CDU:Offene Flanke Migration

Erstmals debattiert der CDU-Bundesvorstand über die Verluste der Partei bei der Bundestagswahl - und findet vor allem einen Grund dafür.

Von Robert Roßmann, Berlin

Der CDU-Bundesvorstand ist kein Gremium, das für lange Debatten bekannt ist. Es gibt zwar einzelne Mitglieder, die gerne das Wort ergreifen, aber die Sitzungen sind meist schnell zu Ende. Anfang Dezember dauerte eine Telefonkonferenz des Vorstandes keine 30 Minuten, dabei hatte sich Angela Merkel am Vorabend zum ersten Mal mit Horst Seehofer und Martin Schulz beim Bundespräsidenten getroffen - es hätte also Stoff genug für eine Debatte gegeben. Umso erstaunlicher war die Vorstandssitzung am Sonntag. Um 19 Uhr waren die Parteigranden im Adenauer-Haus zusammengekommen, um zum ersten Mal das schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl zu analysieren. Und es entspann sich eine Debatte, an der sich ein Großteil der Vorstandsmitglieder beteiligte. Die Aussprache ging erst um 22.45 Uhr zu Ende - als sich alle erschöpft vom Vorstandssaal im ersten Stock in die adventlich geschmückten Konferenzräume im Erdgeschoss begaben, um dort den Tag ausklingen zu lassen.

Auch die mit Merkel zuletzt Unzufriedenen zeigen sich zufrieden

Zum Auftakt der Vorstandssitzung hatte Merkel Teilnehmerangaben zufolge eine knappe halbe Stunde lang ihre Sicht der Lage dargestellt. Bei der Bundestagswahl habe es die Union zwar geschafft, wieder klar stärkste Fraktion zu werden, trotzdem sei das Ergebnis natürlich nicht so gewesen, wie sie es sich vorgestellt habe, sagte Merkel. Die Union habe beim Thema Migration eine offene Flanke gehabt, der Streit mit der CSU habe ebenfalls geschadet. Viele Bürger seien nicht davon überzeugt gewesen, dass die Steuerung und Ordnung der Migration gelungen sei, das habe eine sehr große Rolle gespielt. Im Wahlkampf sei die CDU auch deshalb mit vielen Zukunftsthemen nicht durchgedrungen. Man habe außerdem ein generelles Misstrauen gegen Eliten erlebt und sei regelmäßig mit dem Argument konfrontiert worden: Für die Bankenrettung haben sie Geld, aber für uns oder wichtige staatliche Aufgaben nicht. Die Menschen würden aber einen starken und handlungsfähigen Staat erwarten. Darauf wies auch Innenminister Thomas de Maizière hin, Justiz und Polizei müssten deshalb noch besser ausgestattet werden, sagte er.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fand, dass die Flüchtlingspolitik auch ein Katalysator sei, der eine - etwa wegen der Globalisierung - tief sitzende Verunsicherung bei vielen Bürgern verstärkt habe. Unionsfraktionschef Volker Kauder beschrieb, wie schwer es sei, Bürger überhaupt noch zu erreichen. Anders als früher dringe man mit vielen Veranstaltungsformen nicht mehr durch. Dazu komme, dass die Union viel stärker über ihre Identität und die Frage sprechen müsse, was die Partei eigentlich ausmache. Ähnlich äußerte sich Jens Spahn, der als Wortführer der Merkel-Kritiker gilt.

Beschlüsse gab es keine. Aber die mit Merkel zuletzt eher Unzufriedenen zeigten sich nach der Sitzung erstaunlich zufrieden - auch weil ihrer Ansicht nach endlich die Themen Migration, Identität und starker Staat in den Mittelpunkt der Fehlersuche gestellt wurden.

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