CDU vor Bundesparteitag:Geplagt und geschüttelt

Ist die CDU ein kraftstrotzender Merkel-Wahlverein oder ein von der Kanzlerin totgerittener Gaul? Die Partei weiß es im Moment selbst nicht so genau. Bei den Christdemokraten ist die Kakofonie ausgebrochen. Doch die neue Vielstimmigkeit könnte der CDU auch nutzen.

Ein Kommentar von Robert Roßmann

Bundestag

Die CDU glänzt 2012 nicht mehr aus eigener Kraft, sondern nur noch dank Kanzlerin Angela Merkel und der CSU.

(Foto: dapd)

Am Montag kommen die Delegierten der CDU zum Bundesparteitag zusammen. Es ist ein Treffen in einer eigenartigen Zwischenzeit. Die CDU weiß nicht recht, wo sie steht. Sie ist zu einer Vexier-Partei geworden: Je nachdem, wie man sie betrachtet, sieht man entweder einen kraftstrotzenden Merkel-Wahlverein oder einen von der Kanzlerin in sieben Regierungsjahren totgerittenen Gaul. Vexier kommt von "vexare". Das heißt plagen oder schütteln. Und die CDU ist gerade tatsächlich eine ziemlich geplagte und geschüttelte Partei.

Auf ihre föderale Tradition und Verankerung sind die Christdemokraten ja besonders stolz. Um so erschütternder ist der Absturz der Partei in den Ländern - egal ob klein oder groß. In Bremen und Brandenburg hat sich die Partei gerade im Streit um ihre Vorsitzenden selbst zerlegt. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind die Landesverbände seit dramatischen Wahlniederlagen paralysiert. Falls die Umfragen zu Wahlergebnissen werden, verliert die CDU nächstes Jahr auch noch Niedersachsen und Hessen. Sie würde dann in ganz Westdeutschland nur noch im winzigen Saarland den Regierungschef stellen.

In den Städten sieht es für die CDU kaum besser aus: Allein in den letzten drei Jahren hat sie Hamburg, Köln, Frankfurt und Stuttgart verloren. Außerdem laufen der CDU die Mitglieder davon - seit Angela Merkel Kanzlerin wurde, sank die Zahl um fast 100.000. So schlimm stand es um die Christdemokraten in Deutschland vermutlich noch nie. Und trotzdem darf die Partei bester Hoffnung sein. Wie kann das sein?

Die Sozialdemokraten sind kein Gegner

Nun, die CDU glänzt 2012 nicht mehr aus eigener Kraft, sondern nur noch dank Angela Merkel und der CSU. Helmut Kohl, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder waren in ihrem siebten Kanzlerjahr politisch fast am Ende. Kohl konnte sich nur wegen der Deutschen Einheit retten, Schröder und Schmidt gar nicht. Doch Angela Merkel wird immer noch von 75 Prozent der Deutschen geschätzt.

Die Kanzlerin hat die Turbulenzen der Euro-Krise genutzt, um sich in den demoskopischen Himmel zu schrauben. Zusammen mit der Kraft der CSU könnte das 2013 noch einmal reichen. Auf 48 Prozent kommen die Christsozialen in Bayern derzeit, die CDU liegt in Restdeutschland zwölf Punkte niedriger. Wenn Horst Seehofer in seinem Übermut keine Fehler macht, könnte die CSU der Union am Wahltag den entscheidenden Schub verleihen. Die Sozialdemokraten mit ihrem Stolper-Starter Steinbrück sind bisher ja noch kein angsteinflößender Gegner.

Für eine Wiederauflage der Koalition mit der FDP dürfte es trotzdem nicht reichen - soweit man das in diesen volatilen Zeiten voraussagen kann. Nach 1994 haben Union und FDP bei Bundestagswahlen ohnehin nur einmal eine Mehrheit bekommen. Merkels schwarz-gelbe Koalition hat mit ihrer Gurkentruppen-Wildsau-Politik nicht dafür gesorgt, dass die Wähler große Lust verspüren, dieses Experiment noch einmal zu wiederholen.

Für die CDU kommt es deshalb darauf an, so stark zu werden, dass ohne sie nicht regiert werden kann. Solange Linkspartei und Piraten auf der anderen Seite des Spektrums nicht koalitionsfähig sind, könnte ihr das wegen der Selbstblockade des linken Lagers auch gelingen.

Und so vertraut die CDU-Führung jetzt auf einen Sieg durch inhaltliche Konturlosigkeit. Sie will sich mehr oder weniger unauffällig durch den Wahlkampf mogeln, keine Angriffsflächen bieten und dann mit einer Art Abstauber-Tor gewinnen. Wer in diesen Wochen führende Christdemokraten nach den wichtigsten Wahlkampf-Slogans fragt, bekommt immer nur eine Antwort: "Auf die Kanzlerin kommt es an." Dann herrscht Schweigen.

Kakofonie oder Facettenreichtum

Doch mit dieser Strategie wird die CDU-Spitze vermutlich nicht mehr durchkommen - schon wegen des Widerstands in den eigenen Reihen. Denn in der CDU ist in diesem Jahr die Kakofonie ausgebrochen.

Im Januar unterschrieben führende Unionsfrauen die Berliner Erklärung für eine starre Quote. Im März meldeten sich 23 Abgeordnete zu Wort, die das Betreuungsgeld verhindern wollten. Im August verfassten 13 Abgeordnete einen Appell für die Gleichstellung der Homo-Ehe. Dann veröffentlichten junge Abgeordnete der Unionsfraktion eine Abrechnung mit den Rentenplänen der Arbeitsministerin. Anfang November präsentierte der konservative Berliner Kreis seine Kritik am Kurs der Parteispitze. Und vor zwei Wochen legten dann auch noch Großstadt-Abgeordnete einen umfangreichen Aufruf zur totalen Modernisierung der CDU vor. 2012 ist bei den Christdemokraten das Jahr des Schreibens. Bald gibt es keinen Bundestagsabgeordneten mehr, der sich nicht mit einer kleinen Revolte hervorgetan hat.

Für die CDU ist das zunächst einmal ein Problem. Fraktionschef Kauder kommt mit der Brandbekämpfung kaum noch hinterher. Erst diese Woche musste er eine Initiative für Putzhilfen-Gutscheine einfangen. Merkel hat nicht nur im Wahlkampf 2009 gegen die SPD auf Demobilisierung gesetzt, sie dimmt auch alle Konflikte in der eigenen Partei herunter. Jetzt beginnen diese Konflikte aber an immer mehr Stellen durchzubrechen.

Es klingt paradox: Aber für die CDU könnte die neue ungewollte Vielstimmigkeit im Wahlkampfjahr sogar ein Vorteil sein. Merkel hat die CDU zu einer aalglatten, kaum noch greifbaren Partei werden lassen. Der einzige Programm-Inhalt scheint die Vorsitzende selbst zu sein.

Eine Volkspartei braucht aber viele Facetten, um ihr ganzes Reservoir ausschöpfen zu können. Selbst innerhalb der Großstädte sind die Milieus ja nicht homogen. Das zeigt schon ein Blick nach Frankfurt. Den Wahlkreis I hat dort der Wortführer der schwarz-grün angehauchten Großstadt-Gruppe für die CDU gewonnen. Den Wahlkreis II holte sich die erzkonservative Erika Steinbach. Die CSU feiert mit einer solch breiten Aufstellung seit Jahrzehnten Erfolge. Die CDU müsste jetzt nur noch den Mut haben, die neue Vielstimmigkeit auch zuzulassen.

Bisher gelingt der CDU dieser Spagat nur in zwei Bereichen. In der Wirtschaftspolitik hat die Partei Ursula von der Leyen für die sozialdemokratische Flanke. Die andere Seite bedienen harte Marktwirtschaftler wie Michael Fuchs und Josef Schlarmann. Und in der Familien- und Gesellschaftspolitik decken Kristina Schröder und von der Leyen alle Facetten ab. Kein Wunder, dass die SPD bisher in beiden Politikfeldern kaum punkten kann.

Die aalglatten Wahlkämpfer in der Parteispitze sollten sich außerdem an das Jahr 1969 erinnern. Damals setzte die CDU zum letzten Mal auf den Slogan: "Auf den Kanzler kommt es an". Am Ende zog zum ersten Mal ein Sozialdemokrat ins Kanzleramt ein.

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