CDU-Regionalkonferenz in Jena:Merkels harter Kampf gegen die wütende Minderheit

Regionalkonferenz der CDU in Jena

Es wird ungemütlich in Jena, doch am Ende hat die Kanzlerin wieder alles im Griff.

(Foto: dpa)

Auf der CDU-Regionalkonferenz in Jena kritisieren Parteimitglieder die Kanzlerin heftig für ihre Flüchtlingspolitik. Merkel kontert: "Es wurde nie eine Grenze aufgemacht. Es wurde nur nie eine Grenze zugemacht."

Von Christoph Dorner, Jena

Die drei Flüchtlinge aus Eritrea, die in Freital leben, haben gerade nacheinander "Danke" gesagt und der Kanzlerin die Hand gegeben, da tritt ein mittelalter Mann mit Stromberg-Bart ans Mikrofon. Diese PR-Aktionen mit Flüchtlingen seien unsäglich, schimpft der Mann. Es wird unruhig im Saal, und selbst Angela Merkel will den Mann erst einmal nicht ausreden lassen. Hier solle nicht der Eindruck entstehen, dass die Flüchtlinge von ihr bestellt worden seien, sagt die Kanzlerin.

Die Afrikaner sind von einem ehrenamtlichen Betreuer nach Jena gefahren worden, weil sie sich bei Merkel bedanken wollten. Der Mann mit Bart schimpft schon weiter, "wir sind hier nicht in der SED", "fühle mich um meine Wählerstimme betrogen", "Sie sind die Nemesis der CDU", sagt er, ehe er es schrill mit hochrotem Kopf hinausschreit, als würde er gerade von hinten aufgespießt: "Treten Sie zurück als Kanzlerin und CDU-Chefin."

Etwa 800 ostdeutsche CDU-Mitglieder sind am Freitagabend ins prunkvolle Volkshaus in Jena gekommen, wo anderntags wieder russisches Ballett aufgeführt wird: Der Nussknacker. Für Merkel ist es vor dem Parteitag in Essen der letzte Stimmungstest an der Basis. Es wird ihr ungemütlichster Termin. Auf den drei vorherigen Regionalkonferenzen in Neumünster, Heidelberg und Münster hatte es nur wenige Kontroversen gegeben. Auch dort wollten Flüchtlinge Merkel unbedingt die Hand geben, und Merkel scheute nicht davor zurück, obwohl die berühmten Selfies aus dem Sommer 2015 vielen als einer ihrer größten politischen Fehler gelten. Auch in Heidelberg stand irgendwann ein Mann auf, "CDU-Mitglied seit 1960", und sagte: "Treten Sie zurück, bevor Sie noch mehr Schaden anrichten."

Die gesellschaftlichen Pole deuten sich innerhalb der Volkspartei zumindest an. Und sonst? Viel Lob, Dankesbekundungen und ein kollektiver Seufzer, dass die Kanzlerin ein viertes Mal antritt. Merkel ist dann doch für viele in der Partei Stabilitätsanker für Europa, als Brandmauer gegen den Populismus. Sie ist der leibhaftige Programmentwurf für 2017. Das tatsächliche Programm bleibt auf den Regionalkonferenzen hundertfach ungelesen auf den Stühlen liegen.

Im Osten bröselt die Macht der CDU

In Jena deuten die Redebeiträge der Mitglieder vor allem zu Beginn in eine etwas andere Richtung. Nirgendwo sonst ist die Debatte über Flüchtlinge noch so aufgeladen wie im Osten, obwohl hier wegen des Königsteiner Schlüssels weniger Geflüchtete leben als in den bevölkerungsstarken Bundesländern. Und nirgendwo sonst ist die Machtbasis der stolzen Volkspartei zuletzt dermaßen zerbröselt wie in den neuen Bundesländern. In Thüringen verlor die CDU in der dritten Amtszeit Merkels das Ministerpräsidentenamt, ausgerechnet an den Linken Bodo Ramelow. In Berlin und Brandenburg flog sie als Junior-Partner aus den Landesregierungen, und selbst in Sachsen-Anhalt kann Ministerpräsident Reiner Haseloff nur noch zusammen mit SPD und Grünen regieren. In Sachsen ist die CDU zwar an der Macht, doch dort sind eher die Gegner Merkels zu hören als ihre Unterstützer.

An der Basis in Jena hat es zunächst nicht den Anschein, als wolle man sich so einfach damit zufrieden geben, dass das alles beherrschende Thema des vergangenen Jahres nicht mehr ganz im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte steht. Da tritt ein Unternehmer aus Jena ans Mikrofon. Er redet ruhig und sachlich, lobt erst die Agenda 2010 und verurteilt dann den Kontrollverlust an den Grenzen und davon, dass in die deutschen Sozialsysteme zugewandert werde. Er sagt, er wisse beim besten Willen nicht, wie er die Politik Merkels im kommenden Jahr im Straßenwahlkampf verteidigen solle. Da spricht ein ehemaliger Landrat von Rechtsbeugung durch die Kanzlerin und fordert die Einführung von Transitzonen an den Grenzen. Da beharrt ein älterer Herr darauf, dass der Islam auf keinen Fall zu Deutschland gehöre. Er tritt nach seiner fünfminütigen Tirade, die er sich fein säuberlich auf Zetteln notiert hat, donnernd aus der Partei aus. Euro-Rettung, Atom-Ausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, der fehlende Bundespräsidentenkandidat - es ist auch die Enttäuschung über die Aufgabe des einstigen Markenkerns der CDU, die in Jena nachhallt. "Bitte werfen Sie nicht alle konservativen Werte auf den Mist der Grünen", sagt einer, der einen Zaun um Deutschland bauen will.

"Wir sind eine Volkspartei. Da geht's hoch her"

Es wirkt, als hätte die sonst so durchgestylte Veranstaltungs-Regie von Generalsekretär Peter Tauber in Jena versagt, weil sich die kritischen Wortmeldungen zu Beginn so sehr ballen. Auch Thüringens CDU-Landesvorsitzender Mike Mohring, der anfangs munter gegen die rot-rot-grüne Landesregierung austeilt, verzieht auf dem Podium ob der eigenen Leute immer mehr das Gesicht. Findet hier, nach einer untertemperierten Stichwort-Rede der Kanzlerin, gerade eine Generalabrechnung statt? Nein. Es sind einfach nur die wütendsten CDU-Mitglieder, die als erste an die Mikrofone im Saal drängen, eben weil sie so wütend sind und entfremdet von ihrer eigenen Partei.

CSU-Chef Horst Seehofer hat immer wieder gesagt, dass die Union so ein im Kern rechtskonservatives Meinungsspektrum auf keinen Fall der AfD überlassen dürfe. Merkel sieht das anders. Sie will diese Meinungen aushalten, das schon. Doch in der Partei halten will sie diese Menschen nicht um jeden Preis. Die Kritiker sind in Jena ohnehin in der Minderheit - und sorgen im weiteren Verlauf des Abends für eine bemerkenswerte Reaktion im Saal und bei der Kanzlerin.

Reichte es für Angela Merkel bei den ersten drei Regionalkonferenzen, Lob einzusammeln und die Schattenseiten der Flüchtlingskrise und der Globalisierung gar von sich aus anzusprechen, wird sie im Volkshaus in Jena zu einer energischen und emotionalen Gegenrede gezwungen. "Ich schlafe jeden Abend bedrückt ein, wenn ich die Bilder aus Aleppo sehe", sagt Merkel, die ihren internationalen Lösungsansatz zur Bewältigung der Flüchtlingskrise verteidigt, das Abkommen mit der Türkei, die Gespräche mit nordafrikanischen Staaten, die helfen sollen, die Außengrenzen der EU gegen Flüchtlingsschlepper zu schützen. Dabei fallen bemerkenswerte Sätze, etwa über den September 2015: "Es wurde nie eine Grenze aufgemacht. Es wurde nur nie eine Grenze zugemacht", sagt die Kanzlerin und bekommt am Ende überbordenden Applaus.

Auch die Befürworter ihrer Politik melden sich nun zu Wort, das Pendel im Saal ist zurückgeschlagen. Ein junger und ein älterer Mann kündigen an, wegen Merkel in die Thüringer CDU einzutreten, was im Saal zu Jubelstürmen führt. Ein Mann aus dem sächsischen Schleußig berichtet über die gelungene Integration von 21 Flüchtlingen aus Afghanistan im Ort, ein anderer sagt, die Flüchtlinge seien eine große Chance für die Handwerksbetriebe. Merkel wirkt nun gelöst, macht sogar ein Späßchen: "Wir sind eine Volkspartei, da geht's hoch her."

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