CDU-Parteitag:Kleine Geste für die große Schwester

Um die K-Frage zu entschärfen, gibt sich der CSU-Vorsitzende gezügelt - und die Delegierten baden neuerlich in Harmonie

Susanne Höll und Kurt Kister

(SZ vom 05.12.2001) - Seit dem Beginn des Applauses für Edmund Stoiber sind schon sechs Minuten, 40 Sekunden vergangen und jetzt darf eigentlich nicht mehr geklatscht werden. Angela Merkel hatte am Montag sechs Minuten, 34 Sekunden Beifall bekommen, und deswegen sagt der amtierende Parteitagspräsident Herbert Reul schon nach fünfeinhalb Minuten Stoiber- Beklatschung "Herzlichen Dank dem Ministerpräsidenten".

Das aber ficht einen ordentlichen Block von Delegierten aus Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein- Westfalen nicht an. Sie jubeln weiter und als sich fast alle anderen, einschließlich derer auf dem Podium, schon längst hingesetzt haben, eskalieren etliche Klatsch-Guerilleros den Jubel-Krieg bis hin zu vereinzelten "Edmund, Edmund"-Rufen. Es ist ein fast kindisches Spiel, aber später können die Stoiberisten immerhin behaupten, "der" Parteitag habe den in der Kandidatenfrage zögernden Ministerpräsidenten länger beklatscht als die in derselben Angelegenheit lavierende CDU-Chefin.

Wie das so ist nach solchen Reden, sind die Einschätzungen über Stoibers Auftritt sehr unterschiedlich. Bei der CDU ist man zufrieden, vor allem bei denen, die Stoibers Kandidatur nicht befürworten. "Er hat sich zurück gehalten und Angela Merkel war am Montag großartig", sagt ein CDU- Grande. Nein, von einer großen oder auch nur mitreißenden Rede Stoibers spricht niemand. Dem bayerischen Ministerpräsidenten war von seiner engeren Umgebung denn auch nahe gelegt worden, diesmal Zurückhaltung zu üben.

"Bremsen, bremsen, bremsen", sei das Motto gewesen, denn die Strategen in der bayerischen Staatskanzlei wollten in Dresden bei der CDU nicht den scharfen Herausforderer präsentieren, oder gar die leidige, aber trotzdem wolllüstig durchdeklinierte K-Frage weiter anheizen. Nein, der Vorsitzende "der kleinen Schwester" (Stoiber) sollte die Chefin der großen Schwester unterstützen. "Ich habe es bewusst etwas defensiver angelegt", sagt Stoiber hinterher, "ich sollte ja hier nur ein Grußwort sprechen."

Antreiber und Bremser

Eingeweihte nennen dieses Vorgehen den retardierenden Wilhelminismus, der seinen Namen Stoibers Intimus Ulrich Wilhelm verdankt. Wilhelm und andere in der Staatskanzlei wollen die Beschleunigung aus der Rivalität zwischen Stoiber und Merkel nehmen. In der Bundestagsfraktion hingegen, genauso wie in der CSU-Parteizentrale, gibt es etliche, die ihren Chef schneller und weiter nach vorn treiben wollen. Einer von denen sagt in Dresden: "Bremsen ist ja gut, aber nicht unbedingt bis zum Stillstand."

Als Zuhörer der Rede Stoibers jedenfalls hat man manchmal den Eindruck, man sei bei der Entstehung eines Hörbuchs dabei. Der Ministerpräsident hat ein 31seitiges, nicht zu eng beschriebenes Manuskript und darin macht er es sich über weite Strecken seiner 80minütigen Ansprache gemütlich. Die meisten Passagen verliest er unter Zuhilfenahme einer überwiegend sparsamen Gestik. Gelegentlich wirken sogar die im Text immer wieder gefetteten, unterstrichenen Sätze bei der leisen Lektüre wesentlich dramatischer, als sie sich aus Stoibers Mund dann wirklich anhören.

Ein Beispiel: Im Manuskript findet sich der auf Schröders derzeit unerfolgreiche Wirtschaftspolitik bezogene Satz: "Es muss Schluss sein mit der Politik der ruhigen Hand!" Die Redenschreiber haben ihn in fette Buchstaben gesetzt und dick unterstrichen. Er gehört also anklagend ausgerufen, am besten unter Schütteln mindestens einer Faust. Stoiber aber spricht ihn fast beiläufig aus, in einem Tonfall, als sage er gerade: "Semmelknödel passen gut zum Schweinsbraten." Natürlich bekommt er dafür keinen Beifall, denn bevor die Delegierten den Satz überhaupt verstanden haben, hat sich der Ministerpräsident schon wieder anderthalb Manuskript-Sätze weiter geplaudert.

Da ist kaum etwas vom Passauer Feuer, nichts vom blonden Fallbeil und sogar relativ wenig von der detailgeschwängerten Leidenschaft, mit der Stoiber ein Publikum gleichermaßen nerven und in den Bann ziehen kann. Einmal, als er die Zuwanderungs-Politik der Bundesregierung angreift, fliegen wenigstens die Funken. Der Redner löst sich kurzzeitig vom Manuskript, extemporiert, attackiert und dann - als ob es plötzlich in seinem Hirn blinkte: "nicht zu laut, nicht zu heftig" - kehrt er wieder zurück zu seinem aufgeschriebenen Text.

Was für ein Unterschied zu Angela Merkels Montags-Rede. Die Vorsitzende wollte, musste jenes Selbstbewusstsein demonstrieren, das zu der von vielen ihrer eigenen Parteifreunde mehr oder weniger bezweifelten Führungsfähigkeit gehört. Sie schaffte dies, was ihre Partei dann dankbar feierte. Stoiber dagegen tut am Tag danach fast alles, um sein Selbstbewusstsein und das der CSU nicht zu deutlich zu präsentieren - bis hin zu dem Schlusssatz: "Ich möchte als Parteivorsitzender der CSU meinen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leisten."

Eine Mischung aus beidem

Man höre, staune und ergehe sich in Konspirationstheorien: "...als Parteivorsitzender der CSU" hat er ausdrücklich gesagt, und könnte dies nicht heißen, dass der Cunctator Bavaricus doch die Staatskanzlei dem unsicheren Rennen um das Kanzleramt vorzieht? Was weiß man schon in diesen Tagen, in denen Stoiber leise und Merkel laut ist? Später sagt einer, der Stoiber gut kennt: "Das war eine Kanzlerrede."

Auch da weiß man nicht so genau, ob der Gesprächspartner damit die manchmal unentschlossenen, mäandrierenden Reden von Gerhard Schröder meint, oder ob er das taktische Geschick von Edmund Stoiber, dem zukünftigen Kandidaten, loben will. Seinem Gesichtsausdruck und seinem leicht säuerlichen Lächeln nach ist es eine Mischung aus beidem.

Einen gibt es übrigens auf dem Parteitagspodium, der offenbar seine Zukunft ganz klar vor Augen sieht. Das ist der Hesse Roland Koch, dem die zahllosen Artikel über "Koch für 2006" nicht nur in den Kopf gestiegen , sondern auch in die Beine gefahren zu sein scheinen. "Ham Sie gesehen?", fragt ein altgedienter CDU-Kämpe, "der Koch geht nicht mehr, der schreitet jetzt nur noch." Die Beobachtung stimmt, und dazu passt ein weiteres Aperçu.

Nachdem Koch einen Redebeitrag abgeliefert hat, springt er schon nach 20 Sekunden auf, um den Beifall stehend entgegen zu nehmen. Nach weiteren 20 Sekunden macht er beschwichtigende Handbewegungen zum Plenum hin, als wollte er sagen: Klatscht jetzt nicht zu viel, meine Zeit kommt doch erst. So etwas würden weder Angela Merkel noch Edmund Stoiber tun.

Merkel kann mit der Stoiber-Rede zufrieden sein, obgleich der Bayer ihre Geduld strapaziert. Er macht ihr das eine und andere Kompliment und übernimmt ihre Formulierung zum Zeitplan. "Anfang des Jahres" würden er und Merkel ihren Kanzlerkandidaten-Vorschlag machen. Jahresanfang heißt in der Merkel-Stoiber-Sprache nicht Januar, sondern offensichtlich März. Vor, vielleicht aber auch erst nach den bayerischen Kommunalwahlen am 3. März solle entschieden werden, sagen die, die etwas zu sagen haben, in beiden Parteien.

Wolfgang Schäuble blieb stumm

Wer es nun wird, er oder sie, ist auch nach Dresden offen. Beide halten Bewerberreden, auch wenn CSU-Landesgruppenchef Michael Glos die Ansprache seines Chefs kanzlerwürdig nennt. Auffällig ist indes eines: Wolfgang Schäuble, der Dritte im K-Bunde, ergreift in Dresden nicht das Wort.

Die Hauptperson ist Angela Merkel, die mit dem Gefühl nach Hause fahren darf, dass sie dort einen Erfolg erzielt hat. Denn der Parteitag folgt ihr in allen delikaten Fragen: er wählt Laurenz Meyer zum Generalsekretär, meckert nicht mehr über den Zeitplan und lässt die Schleswig-Holsteiner, die den Kanzlerkandidaten auf einem Wahlkonvent beider Parteien bestimmen wollen, kläglich scheitern.

Selbst die ungeliebte Frauenquote wird in geheimer Wahl verlängert statt abgeschafft, nachdem die Chefin sich noch einmal dafür eingesetzt hat. Merkel also gestärkt, kanzlerkandidatenwürdig? "Ja, gestärkt", sagt ein Bundesvorstandsmitglied. Und um ganz sicher zu gehen, dass man ihn auch richtig versteht, fügt er einen Satz hinzu: "Als Parteivorsitzende ist sie gestärkt."

Genau mit diesen Worten hatten die baden-württembergischen Christdemokraten zuletzt klargemacht, dass sie Stoiber, nicht Merkel auf den Schild heben wollen. An dieser Stimmungslage hat der Parteitag in Dresden nichts Entscheidendes geändert.

Bis hin in die Parteispitze herrscht der Wunsch vor, Merkel so stark zu sehen, dass sie Stoiber die Kandidatur antragen kann, ohne dass sie persönlich oder die CDU dabei Blessuren davontragen. "Man kann nicht auf den Knien nach München rutschen", sagt ein bekannter CDU- Politiker beim Sachsen-Abend in Halle Vier der Dresdener Messe, wo die Delegierten sich, ihre Vorsitzende und ihre Partei mit Bier und Oldie-Klängen feiern.

Mit recht gemischten Gefühlen registrieren deshalb nicht wenige aus der Führungsriege den Applaus und die Zustimmung für Merkel. Die könnte ja, so ihre Sorge, auf den Gedanken kommen, der gelte nicht nur der Parteivorsitzenden. "Wenn sie wirklich Kandidatin werden will, kann man sie nicht aufhalten. Das wäre nicht ohne Blutvergießen zu machen", sagt einer aus der Führungsmannschaft der Bundes-CDU.

Dass sich diese Männer wieder sorgen, Merkel könne durchmarschieren, zeigt indes, wie sehr die Vorsitzende tatsächlich an Statur gewonnen haben muss. Denn diese Sätze hört man immer wieder, wenn Merkel das tut, was man von ihr fordert, nämlich an Stärke gewinnt. Dann wird wieder überlegt, wer ihr denn wann sagen oder zumindest raten solle, Stoiber den Vortritt zu lassen. Und dann sagt wieder einer, dass das wohl ohnehin sinnlos ist. "Ich weiß nicht, auf wen Frau Merkel hört. Auf Männer offenbar nicht", meint einer aus der Reihe der Herren, die vor Fernsehkameras immer wieder sagen, die K-Frage interessiere nur die Journalisten, nicht die Partei.

Nach Boxerart

Von der hochgespielten K-Frage spricht auch Fraktionschef Friedrich Merz immer wieder einmal. Dabei weiß man von ihm, dass er sich durchaus Gedanken darüber macht; er muss ja auch an seine Zukunft denken. Nicht, weil er sich alsbald Chancen auf höchste Ämter ausrechnet; den Gedanken hat er sich inzwischen aus dem Kopf geschlagen. Aber er muss damit rechnen, dass Angela Merkel nächstes Jahr nach der Bundestagswahl seinen Posten in der Fraktion beanspruchen könnte, je nach Wahlergebnis, egal, ob sie Kandidatin war oder nicht.

Merz hält am Dienstag in Dresden eine seiner bemerkenswerteren Reden, durchaus auf Bayern-Linie. Viel Wirtschaft, viel Werte, viel Familie, auch Sätze wie diesen: "Ich möchte mich, verdammt noch mal, in diesem Land nicht dafür entschuldigen müssen, dass ich seit zwanzig Jahren mit derselben Frau verheiratet bin". Dafür bekommt er viel Applaus, Merkel gratuliert. Beide reißen nach Boxer-Art ihre verschränkten Hände hoch. Die Delegierten klatschen, sie wollen Eintracht, Harmonie, Geschlossenheit.

In Dresden haben sie all dieses bekommen. Auch das Gefühl, dass ein Wahlerfolg nicht mehr so ganz ausgeschlossen scheint. Dies haben ihnen ja alle erzählt, Merkel, Stoiber Merz und Co. Es schaut aus, als ob jetzt zumindest für ein paar Wochen Frieden herrschen könnte in der Union. Der Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz jedenfalls meint: "Wir können dann ganz beruhigt in die Weihnachtspause gehen".

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