CDU: Falscher Doktor Jasper:Der tiefe Fall des Titelträgers

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No Dr.: Der CDU-Abgeordnete Dieter Jasper hat mit einem falschen Doktortitel Wahlkampf gemacht - und muss jetzt "harte Konsequenzen" fürchten. Er selbst sieht sich als Opfer.

Thorsten Denkler, Berlin

Der CDU-Abgeordnete Dieter Jasper hat schon jetzt Historisches geleistet. Sein Fall ist einzigartig in 60 Jahren bundesrepublikanischer Parlamentsgeschichte.

Spätestens Mitte kommender Woche entscheidet Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), ob sich der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages mit ihm befassen muss. Die Frage: Hat Jasper mit einem falschen Doktortitel den Wahlausgang bei der Bundestagswahl in seinem Wahlkreis zu seinen Gunsten verfälscht?

Seinen Wahlkreis Steinfurt III im nordrhein-westfälischen Münsterland hat er am 27. September nur knapp mit etwas mehr als 2.000 Stimmen Vorsprung gewonnen. Jasper, 47, trat im Wahlkampf noch als "Dr. Dieter Jasper" auf. Ein Ökonom, ein Wirtschaftsversteher, einer, der es bis in die Kienbaum-Unternehmensberatung geschafft hat. In einem seiner Wahlprospekte heißt es: "Mit seiner wirtschaftlichen Kompetenz setzt er sich dynamisch und zielführend für unsere Region ein." Heute sitzt er im Wirtschaftsausschuss des Bundestages.

"Dynamisch und zielführend" hat er wenige Jahre zuvor vor allem nach einem Weg gesucht, auf möglichst einfache Weise einen Doktortitel zu erwerben. Nach einem Weg, der frei ist von größeren Lernverpflichtungen und zeitraubenden Prüfungsvorbereitungen. Ein Doktor so nebenbei, neben seiner Arbeit im väterlichen Betrieb "Behälter- und Apparatebau Josef Jasper GmbH". Er wählte den einfachsten Weg.

Geld statt Grips

Jasper hat studiert, hat es an der Uni Münster zum diplomierten Wirtschaftswissenschaftler gebracht. Es fehlte ihm offenbar noch das Sahnehäubchen: 14 Jahre nach seinem Diplom kaufte er sich einen Doktortitel an der als Titelmühle verschrienen "Freien Universität Teufen" in der Schweiz.

Diese angebliche Universität ist in etwa so vertrauenswürdig wie die "Sofort-Kredit-ohne-Schufa"-Inserate im lokalen Anzeigenblatt.

Eine Briefkastenfirma, wie sie in der Schweiz auch mit diesem Namen legal zu betreiben ist, weil dort kein Hochschulgesetz das Wort "Universität" schützt. Jasper hat sich seine "Promotions-Urkunde" dort 2004 ausstellen lassen.

Dafür brauchte es keinen Grips, nur Geld.

"Die Urkunde gibt es ausschließlich auf Rechnung", weiß Manuel Theisen. Der Wirtschaftswissenschaftler an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit Titelmissbrauch. Die "Freie Universität Teufen" ist ihm wohlbekannt: "Teufen ist die allermieseste und allerälteste Titelmühle, die es gibt", sagt er zu sueddeutsche.de. Sie sei der "Marktführer" in dieser verrufenen Branche. Wer hier seinen Titel erwerbe, der wisse, was er tut.

Jasper bestreitet das bisher. In lokalen Medien erklärte er, er sei - "naiv" wie er war - Betrügern aufgesessen. Der CDU-Politiker beteuert, dass er erst 2009 durch Medienberichte über dubiose Titelkäufe aufgeschreckt worden sei.

Er habe dann eine Anwaltskanzlei beauftragt zu prüfen, ob sein Titel in Deutschland anerkannt sei. Das wenig überraschende Ergebnis: Jasper schmückt sich hierzulande zu Unrecht mit dem Titel.

Strategisch gut gesetzt ist der Zeitpunkt der plötzlichen Eingebung: Im Oktober 2009 ließ er den Titel überprüfen, also nach der Bundestagswahl und kurz vor Ablauf der Zweimonatsfrist, in der jeder Bürger die Wahl noch hätte anfechten können. Danach geht das nur dann, wenn der Bundestagspräsident sich persönlich der Sache annimmt.

"Schlicht Kokolores"

Still und heimlich strich er von nun an den Doktortitel aus seiner Biographie. Die Internetseite "www.dr-dieter-jasper.de" stellte er ab, bei den biographischen Angaben auf den Bundestagswebseiten taucht der Doktortitel nicht mehr auf.

Erst als ihn ein Lokaljournalist darauf anspricht, warum er seinen Titel nicht mehr führe, kommt die Geschichte zu Beginn des Jahres ins Rollen. Anfang Februar erreichten die ersten Beschwerden Bundestagspräsident Lammert, der nun entscheiden muss, ob er die Angelegenheit dem Wahlprüfungsausschuss des Bundestages übergeben will.

Manuel Theisen hält die Darstellung Jaspers schlicht für "Kokolores". Wer Geld für einen Doktortitel bezahle, müsse wissen, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Er könne sich "kein Szenario vorstellen, in dem jemand glaubhaft erklären kann, dass er da unwissentlich in etwas hineingelaufen ist".

Jasper verweist dagegen auf die Doktorarbeit, die er geschrieben habe. Das Thema dieser Arbeit: "Elemente und Strukturen von Managementsystemen in KMU (Klein- und Mittelständische Unternehmen) - Betriebswirtschaftliche Analyse für einen Betrieb der Metall verarbeitenden Industrie." Er hat die Arbeit auch seinem CDU-Kreisvorstand als Beweis vorgelegt. Teilnehmer berichten, das Werk sei merkwürdig dünn gewesen.

Experte Theisen hält das für wenig glaubwürdig: "In Teufen gibt niemanden, der eine Doktorarbeit entgegennehmen könnte". Keine Mitarbeiter, kein Büro. Nur einen Briefkasten.

Jaspers Argumentation könnte eine klassische Schutzbehauptung sein. Titelmissbrauch wird nach Paragraph 132a Strafgesetzbuch "mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft". Allerdings muss dem Täter Vorsätzlichkeit nachgewiesen werden. Jasper aber stellt sich als Opfer dar und hofft damit durchzukommen. Die Staatsanwaltschaft Münster prüft noch, ob gegen Jasper ermittelt werden soll, erklärte sie auf Nachfrage von sueddeutsche.de. In einem schreiben vom 23. Februar, das sueddeutsche.de vorliegt, vergab sie dem Fall das Aktenzeichen 72Js1347/10.

(Nachtrag vom 02. März 2010: Das bisherige Aktenzeichen weist mit der kennung "Js" fälschlicherweise auf ein Ermittlungsverfahren hin, das die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Immunitätsauschusses des Bundestages jedoch nicht einleiten darf. Da bisher der Immunitätsauschuss noch gar nicht mit dem Fall befasst ist, hat die Staatsanwaltschaft das Aktenzeichen in 500ar11/2010 geändert.)

Für Theisen ist die Sache klar: "In diesem Fall kann es gar keine Nichtvorsätzlichkeit geben."

Sollte Bundestagspräsident Lammert den Fall dem Wahlprüfungsausschuss vorlegen, womit allgemein gerechnet wird, könnte es auch politisch eng werden für Jasper. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Peter Altmeier wollte sich zwar nicht festlegen, wies aber Anfang der Woche darauf hin, das es in vergleichbaren Fällen im außerparlamentarischen Bereich "harte Konsequenzen" gegeben habe.

Lesen Sie auf Seite 2, was man bei SPD und Linken über die Causa denkt - und wie sich Jasper verhält.

Eindeutiger liegt die Sache für Altmeiers Amtskollegen von der SPD, Thomas Oppermann. Der sagte zu sueddeutsche.de, Jasper habe die Bürger "im Wahlkampf über seine akademischen Verdienste getäuscht. Er sei gut beraten, wenn er sein Mandat niederlegt".

Das rät ihm auch der renommierte Düsseldorfer Rechtsprofessor Martin Morlock. "Als Bürger will ich da nicht beschummelt werden", sagte er zu sueddeutsche.de.

Wer sich dagegen Hoffnung macht, der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages könnte bald eine Wahlwiederholung im Wahlkreis Steinfurt III empfehlen, muss diese wohl wieder begraben. Morlock: "Seit Bestehen der Bundesrepublik hat der Wahlprüfungsausschuss noch nie eine Wahlanfechtung für begründet erklärt." Das werde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch diesmal nicht passieren.

Das Problem: Es muss belastbar nachgewiesen werden, dass Jasper ohne seinen Doktortitel den Wahlkreis nicht gewonnen hätte. So etwas aber lässt sich "praktisch nie nachweisen", sagt Morlock.

Freispruch zweiter Klasse?

Entsprechend vorsichtig äußert sich Michael Hartmann, der für die SPD in dem Ausschuss sitzt, im Gespräch mit sueddeutsche.de: Auch wenn er den Fall für durchaus gravierend hält, wolle er ihn aus dem Parteiengezänk heraushalten. "Herr Jasper hat das Recht auf eine faire Prüfung."

Die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken-Fraktion, Dagmar Enkelmann, die ebenfalls im Wahlprüfungsausschuss vertreten ist, sieht die Chance ebenfalls als eher gering an, dass der Ausschuss eine Wahlwiederholung empfiehlt. Allerdings werde das nach Lage der Dinge sicher nur "ein Freispruch zweiter Klasse" sein.

Ihr sind die Hürden für eine Wahlwiederholung zu hoch. Sie plädiert dafür, "dass eine Wahl künftig schon dann wiederholt werden kann, wenn eine Wählertäuschung vorliegt, wie jetzt beim falschen Dr. Jasper", sagte sie zu sueddeutsche.de.

Jasper ist derweil abgetaucht. Die Fraktionssitzung am Dienstag hat er nicht besucht, auf telefonische Anfragen hat er tagelang nicht reagiert. Zuletzt ließ er von einer Mitarbeiterin ausrichten, er wolle sich zu der Sache nicht mehr äußern, bis der Bundespräsident entschieden habe.

"Neu bewerten"

In seinem CDU-Kreisverband Steinfurt lässt man Jasper noch gewähren. Auch wenn es fassungslose Gesichter gegeben haben soll, als Jasper im Vorstand zur Beichte antrat. Wegnehmen kann ihm das Abgeordnetenmandat niemand. Der Druck könnte aber steigen, sein Mandat freiwillig zurückzugeben.

Im Moment spricht aus Sicht des Kreisverbandes dagegen, dass dann der Wahlkreis Steinfurt III in Berlin von der CDU nicht mehr vertreten wäre. Wenn aber Jasper wegen Titelmissbrauchs verurteilt werden würde, dann wäre wohl auch für den von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann geführten Kreisverband eine Grenze erreicht.

"Wir müssten die Sache dann sicher neu bewerten", sagte CDU-Kreisgeschäftsführer Johannes Machill zu sueddeutsche.de.

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