CDU-Parteitag:Über dem CDU-Parteitag liegt ein Hauch von Heuchelei

Regionalkonferenz der CDU in Jena

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel wird auf Regionalkonferenz der CDU in Jena in Jena im Volkshaus mit einem Blumenstrauß begrüßt.

(Foto: dpa)

Die Partei hat in diesem Jahr eine Wahl nach der anderen verloren. Angesichts einer solchen Bilanz müsste jeder Parteichef mit einem Tribunal rechnen. Nicht aber in der CDU.

Kommentar von Robert Roßmann

Was ist nur mit der CDU los? Die Partei hat in diesem Jahr bei allen fünf Landtagswahlen verloren. In Berlin stürzte sie auf 17,6 Prozent ab, in Mecklenburg-Vorpommern landete sie sogar hinter der AfD, in Baden-Württemberg wurde sie von den Grünen deklassiert. Die Christdemokraten sitzen nur noch in sechs Landesregierungen, die Grünen in elf.

Angesichts einer solchen Bilanz müsste jeder Parteichef mit einem Tribunal rechnen. Nicht aber in der CDU: Am Dienstag stellt sich Angela Merkel auf dem Parteitag zur Wiederwahl, und sogar ihre größten Kritiker gehen davon aus, dass sie mehr als 90 Prozent der Stimmen bekommen wird. Wie kann das nur sein?

Gründe gibt es viele, aber drei stechen heraus. Die CDU ist - anders als die CSU - zu träge für harsche Personalentscheidungen an der Spitze. Langzeitkanzler Helmut Kohl durfte 1998 noch einmal kandidieren, obwohl alle wussten, dass man mit ihm in eine Niederlage ziehen würde. Die CDU ist außerdem - anders als Sozialdemokraten, Grüne oder Linke - keine Partei, die sich lange mit Inhalten aufhält, wenn es um die Macht geht. Drittens sind auf CDU-Parteitagen, ähnlich wie an den Börsen, meistens nicht die Bilanzen der Vergangenheit entscheidend, sondern die Erwartungen in die Zukunft. Und trotz des Unmuts in großen Teilen der Partei über die Flüchtlingspolitik gibt es in der CDU bisher keinen aussichtsreicheren Kandidaten als die Kanzlerin.

90 Prozent Zustimmung heißt nicht, dass 90 Prozent zufrieden sind

Die SPD strafte ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel auf dem Parteitag 2015 ab, auch wenn sie sich damit selbst schadete. Die CDU ist für derlei je nach Sichtweise viel zu diszipliniert - oder zu heuchlerisch. Die sogenannten "ehrlichen Ergebnisse" gibt es bei ihr immer erst bei den nachrangigen Wahlen. Ursula von der Leyen etwa wird regelmäßig abgestraft.

Wenn Merkel am Dienstag also mit mehr als 90 Prozent der Stimmen wieder gewählt wird, heißt das noch lange nicht, dass 90 Prozent der Delegierten zufrieden mit ihr sind: Die Zeiten sind vorbei. Das zeigt auch die Begeisterung vieler Christdemokraten für den französischen Präsidentschaftskandidaten François Fillon. Der Mann ist so wirtschaftsliberal und konservativ, wie es Merkel nie mehr werden wird. Dass FDP und AfD ihren Wiederaufstieg aus dem Dreiprozentbereich so leicht geschafft haben, liegt nach Meinung vieler in der Union auch daran, dass in der CDU der Wirtschaftsflügel und die Konservativen so schwach sind.

In Frankreich wird sich allerdings erst zeigen müssen, ob Fillon mit seinem konservativen Kurs der Rechtspopulistin Marine Le Pen tatsächlich mehr Wähler abspenstig machen kann, als er mit seinen wirtschaftsliberalen Positionen an sie verlieren dürfte.

Hinter den Kulissen wird Parteichefin Merkel eingehegt

In Deutschland jedenfalls verspielte Merkel 2005 den Wahlsieg gegen Gerhard Schröder beinahe mit ihrem damals noch marktradikalen Programm. Die Melange aus CDU-, SPD- und Grünen-Positionen, mit der sie 2013 angetreten ist, war deutlich erfolgreicher.

Doch die Erinnerung an Merkels Triumph von 2013 ist in der CDU verblasst, zu groß sind die Eruptionen, die ihre Flüchtlingspolitik ausgelöst hat. Die Kanzlerin war in der CDU lange allmächtig, auf dem Parteitag wird sie ein gutes Ergebnis bekommen - doch hinter den Kulissen fängt die Union bereits an, ihre Vorsitzende einzuhegen. Das wird im Streit um die Flüchtlingspolitik besonders augenfällig.

Erst verschärfte der Bundesvorstand zum Leidwesen Merkels den Leitantrag für den Parteitag - er soll den Rahmen für das Wahlprogramm abstecken. Unter anderem wird darin jetzt die von der Kanzlerin vehement verurteilte Schließung der Balkanroute als Erfolg gepriesen. Außerdem sollen aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nicht mehr nach Europa, sondern in Lager an der afrikanischen Küste gebracht werden.

Doch selbst das war CDU-Vize Thomas Strobl noch nicht genug. Er unternahm einen Vorstoß, den Antrag noch weiter zu verschärfen, und hatte damit in wichtigen Teilen Erfolg. Und so wird der CDU-Parteitag Positionen beschließen, die mit dem "humanitären Imperativ", auf den sich Merkel noch vor einem Jahr mit großem Pathos berief, nichts mehr zu tun haben.

Andere Vorsitzende würden öffentlich aufbegehren, Merkel nimmt es hin. Zu welch abenteuerlichen Verrenkungen die Kanzlerin fähig ist, hat sie bereits bei der Kür von Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten-Kandidaten gezeigt. Monatelang hatte Merkel versucht, den SPD-Mann zu verhindern. Als sie dann mit ihrer Suche nach einem Gegenkandidaten schmachvoll gescheitert war, präsentierte Merkel den Außenminister einfach als ihren Vorschlag, den sie sich freue, jetzt vorstellen zu dürfen. Das jedenfalls war eindeutig heuchlerisch.

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