CDU-Bildungsministerin Annette Schavan:Merkels Blitzableiterin ringt um die Zukunft

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"Die wollen den Streit, egal wie": Annette Schavan hat in der CDU Ärger wegen ihrer angestrebten Bildungsreform. Und nicht nur deshalb. Viele Parteifreunde laden bei ihr den Zorn ab, der sich gegen die Kanzlerin richtet. Merkels enge Vertraute kämpft gegen das politische Aus und die Demütigungen - mit demonstrativ guter Laune.

Stefan Braun

Es ist sechs Uhr dreißig, und Annette Schavan lächelt, als sie in den Bus steigt. Um sie herum wirken alle noch ein bisschen verschlafen. Die Bundesbildungsministerin aber gibt sich fröhlich, es soll ja auch ein guter Tag werden. Sie könnte gute Tage gut gebrauchen in diesen Wochen.

Bildungsministerin Annette Schavan: "Wenn sich die Welt ändert, darf die CDU nicht stehenbleiben." (Foto: dapd)

Heute also mal nicht Berlin, keine Bildungspolitik, keine CDU, heute wird Annette Schavan den Vertrag für ein neues Tiefseeforschungsschiff unterschreiben, zum Start in ihre Sommerreise. Im sechsten Jahr ihrer Amtszeit ist das die erste Reise dieser Art - und Lästermäuler in der CDU spekulieren, dass es zugleich die letzte der Ministerin sein könnte.

Die 56-Jährige, die seit bald vierzig Jahren der CDU angehört und seit zwölf Jahren stellvertretende Parteichefin ist, steht vor den schwierigsten Wochen ihrer Karriere. Für sie ist es längst ein Sommer des Missvergnügens geworden, der in einem Herbst des Scheiterns sein Ende finden könnte. Aus den Misstönen, die ihre Pläne für eine Bildungsreform in der Partei ausgelöst haben, ist ein großer Krach geworden. Und dabei, das macht die Sache für Schavan so schwierig, geht es den Kritikern inzwischen auch um den Krach selber. "Die wollen den Streit, egal wie", heißt es in der CDU-Spitze.

Eigentlich sollte das Jahr 2011 Schavans Jahr werden. Sie wollte ihre Partei an einer weiteren wichtigen Stelle modernisieren, wollte sie an die Realitäten anpassen - insbesondere mit Blick auf die sterbende Hauptschule. Doch während eine große Mehrheit der Bevölkerung das richtig findet, wird sie dafür in der eigenen Partei bekämpft, als wolle sie die CDU mit der Linkspartei fusionieren.

Derzeit scheinen keine Kompromisse möglich - und Schavan steht in einem schwierigen Augenblick vor einem schweren Parteitag. Lehnt die Partei ihre Pläne im November ab, wird es schwer, einfach weiterzumachen. Schavan ärgert sich darüber, aber der Streit um ihre Bildungsreform dürfte über ihre politische Zukunft entscheiden.

Dass es soweit gekommen ist, liegt keineswegs nur an Schavan und ihren Reformideen. Natürlich soll sich was ändern. Aus Schavans Sicht aber nicht, weil sie die Hauptschule furchtbar findet. Selbst an diesem Freitag in Rostock sagt sie, der Hauptschulabschluss solle erhalten bleiben, und sei es unter einem Dach mit Realschulen. Keiner soll eine Hauptschule schließen müssen, aber diese Schulform dürfe nicht einfach ausbluten. "Wenn sich die Welt ändert, darf die CDU nicht stehenbleiben."

Mindestens so wichtig wie der Streit um die Sache ist die Entwicklung der CDU in den vergangenen zwölf Monaten. Die Partei ist unruhig und verärgert über die von oben verordnete Atomwende, sie ist verunsichert und erschöpft durch die fortwährende Euro-Krise, und sie kam aus der Spur, als sie in Baden-Württemberg die Macht verlor. Wer verstehen will, warum Schavan nun in Frage gestellt wird, darf das nicht außer Acht lassen: Die Attacken gegen Schavan sind quasi zu einem Ventil für das aufgestaute Unbehagen geworden. Die Ministerin bekommt auch Zorn ab, der sich eigentlich gegen andere richtet, nicht zuletzt gegen Angela Merkel. Der Spiegel nennt Schavan treffend die "Watschenfrau".

Enge Vertraute: Annette Schavan (rechts) mit Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag. (Foto: dapd)

Ob die Politikerin das politisch überstehen kann? Hohe Wetten gehen Christdemokraten darauf derzeit nicht ein. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat sich Schavan entschieden, der Debatte mit demonstrativ guter Laune entgegenzutreten. Keiner soll denken, sie werde sich durch die Angriffe kleinmachen lassen. Sie schleicht sich nicht ihrem ganz persönlichen Herbst der Entscheidung entgegen, sondern sie wirft sich mit Anlauf unter die Leute. Das klingt zwar fast wie ein Widerspruch zu der öffentlich oft spröden und unnahbaren Christdemokraten. Aber die promovierte Theologin weiß, worauf es jetzt ankommt.

Niemand soll denken, sie - womöglich auch noch, weil sie eine Frau ist - werde sich dem Druck beugen. Deshalb vergeht kaum ein Tag ohne Interview, in dem sie sich verteidigt; deshalb stürzt sie sich in eine Sommerreise, um ihr Gesicht zu zeigen; und deshalb wird sie auch noch auf vier Regionalkonferenzen für ihr Konzept werben.

Lange wurde Schavan von vielen innerhalb und außerhalb der eigenen Partei belächelt, als graue Maus des Kabinetts abgetan. Jetzt aber erinnert ihre Energie fast schon an Ursula von der Leyen, als diese den Ausbau der Kinderbetreuung durchsetzte.

Schavans ungekannter Aktionismus ist freilich auch eine Antwort auf die Demütigungen, die sie vor der Sommerpause erfuhr. Erst verweigerte ihr der eigene Kreisverband bei einer Abstimmung die Wahl als Delegierte für den Bundesparteitag. Dann bekam sie Ende Juli, auf dem Landesparteitag der Südwest-CDU, durch demonstrativen Nichtbeifall auch noch die Kälte der Verlierer in Stuttgart zu spüren.

So etwas schmerzt, und es sollte schmerzen. Das ist das Ziel jener Kritiker, die gegen Merkels vielleicht engste Vertraute antreten. Es schwingt auch etwas mit, über das Schavan nie reden würde: Ausgerechnet Erwin Teufel und Stefan Mappus, die sich zuvor immer als enge Verbündete gaben und von Schavan loyal unterstützt wurden, sind ihr in den Rücken gefallen.

Hinzu kommt, und da wird die Geschichte fast absurd, dass Schavan ihre Schulreform, die hinter den Kulissen auch die Kanzlerin eingefordert hatte, absolut transparent vorbereitet hat. Vor einem Jahr ließ sie das Thema Bildung als Hauptthema auf dem Bundesparteitag beschließen. Danach begann eine kleine Gruppe, zu der auch der Generalsekretär der Adenauer-Stiftung, Michael Thielen, und Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann gehörten, einen Entwurf auszuarbeiten.

Im Juni dann stellte Schavan diesen Entwurf gemeinsam mit Sachsens Kultusminister Roland Wöller vor. Entsprechend erhielt die Partei bis zum Parteitag vier Monate Zeit, sich eine Meinung zu bilden. Während die Energiewende von oben verkündet wurde, suchte Schavan einen sehr demokratischen Weg, holte sich mehrere Länderminister an die Seite - und erntet doch den Vorwurf, die Spitze wolle schon wieder etwas Neues erzwingen.

Seither sitzt Schavan in der Bredouille und kann nicht sicher sein, ob sie noch mal rauskommt. Sie weiß, dass es um alles geht - ausgerechnet in einer Frage, in der noch kein Bundesbildungsminister erfolgreich vom Platz ging. "Jeder Bildungsminister steht unter einem doppelten Druck", stellt Schavan in einer ruhigen Minute fest, "die einen Kritiker erklären immer, dass Bildung Ländersache ist und deshalb die Bundesbildungsministerin gar nichts angeht. Und die anderen stellen permanent die Frage, warum die Bildungsministerin gerade bei der Bildung so gar nichts hinkriegt."

Also habe man bei diesem Thema immer Ärger, egal was man tue. Entsprechend müsse man stark im Nehmen sein, um den Druck auszuhalten. Andernfalls nämlich, und das sagt sie nur sehr leise, könne man "auch zugrunde gehen an den widerstreitenden Ansprüchen".

Am Freitag immerhin war diese Gefahr gering. An diesem Tag drückt Schavan viele Hände, unterschreibt Verträge und macht damit die deutschen Meeresforscher glücklich. Die bekommen ein neues Schiff, da lässt sich nun wirklich nichts sagen.

Nur einmal kommt das Thema Hauptschule doch auf. Als die Ministerin bei der Führung durch die Neptun-Werft in die Lehrwerkstatt eintritt, empfängt sie ein erfahrener, vom Wetter gegerbter Ausbilder. Gefragt nach der Herkunft der Lehrlinge, antwortet der Mann im Blaumann, die meisten seien von der Realschule. Und wo blieben die Hauptschüler? Na ja, von denen gäbe es auch welche. Aber die Abschlussprüfungen seien doch zu anspruchsvoll für die meisten.

Schavan lächelt eine Sekunde lang. Es bleibt ein Tag, an dem sie mal Ruhe vor den Nörglern hat.

© SZ vom 20.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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