CDU-Parteitag:"Ihr müsst, ihr müsst, ihr müsst mir helfen!"

  • Am Nachmittag stellt sich Angela Merkel erneut zur Wiederwahl als CDU-Chefin.
  • In ihrer Rede zuvor nennt sie die Flüchtlingskrise eine Herausforderung, die man insgesamt gut bewältigt habe.
  • Sie betont, was für ein schwieriges Jahr 2016 war und beklagt einen Mangel an Anteilnahme am Krieg in Syrien.
  • Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf 2017 bittet die Kanzlerin ihre Partei beinah demütig um Unterstützung.

Von Julia Ley

In ihrer Rede auf dem CDU-Parteitag in Essen hat Kanzlerin Angela Merkel ihre Politik des vergangenen Jahres verteidigt - und einen Ausblick auf das Wahljahr 2017 geboten. Beinah demütig wirbt die CDU-Chefin dabei um die Unterstützung ihrer Partei.

Als sie noch überlegte, ob sie erneut als Bundeskanzlerin kandidieren solle, hätten Parteifreunde ihr immer wieder gesagt: "Du musst, du musst, du musst." Diesmal ist sie es, die die Partei in die Pflicht nimmt: "Ihr müsst", setzt Merkel an, und wiederholt es zur Sicherheit noch zweimal, "ihr müsst, ihr müsst mir helfen!" Kein Mensch könne die Probleme der Welt allein zum Guten wenden. Das gehe nur "Hand in Hand mit jedem und jeder aus der Christlich Demokratischen Union".

Dieser Zusammenhalt werde künftig noch wichtiger werden, beschwört die Kanzlerin ihre Parteifreunde, schließlich werde die Bundestagswahl 2017 "so schwierig wie keine Wahl zuvor seit der deutschen Einheit". Die Gesellschaft sei stark polarisiert, die Union unterliege "Anfechtungen von allen Seiten". Im kommenden Jahr stehe die CDU deshalb gleich vor zwei schwierigen Aufgaben: Stark genug zu sein, um "Rot-Rot-Grün" zu verhindern und Wähler rechts der Partei integrieren.

Merkel betont noch einmal, wie wichtig es dabei ist, die Fakten im Blick zu behalten - es ist ein Seitenhieb in Richtung vieler Rechtspopulisten, die argumentieren, dass man auch unbegründete Ängste ernstnehmen müsse. Merkel fordert stattdessen, die Partei müsse "skeptisch gegenüber einfachen Antworten bleiben". Sie werde "nicht über jedes Stöckchen springen", das man ihr hinhalte.

Herausforderung Flüchtlingskrise

Gleich zu Beginn ihrer Rede kommt die Kanzlerin auf die Flüchtlingspolitik ihrer Partei zu sprechen - und stellt diese als Erfolg dar. Die Situation im Spätsommer 2015, als Tausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, sei ein Ausnahmefall gewesen, so die Kanzlerin. Einer, der sich keinesfalls wiederholen dürfe, das stellte die Bundeskanzlerin gleich mehrfach klar. Aber auch eine Herausforderung, die man alles in allem sehr gut bewältigt habe.

Schon vor einem Jahr habe man auf dem Parteitag auf ein schier unglaubliches Jahr 2015 zurückgeblickt, mit Terrorangriffen in Europa, Krieg in der Ukraine, mit der Euro-Krise in Griechenland und den vielen Flüchtlingen, die nach Europa kamen. Auch wenn keiner es damals geglaubt hätte: 2016 sei noch schlimmer geworden. Die Kanzlerin meint damit den Aufstieg der Rechten in vielen demokratischen Ländern, den Brexit, die Präsidentschaftswahl in den USA - und den Krieg in Syrien. Und sie sagt einen Satz, der, gemessen an ihrem sonstigen Stil, erstaunlich deutlich ist: Dass Menschen wegen TTIP auf die Straße gingen, aber nicht wegen des Leids in Syrien, sei eigentlich kaum zu glauben: "Da stimmt etwas mit den Maßstäben nicht."

Auch auf den Brexit kommt die Kanzlerin zu sprechen: Es gebe im Moment einen großen Druck auf die vier Grundfreiheiten in der EU: den freien Personenverkehr, den freien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Finanzdienstleistungen. Auf diese Grundlagen müsse die EU in den Verhandlungen mit Großbritannien beharren. Ohne sie könne es für Großbritannien keinen Zugang zum europäischen Binnenmarkt geben. "Es wird keine Rosinenpickerei geben", sagt Merkel.

Wie wichtig das Thema Migration auf diesem Parteitag werden dürfte, hatte sich schon in der Begrüßung des Essener Oberbürgermeisters angedeutet. Vielleicht ungewollt hat er dabei die Ambivalenz auf den Punkt gebracht, die es auch innerhalb der CDU bei diesem Thema gibt. "Ohne Zuwanderung könnte heute kein Bürgermeister hier vor Ihnen stehen", sagt der CDU-Politiker Thomas Kufen, und meint damit, dass erst die Zuwanderung das Ruhrgebiet groß gemacht habe. "Höchstens einen Dorfvorsteher" würde es dann geben, sagt Kufen. Und beeilt sich sogleich hinzuzufügen: "Zuwanderung braucht klare Regeln."

Es gibt bei diesem Thema Meinungsverschiedenheiten, die die Partei - aber auch die Schwesternschaft mit der CSU - in den vergangenen Monaten stark belastet haben. Merkel bietet ein ideologisches Rezept an, mit dem sich die Gräben vielleicht überwinden ließen. Das "C" sei der Gründungsimpuls der CDU, sagt Angela Merkel, er sei auch heute noch wichtig. Das "christlich" in CDU und CSU stelle "die einzigartige Würde jedes einzelnen Menschen, vom Anfang des Lebens bis zu seinem Ende" in den Mittelpunkt. Mit diesem Fokus ließen sich auch Meinungsverschiedenheiten überwinden.

Merkel: "Vollverschleierung ist nicht angebracht"

Für Überraschung sorgt Merkel in ihrer langen Rede, als sie sich für ein Burkaverbot auszusprechen scheint. "Vollverschleierung ist nicht angebracht und sollte verboten werden", sagt die Kanzlerin - auf den ersten Blick eine Abkehr von ihrer bisherigen Haltung. Allerdings: Schon kurz darauf schränkt sie ein, die Burka "sollte verboten sein, wo immer es geht". Das sind wohl vor allem öffentliche Räume, ein komplettes Verbot dürfte nach Meinung vieler Juristen rechtlich schwierig sein. Ähnliches hatte Merkel auch vorher schon vertreten, aber es klingt an diesem Tag deutlich schärfer. Von den Delegierten erhält sie dafür langen Beifall.

Zugleich warnt die Kanzlerin aber auch vor der zunehmenden Aggressivität im Internet. Man habe "manchmal den Eindruck, dass einige, die schon länger hier in Deutschland leben, dringend einen Integrationskurs nötig hätten", sagte Merkel, die einen respektvollen Umgang miteinander im Netz verlangte. Im Internet "fallen manchmal alle Hemmungen", beklagt sie. "Da sage ich, da sagen wir: So nicht!"

Am Nachmittag stellt sich Merkel zur Wiederwahl als Parteivorsitzende

Am Dienstagnachmittag stellt sich die Bundeskanzlerin erneut zur Wahl als CDU-Vorsitzende. Eine Gegenkandidatur gibt es, wie bei den vergangenen Jahren, nicht. Merkel steht seit fast 17 Jahren an der Spitze ihrer Partei und will sie 2017 auch zum vierten Mal als Kanzlerkandidatin in die Bundestagswahl führen. Vor zwei Jahren war die heute 62-Jährige mit 96,7 Prozent der Stimmen bestätigt worden. Ihr bestes Ergebnis stammt aus dem Jahr 2012. Damals kam sie auf 97,9 Prozent.

Kaum jemand zweifelt daran, dass die Delegierten die Parteivorsitzende auch dieses Jahr in ihrem Amt bestätigen werden. Die Frage ist aber, ob Merkel wieder mehr als 90 Prozent bekommt - und wenn ja, wie viel mehr. Insbesondere Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise hat ihre Beliebtheit sinken lassen.

Im Interview mit den ARD-Tagesthemen hatte die Kanzlerin am Montagabend gesagt: "Ich rechne mit einem ehrlichen Ergebnis." Jeder Delegierte solle so abstimmen, wie er möchte.

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