Sie sind zwar in der Parteizentrale angekommen, aber als sie ausgewertet werden sollten, waren sie verschwunden. Die Affäre wirft ein Schlaglicht auf den Zank, der den Landesverband seit langem lähmt.

Mit fast zweistündiger Verspätung stahlen sich Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt am Sonntag um 21.20Uhr auf das Podium im ersten Stock des Kurt-Schumacher-Hauses. Als Petersen bekanntgab, dass die Befragung der Mitglieder nicht beendet werden kann, weil Briefwahl-Stimmen fehlen, ließ das Parteivolk alle hanseatische Zurückhaltung fahren, rief ,,Scheißladen!'', stöhnte ,,Höllehöllehölle!'' und verlangte ,,Rücktritt!'' Auf dem schmalen Balkon erinnerten SPD-Mitglieder daran, dass der lokale Fernseh-Sender Hamburg1 zwei Tage zuvor eine Abstimmung im Internet gestoppt hatte. In kurzer Zeit waren 20 000 Stimmen für Petersen eingetrudelt. Das erschien den Fernsehmachern nicht geheuer. ,,Was wollt ihr denn damit sagen?'', giftete ein Zuhörer. Antwort bekam er nicht.

Der Rest war futsch

Fix reagierte der SPD-Distrikt Barmbek-Uhlenhorst-Hohenfelde. Wenige Minuten nachdem Petersen und Stapelfeldt das Scheitern schamhaft eingestanden hatten, reichte der Vorstand im Kurt-Schumacher-Haus eine sechszeilige Mitteilung herum. Er forderte darin ,,den sofortigen Rücktritt des Geschäftsführers Walter Zuckerer''. Der, so die Barmbeker, Uhlenhorster und Hohenfelder, trage die ,,organisatorische Verantwortung'' für die Peinlichkeit. Jemand rief, man müsse jetzt ,,den Henning'' zurückholen. ,,Der Henning'' heißt mit Nachnamen ,,Voscherau''. Zwischen 1988 und 1997 hatte er Hamburg als Bürgermeister mit harter Hand regiert.

Je weiter der Pegel in den Bierflaschen sank, desto lauter wurden die Diskussionen. Gegen 22Uhr erbarmten sich ein paar Parteiarbeiter und stöpselten die Kaffeemaschine wieder ein, die in Erwartung eines pünktlichen Resultats schon weggestellt worden war. Eingewickelt in gelbes Papier, ragte ein Blumenstrauß aus dem schmutzigen Geschirr. Schon längst hätte ihn der Sieger oder die Siegerin schwenken sollen. Irgendwer hatte den Strauß in einem wassergefüllten Becher abgestellt und vergessen. Auf dem knallroten Becher stand: ,,Die Zukunft der SPD steht nicht im Kaffeesatz.''

Aber wie haben es 1000 Briefwahl-Stimmen geschafft, dem großen Houdini gleich aus einer mehrfach gesicherten Kiste zu verschwinden? Erste Recherchen mehrten die Rätsel, anstatt sie zu lösen. Nach Auskunft von Geschäftsführer Walter Zuckerer sind 1459 Briefwahl-Umschläge in der Parteizentrale angekommen. Computer haben ihre Nummern registriert, und die leeren Umschläge sind auch noch vorhanden.

Das Befüllen der Kiste mit den Briefwahl-Zetteln im Kurt-Schumacher-Haus hätten ,,zwei Mitarbeiter vorgenommen'', sagte Zuckerer, manchmal seien es auch drei gewesen. Die Kiste habe man abgesperrt, der Schlüssel sei in den Tresor gelegt worden. Helga Schulz aus der Wahlkommission erzählte mit zittriger Stimme, dass sich erfahrene Zähler gewundert hätten, wie niedrig der Haufen mit den Briefwahl-Zetteln aussehe.

Die Prüfung ergab, dass nicht 1459, sondern etwa 500 Voten auf dem Tisch lagen. Der Rest war futsch. Am Montag hat das Landeskriminalamt Ermittlungen aufgenommen. Es bestehe der Anfangsverdacht auf Unterschlagung. Einen Raum des Kurt-Schumacher-Hauses versiegelten die Beamten, ein paar Wahlurnen nahmen sie mit.

Das Problem ist menschlich

Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt hatten am Vorabend verkündet, in der Zeit bis zum 25.März würden die Mitglieder erneut befragt. Am Montag sickerte durch, es gebe nunmehr eine klare Tendenz gegen den Neustart. An diesem Dienstag will der Landesvorstand eine ,,politische Bewertung'' des sonntäglichen Scherbengerichts vornehmen. Eines ist sicher: Die feierliche Inthronisierung des/der neuen Kandidaten/in im Beisein des Bundesvorsitzenden Kurt Beck fällt aus.

Vor einem knappen Jahr war Mathias Petersen, 51, Allgemeinmediziner aus Altona, im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt worden. Als er darauf drängte, auch zum Spitzenkandidaten für die nächste Bürgerschaftswahl befördert zu werden, stellte sich seine Partei quer. Im Januar sprachen ihm fünf der sieben Kreisvorsitzenden das Misstrauen aus und zauberten Dorothee Stapelfeldt, 50, aus dem Hut. Auf sieben Podiumsdiskussionen rangen sie miteinander. Politisch lieferten sie sich jedoch eher ein Wattepusten. Was Inhalte betrifft, sind die beiden nicht weit auseinander. ,,Das stimmt'', bestätigt einer aus dem Führungszirkel, ,,das Problem in der Hamburger SPD ist eher das Menschliche.''

Mathias Petersen hat sich mit frechen Sprüchen gegen das Establishment zu profilieren versucht. Gelegentlich glitt er in den Populismus ab. So wollte er Sexualstraftäter im Internet an den Pranger stellen; dies würde aber gegen das Gesetz verstoßen. Ohne Rücksprache mit den Gremien und ohne öffentliche Begründung kippte Petersen SPD-Geschäftsführer Ties Rabe. Er ersetzte ihn ausgerechnet durch jenen Walter Zuckerer, der im Mittelpunkt des Tohuwabohus vom Sonntag stand. Dorothee Stapelfeldt hingegen hat eine lupenreine Politikerkarriere im linken Milieu hingelegt. Aus der Arbeit im Allgemeinen Studentenausschuss der Uni heraus zog sie für die SPD in die Bürgerschaft ein und rückte in den Landesvorstand auf; von 2000 bis 2004 stand sie der Hamburgischen Bürgerschaft als Präsidentin vor.

Wer immer die SPD in den Wahlkampf führt, hat gute Aussichten, Hamburgs nächster Bürgermeister zu werden. Zwar sehen die Umfragen derzeit die CDU weit vorn, aber Bürgermeister Ole von Beusts absolute Mehrheit aus dem Jahr 2004 wackelt. Eine Koalition von SPD und Grünen könnte durchaus das Rathaus erobern.

© SZ vom 27.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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