CDU Thüringen:Solidarisch mit einem Phantom

Die CDU Thüringen wählt den abwesenden Dieter Althaus mit starkem Ergebnis zum Spitzenkandidaten. Kritische Fragen werden nicht mal im Ansatz gestellt und Alt-Ministerpräsident Vogel lobt den Rekonvaleszenten.

Jens Schneider, Waltershausen

Große Politiker sind geniale Illusionisten, zumindest möchten sie es gern sein. Bernhard Vogel hat die Thüringer CDU viele Jahre machtvoll geführt, auch heute zieht er noch im Hintergrund Fäden. Ohne seine Förderung wäre Dieter Althaus kaum je Ministerpräsident geworden. Nun ist Vogel zum CDU-Parteitag nach Waltershausen bei Gotha gekommen, um den nach seinem Skiunfall noch immer nicht gesunden Regierungschef zu unterstützen. Und so ruft Vogel nun einen Satz in den Saal hinein, der wie die Beschwörung eines alten Zauberers klingt: "Dieter Althaus ist wieder da, und Dieter Althaus kehrt zurück."

CDU Thüringen: Nein, das ist nicht Dieter Althaus und auch nicht sein Schatten. Aber seit seinem Unfall ist er eine Art Phantom.

Nein, das ist nicht Dieter Althaus und auch nicht sein Schatten. Aber seit seinem Unfall ist er eine Art Phantom.

(Foto: Foto: dpa)

Für jeden der mehr als hundert Delegierten der Thüringer CDU in der Halle wäre die Widersprüchlichkeit dieser Aussage leicht zu erkennen. Entweder man ist wieder da, oder kehrt erst noch zurück. Und faktisch wissen alle, dass Althaus keineswegs noch nicht wieder da ist, gerade jetzt nicht, hier an diesem Samstag.

Die Delegierten sind ja in dem Wissen gekommen, dass sie ihn in Abwesenheit mit großer Mehrheit zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen Ende August wählen sollen. Und wissen sonst sehr wenig über seine Lage. Aber keiner stutzt, keiner schaut irritiert. Donnernder Applaus dröhnt durch die Halle. Vogel bekommt so viel Beifall wie kein Redner vor ihm an diesem Tag.

Denn sein fulminanter Auftritt bietet den Christdemokraten zumindest für einen Augenblick den Anschein jener Normalität und Unerschütterlichkeit, die sie hier alle unbedingt demonstrieren wollen. Obwohl doch eigentlich nichts normal ist, und obwohl die wenigsten unerschüttert sein dürften angesichts der beklemmenden Situation.

Elf Wochen liegt der schwere Skiunfall des CDU-Landeschefs und Ministerpräsidenten Althaus zurück, bei dem am Neujahrstag eine 41-jährige Mutter ums Leben kam. Althaus ist wegen seiner Schuld inzwischen im Eilverfahren zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Von seiner schweren Verletzung erholt er sich in der Reha in Allensbach am Bodensee.

Es gab seither keine öffentlichen Auftritte von ihm. Es gibt auch keine kurze Video-Botschaft, wie sie manche vor diesem Parteitag in Waltershausen erwartet haben. Die wenigsten Delegierten wissen also, wie es Althaus wirklich geht. An diesem Samstag gibt es von nur schriftliche Botschaften vom Bodensee. Da ist zunächst ein Brief mit der Anrede "Sehr geehrter Herr Tagungspräsident, liebe Freunde", den seine Stellvertreterin Birgit Diezel dem stillen, gespannt erwartungsvollen Saal vorliest.

Vogel über Althaus: Beeindruckende Geistesgegenwart

"Was am Neujahrstag geschah, ist für mich unfassbar", schreibt Althaus darin. "Alles würde ich dafür geben, das tragische Unglück ungeschehen zu machen." Seine Gedanken und Gebete seien bei der Familie Christandl, also der Familie der Frau, die bei dem Unfall starb. Er beschreibt die letzten Wochen als "die schwersten meines Lebens - physisch und psychisch".

Er sei sich der Begrenztheit menschlichen Handelns und Seins noch bewusster geworden. "Nach diesem tiefen Einschnitt sehe ich mein Leben in einem anderen Licht", so schreibt Althaus weiter. "Dieses Ereignis wird mich für immer begleiten." Dann kommt das Versprechen, zurückzukehren: "Ich bin bereit, dem Freistaat weiter zu dienen."

Mit ganzer Kraft wolle er "für das schöne und erfolgreiche Thüringen Verantwortung als Ministerpräsident tragen". Noch vor der Sommerpause, so verspricht Althaus, werde er seine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen. Die Delegierten könnten sich auf ihn verlassen.

Als Diezel zu Ende gelesen hat, kommt kurzer Beifall auf, der schnell in ein rhythmisches Parteitagsstakkato übergeht. Und während die Delegierten applaudieren, wird der dreiseitige Brief verteilt. Er trägt seine Unterschrift. Wenig später wählen ihn 94,62 Prozent zu ihrem Spitzenkandidaten; 123 stimmten für, sieben gegen Althaus.

Kurz darauf wird vom Podium eine SMS verlesen, die einer aus dem Tagungspräsidium dort oben auf seinem BlackBerry erhalten hat, "eine Botschaft aus Allensbach". Althaus bedankt sich darin für die Unterstützung. Über diesen Teil der Inszenierung lachen einige sogar fröhlich, als ob sie ein weiterer Schritt zur Normalität wäre.

Dann geht es weiter in der Tagesordnung. Der Apparat soll funktionieren, und er funktioniert wie oft in solchen Fällen fast schon ein bisschen zu geschäftsmäßig. Es fällt auf, wie offiziell fast gar nicht über Althaus gesprochen wird. Wie keiner versucht, die passenden Worte zu finden - und damit die Fragen, die sich mit der heiklen Situation verbinden, nicht einmal angerissen werden. Weder die Frage seiner Belastbarkeit, noch die Frage, ob er nach dem Unfall und angesichts seiner Vorstrafe weiter regieren soll.

Man geht darüber hinweg. Schon seine Stellvertreterin Birgit Diezel, die seit elf Wochen das Land regiert, begnügte sich in der Begrüßung mit der Bemerkung, dass "es in der Politik wie im wahren Leben nicht immer nur Sonnenschein gibt". Danach kommt Althaus bei ihr nicht mehr vor, bei anderen auch nicht richtig. Es sei wie in Nordkorea, spottet am Rand der Reporter einer Zeitung aus Erfurt.

Schnell werden weitere Listenplätze vergeben, dabei bekommt keiner annähernd so viele Stimmen wie Althaus. Dabei mag man noch verstehen, dass offiziell keine Fragen gestellt werden. Doch auch jenseits der öffentlichen Parteiräson äußern Delegierte in Gesprächen kaum Zweifel. Man solle Althaus seine Zeit lassen, sagen sie. Er werde gewiss das Richtige tun.

Nur einzelne räumen am Rande, wo es keiner hört, ein, dass sie sich nicht sicher sind bei diesem Weg. Auch sie nehmen dankbar auf, was Bernhard Vogel ihnen versichert. Er habe Althaus gerade in Allensbach besucht und sich lange mit ihm unterhalten, sagt Vogel. "Sein Gesundheitszustand und seine Geistesgegenwart haben mich sehr beeindruckt." Der Unfall sei tragisch, aber Althaus habe die Kraft, damit fertig zu werden. Vogel verspricht sogar: "Er wird gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen."

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