CDU-Bundesparteitag:Merkel wirbt für radikale Sozialreformen

Die CDU-Vorsitzende hat in Leipzig einen "richtigen Befreiungsschlag" gefordert. Die CDU werde der Reformmotor der Bundesrepublik sein. Das Herzog-Papier zur Finanzierung der Gesundheitskosten nannte sie eine "neue Form des sozialen Ausgleichs". Bundeskanzler Schröder warf sie Reformunfähigkeit vor und sprach sich gegen "Steuersenkungen auf Pump" aus.

(SZ vom 2.11.2003) - Auf dem Parteitag in Leipzig werde das größte und umfassendste Reformpaket beraten, das es in der CDU seit langem gegeben habe, kündigte Merkel an. "Entweder wir Deutschen werden vom Wandel überrollt, oder wir schaffen es, den Wandel zu gestalten." Die Partei setze sich zum Ziel, dass Deutschland bei wirtschaftlichem Wachstum, den Investitionen, bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bei der Qualität der Bildung "in zehn Jahren wieder auf einem der ersten drei Plätze in Europa" stehe.

Merkel nannte die Reform der sozialen Sicherungssysteme unausweichlich. "Unser bisheriges System ist an seine Grenzen gelangt." Das Herzog-Papier sei der richtige Weg, um die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abzukoppeln. Sie wies die Kritik zurück, dass die von der CDU geplante Kopfpauschale unsozial sei. Vielmehr werde durch sie und den zusätzlichen steuerfinanzierten Ausgleich "ein Mehr an Gerechtigkeit ermöglicht".

Niemand werde zum Zeitpunkt der Umstellung auf die Herzog-Prämie mehr zahlen als er heute an Gesundheitskosten trage. Geringverdiener werden laut Merkel nicht schlechter gestellt sein, Bezieher großer Einkommen müssten einen stärkeren Beitrag als bisher leisten. Das Modell sieht vor, dass die Krankenversicherten nicht mehr lohnabhängige Beiträge bezahlen, sondern eine fixe Pauschale.

Eklat bei Hohmann-Debatte

Der steuerfinanzierte Ausgleich beim Herzog-Konzept soll laut Merkel zudem Familien entlasten. Mit dem Prämienmodell werde es nicht dazu kommen, dass "Geringverdiener zu Bittstellern bei Sozialämtern werden müssten", wie manche dies befürchteten.

Das Modell einer Bürgerversicherung bezeichnete die CDU-Chefin als falschen Weg. Altbundespräsident Herzog hielt in Leipzig ein Plädoyer für eine kinderfreundliche Gesellschaft und ein konfliktfreies Zusammenleben der Generationen.

Damit mehr Wachstum erreicht werden könne, müssten nicht nur ältere länger arbeiten, sondern auch die Spielräume bei jungen Menschen genutzt werden. Herzog forderte frühere Einschulungen, kürzere Schul- und Studienzeiten und die Straffung von Lehrinhalten.

Merkel räumte ein, dass sie der CDU mit den Reformvorhaben "einiges zugemutet habe". Dieses Werk verlange der Partei auch im Verhältnis zur CSU viel ab. Die Vorsitzende betonte die Notwendigkeit einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Schwesterpartei. "Die CDU braucht eine starke CSU, die CSU braucht eine starke CDU", sagte sie.

Merkel distanzierte sich erneut vom umstrittenen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann und rechtfertigte die Entscheidung, Hohmann aus der Bundestagsfraktion auszuschließen. Sie wies darauf hin, dass zu den wichtigsten geistigen und politischen Wurzeln der CDU der christlich motivierte Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime zähle.

"Für eine solche Partei gehöre "die fortwährende Anerkennung der Singularität des Holocaust" zur Aussöhnung der Deutschen mit sich selber. Wer durch sein Verhalten Zweifel daran begründe, dass er zu den Grundwerten der Partei stehe, müsse "diese Zweifel ausräumen", sagte Merkel. "Wenn das in angemessener Zeit nicht geschieht, müssen wir die Konsequenzen ziehen, so schmerzlich sie menschlich auch sind."

In der Aussprache nach Merkels Rede löste der Beitrag eines Delegierten aus Nordrhein-Westfalen heftige Reaktionen aus. Leo Lennartz warf der Parteiführung vor, dass Hohmann "nicht die Chance eines fairen Verfahrens" gehabt habe. Schon während seiner Rede gab es Protestrufe. Anschließend verteidigten die Spitzenpolitiker Annette Schavan und Jürgen Rüttgers das Vorgehen gegen Hohmann. "Ich will mit solchen Leuten nicht in einer Partei sein", sagte Rüttgers als Antwort auf die Parteinahme Lennartz' für Hohmann.

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