CDU:Warum Merkel in der Flüchtlingskrise die Zeit davonläuft

Bundestag

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag.

(Foto: dpa)

Vor zwei Wochen beteuerte Merkel: "Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff." Doch inzwischen hat die Lage die Bundeskanzlerin im Griff.

Kommentar von Robert Roßmann

Am Ende haben sie die deutlichsten Sätze doch noch einmal herausgestrichen. Besonders angenehm ist das Ergebnis für die Kanzlerin trotzdem nicht. Die innenpolitischen Sprecher der Union aus Bund und Ländern - also die versammelten Experten von CDU und CSU - haben zwei Tage lang beraten, was in der Flüchtlingspolitik zu tun ist. Herausgekommen ist eine "Berliner Erklärung", in die man viel hineindeuten kann - aber sicher keine klare Unterstützung der Kanzlerin.

Im Entwurf für die Erklärung stand noch: "Die Zustimmung zur Asyl- und Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ist in den zurückliegenden Wochen erheblich gesunken. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ist das Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit erschüttert." Derlei Sätze in einem Papier der Union wären nicht zu Unrecht als offener Angriff auf die eigene Kanzlerin verstanden worden. Die Innenpolitiker tilgten sie deshalb aus der Erklärung.

Schon jetzt halten drei Viertel der Deutschen die Union für zerstritten

Dass die beiden Sätze eine zutreffende Beschreibung der Realität sind, glauben die Innenpolitiker allerdings noch immer. Sie wollten die Auseinandersetzung um Merkels Flüchtlingskurs nur nicht über Gebühr befeuern. Schon jetzt halten drei Viertel der Deutschen die Union für zerstritten, das hilft keiner Seite. Aber auch die weichgespülte Version des Textes hat es noch in sich. Die Innenpolitiker erklären die "Multikultigesellschaft für gescheitert". Sie fordern, die Zuwanderung endlich "auf ein Maß zu begrenzen, das die gesellschaftliche Akzeptanz nicht übersteigt". Bei der Vorstellung ihres Papiers verlangten die Experten sogar, Flüchtlinge vorübergehend an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Nach der von Merkel postulierten Willkommenskultur klingt nichts von alledem.

Zwei Wochen vor dem CDU-Parteitag manifestiert sich in der Union immer deutlicher der Widerstand gegen Merkel. Zwar will in der CDU niemand von Rang eine neue Kanzlerin, aber immer größere Teile der Union verlangen eine Abkehr von ihrer Flüchtlingspolitik. Wolfgang Schäuble und Thomas de Maizière haben ihre Bedenken längst signalisiert. Die Junge Union hat sogar einen Antrag eingereicht, in dem sie eine Obergrenze für die Flüchtlingszahl fordert. Die CSU will das schon lange, Horst Seehofers Schurigeln der Kanzlerin auf seinem Parteitag hat das nur noch einmal verdeutlicht.

Der CDU geht die Geduld mit Merkel verloren

Der Kanzlerin rennt ihr bisher wichtigster Verbündeter davon: die Zeit. In der Vergangenheit hatte Merkel fast immer abgewartet, bis Entscheidungen "reif" waren und weitgehend risikolos getroffen werden konnten. Doch diesmal ist alles anders. Jeden Tag kommen Tausende neuer Flüchtlinge. Trotz aller Bemühungen, die Zahlen zu reduzieren, steigen sie auf immer neue Rekordmarken. Gleichzeitig liegt das zweite Paket zur Verschärfung des Asylrechts, auf das sich die Parteichefs der Koalition bereits verständigt hatten, wieder auf Eis. Auch die Hilfe der anderen Europäer, auf die Merkel so stark setzt, ist noch in weiter Ferne.

Die Kanzlerin muss auf die Geduld ihrer Partei hoffen, aber die geht der CDU gerade verloren. "Die Bundeskanzlerin hat die Lage im Griff", beteuerte Merkel vor zwei Wochen. Zumindest was die Flüchtlingspolitik angeht, war dieser Satz aber eher Autosuggestion als Analyse. Denn zur Zeit hat eindeutig die Lage die Bundeskanzlerin im Griff.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: