CDU in der Krise:Kneipe mit Kanzlerin

Koch, Köhler, Rüttgers: Die CDU ist derzeit weniger eine Partei, in der man was wird, sondern eine, in der man was war. Sie leidet an Schwindsucht - genau wie die Autorität von Angela Merkel. Der Kern allen Übels: die schlechte Regierungsarbeit - nicht nur im Stil, sondern auch in der Sache.

Nico Fried

Ein jeder hat einen anderen Grund, aber das Ergebnis ist immer gleich: Der Christdemokrat Roland Koch geht, weil er keine Lust mehr hat, sich seinem politischen Bedeutungsverlust entgegenzustellen. Der ehemals christdemokratische Bundespräsident geht und sagt nicht einmal, warum. Jürgen Rüttgers geht, weil es inzwischen auch die eigenen Leute so wollen. Die CDU ist derzeit weniger eine Partei, in der man was wird, sondern eine, in der man was war.

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Ein Kreisvorsitzender hat Angela Merkel am Wochenende gesagt, in der Koalition gehe es zu wie in einer Kneipe.

(Foto: dpa)

Die Partei scheint zu zerbröseln. In der politischen Stimmung hat die bei der Bundestagswahl implodierte SPD die Union überholt - wenn auch auf niedrigem Niveau, was der CDU freilich kein Trost sein kann. Mit 52 Prozent Zustimmung ist die selbsternannte Kanzlerin aller Deutschen mittlerweile nur noch eine Kanzlerin des halben Volkes. Viele CDU-Mitglieder schämen sich für die Vorstellung der Regierung, die ihre Parteichefin in Berlin führt. Ein Kreisvorsitzender hat Angela Merkel am Wochenende gesagt, in der Koalition gehe es zu wie in einer Kneipe, was nicht für die Koalition spricht, allerdings auch nicht für die Kneipen, in denen sich Kreisvorsitzende der CDU offenbar bewegen.

Die Probleme der Regierung haben auf alle drei Parteien übergegriffen, die diese bürgerliche Koalition tragen wollten. Die CSU war schon in der Krise, als die Regierung gebildet wurde. Die FDP ist es seither. Die CDU kränkelt auch schon länger. Ihre Vorsitzende Merkel hoffte, man könne die Koalitionspartner bändigen und am Erfolg der gemeinsamen Arbeit auch die eigene Partei genesen lassen. Es war ein verhängnisvoller Irrtum. Deshalb leidet nun auch die CDU ganz allgemein an Schwindsucht - und die Autorität Angela Merkels im Besonderen.

Der Kern allen Übels ist die schlechte Regierungsarbeit, nicht nur im Stil, auch in der Sache. Das Kabinett hat unter Merkels Leitung ein Sparpaket vorgelegt, dessen wichtigste Philosophie im faulen Kompromiss zwischen den Koalitionspartnern besteht. Bis hinauf in die Führung der CDU geniert man sich für die unsoziale Schlagseite der Vorlage. Die Kanzlerin verteidigt das Werk. Andere Christdemokraten aber ergehen sich wegen ihres schlechten Gewissens in Schuldzuweisungen an FDP und CSU, stellen Korrekturen in Aussicht oder reagieren gereizt auf Kritik. Gefolgschaft aus Überzeugung sieht anders aus.

Der Rücktritt des Bundespräsidenten und der Termin zur Bestimmung seines Nachfolgers sind das zweite Übel. Eine Partei wie die CDU, die sich als staatstragend im besten Sinne versteht, sieht sich geradezu der Lächerlichkeit preisgegeben, wenn ein von ihr erwähltes Staatsoberhaupt einfach vor der Verantwortung davonläuft. Um aber den gewünschten Nachfolger durchzusetzen, muss die Koalition nun in Quarantäne gezwungen werden. Nichts darf mehr entschieden werden, was am 30. Juni die entscheidenden Stimmen kosten könnte. Dass Merkel mit der Präsidentenwahl vorübergehend erpressbar ist, wird mit jedem Dementi in Wahrheit noch deutlicher.

Der Koalitionspartner ist keine Hilfe

Und dann sind da noch Roland Koch und Jürgen Rüttgers. Zwei politische Antipoden in der CDU, beide bei Landtagswahlen mit zweistelligen Verlusten abgewatscht. Wenn sowohl die Konservativen als auch die Sozialdemokraten in der CDU selbst mit profilierten Köpfen keine Wahlen mehr gewinnen können, wenn also die Partei auf beiden Seiten ausfranst wie ein alter Teppich, wie breit ist dann eigentlich noch die Mitte, in der zu stehen die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende für sich in Anspruch nimmt?

Dabei sind ja die Abgänge nur das Eine. Mindestens so schwer wiegen für die Kanzlerin derzeit jene, die wieder auftauchen aus einer Vergangenheit, in der manche Rechnung mit Merkel offengeblieben ist. Goethes Zauberlehrling wird die Geister nicht mehr los, die er rief.

Bei Merkel ist es andersrum. Die Geister, die sie loswurde, rufen jetzt zurück: Horst Seehofer, einst im Kampf gegen Merkel und die Kopfpauschale aufgerieben, ist zur Revanche angetreten. Kurt Biedenkopf, mit dem vor zehn Jahren nach dem Willen vieler Christdemokraten eine Parteivorsitzende Merkel verhindert werden sollte, hat nun dafür plädiert, die Wahl des Bundespräsidenten von Parteizwängen zu befreien - ein Appell, der bei ausreichend Zuspruch der Anfang vom politischen Ende Merkels sein könnte.

"Wir haben die Kraft"

Der Koalitionspartner ist keine Hilfe. Nicht die FDP stützt Merkel. Die geschwächte Kanzlerin muss die FDP stützen. Guido Westerwelle sieht schweigend seiner allmählichen Entmachtung entgegen. Die FDP in Sachsen wählt Joachim Gauck, die Kubicki-FDP in Schleswig-Holstein macht sowieso, was sie will. Und Hessens liberaler Landeschef Jörg-Uwe Hahn erzielt mit seinem Gestänker gegen Merkel und Westerwelle erstaunliche Aufmerksamkeit, wenn man bedenkt, dass seine einzige bislang bekannte Qualifikation die enge Freundschaft zu Roland Koch war.

Die politische Kultur dürfe nicht so verkommen, dass man sich nicht mehr für seine Wahlversprechen verantwortlich fühle. Mit diesem Satz hat Merkel der SPD in Nordrhein-Westfalen am Wochenende Wortbruch vorgeworfen. Die Kanzlerin sollte vorsichtig sein. Ihr Slogan für sich und die CDU vor der Bundestagswahl hieß: "Wir haben die Kraft."

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