CDU-Basis kontra Koalitionsvertrag:An der Grenze zur Demontage

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Stück für Stück pflücken die Delegierten des kleinen Parteitages der CDU den Koalitionsvertrag auseinander. Was der triumphale Abschluss schwarz-gelber Verhandlungen sein sollte, verkommt zu einem Symposium der Traurigkeit.

Thorsten Denkler, Berlin

Angela Merkel tritt ans Rednerpult. Und vor ihr quatschen die Delegierten. Ein paar nur merken auf, setzen sich, ohne ihre Gespräche einzustellen. Ein kurzer, trockener Applaus setzt ein.

"Diesem Anfang wohnt offenbar kein Zauber inne", wie ein CDU-Landesminister zusueddeutsche.degesagt hat: der kleine Parteitag der CDU - mit Kanzlerin Merkel und dem designierten Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. (Foto: Foto: AP)

Man könnte es für einen kühlen Empfang halten. Und das für eine Frau, die ihre Kanzlerschaft verteidigen konnte, die nach elf Jahren die Herzenswunschkonstellation der Konservativen zustande gebracht hat.

Auch nach ihrer eher mäßigen Rede: Niemand erhebt sich, um im Stehen zu applaudieren, was wohl angemessen wäre. Was folgt, ist eine offene Demontage des Koalitionsvertrages. Redner für Redner. Die Stimmung: regelrecht mies.

Wer gestern die Siegesfeier der Liberalen im Hangar 2 am Flughafen Tempelhof miterlebt hat, der muss den kleinen Parteitag der CDU im Hotel Berlin für einer Trauerfeier halten.

Merkel müht sich redlich, die positiven Botschaften des Koalitionsvertrages zu vermitteln. Sie scheitert, Applaus bekommt sie kaum. Und wenn, so offensichtlich aus Höflichkeit, dass er fast schon wieder peinlich wirkt.

Symposium der Traurigkeit

Nach Merkel spricht Ronald Pofalla. Er verabschiedet sich von den Delegierten als Generalsekretär der Partei. Und wieder: kaum Beifall für Pofalla, der vier Jahre im Amt war, zig Wahlkämpfe und Bundesparteitage organisiert hat. Was für ein trauriger Abschied.

Vollends zu einem Symposium der Traurigkeit macht die ganze Veranstaltung der ostdeutsche CDU-Politiker Arnold Vaatz. Der hatte im Bundesvorstand gegen den Koalitionsvertrag gestimmt. Wegen der Gesundheitspolitik. Er fürchtet, dass die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung auf dem Spiel steht. Besser gesagt: er fürchtete.

Etwas verunglückt bedankt er sich zu Beginn bei allen, die den Koalitionsvertrag in den vergangenen Wochen "so rund gemacht haben". Es schien so, als würde er damit eine flammende Rede gegen den Koalitionsvertrag einleiten. Aber es muss etwas passiert sein seit seinem Nein im Bundesvorstand und seinem Auftritt hier im Hotel Berlin.

Im Video: Die beiden Unionsparteien haben am Montag grünes Licht für den schwarz-gelben Koalitionsvertrag gegeben. Bereits am Sonntag hatte die FDP dem Papier zugestimmt. Weitere Videos finden Sie hier

Vaatz windet sich, verstolpert manches Wort, es scheint ihm körperlich zu widerstreben, auszusprechen, was er jetzt sagt: "Nach einer Reihe von Gesprächen habe ich gemerkt, dass ich meine Bedenken zurückstellen kann."

Volker Kauder versucht noch mal mit einer eher brachialen als flammenden Rede, die Stimmung zu drehen. Er schafft es nicht. Er muss förmlich werben dafür, dass Schwarz-Gelb irgendwie doch eine tolle Sache sein könnte. "Die FDP ist eine andere Partei als die christliche demokratische Union", sagt er. Aber: "In vielen Fragen ist es einfacher und leichter als mit den Sozialdemokraten." Er verteidigt wacker die CDU-Politik in der großen Koalition: "Wir haben weder unsere Grundsätze noch unseren Kompass verloren." Vereinzelt klatschen müde ein paar die Hände zusammen.

Ingrid Sehrbrock, CDU-Frau und zugleich stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, spricht aus, was hier offenbar viele denken: "Was da steht, ist mir ein bisschen zu viel FDP."

Regina Görner, bis 2004 Sozialministerin im Saarland und seit 2000 Bundesvorstandsmitglied, sorgt dafür, dass jede Hoffnung auf einen triumphalen Abschluss der Koalitionsverhandlungen beerdigt werden kann. Punkt für Punkt zerpflückt sie das Vertragswerk.

"Wenn es schon keinen einheitlichen Mindestlohn geben soll", sagt sie, dann müsse die Partei wenigstens in der Leiharbeit, "auf die Neoliberalen zugehen". Richtig gelesen. Das ist keine Sozialdemokratin oder Linke, die da über eine neoliberale FDP gewettert hat. Es ist ein CDU-Bundesvorstandsmitglied. Görner fragt: "Was soll das, dass wir in die Pflegeversicherung Elemente der Kapitalversicherung einbringen wollen?" Und vergleicht das mit Zuständen in den USA. "Wer weiß, was das bedeutet, der muss unbedingt festhalten an der Umlagefinanzierung."

Sogar Peter Müller, dank der Grünen bleibender Ministerpräsident im Saarland, sieht keinen Grund zu jubeln. Den Koalitionsvertrag nennt er versehentlich "Diskussionsvertrag". Die Ergebnisse der vergangenen Wahlen nennt er "nicht zufriedenstellend". Müller zählt die Minusrekorde bei den vergangenen Landtagswahlen und der Bundestagswahl auf. "Das sind Stimmenergebnisse, die unserem Anspruch, die große Volkpartei der Mitte zu sein, nicht entsprechen und deshalb müssen wir über diese Dinge reden."

Dann kommt Müller zur Sache: "Ich glaube nicht, dass die Antwort auf die Frage, wer hat die Lasten zu tragen, zu lauten hat: Das müssen die Versicherten sein." Applaus an dieser Stelle. "Ohne Solidarität hat Deutschland kein gute Zukunft." Der Koalitionsvertrag sei lediglich eine gute Grundlage, "aber nicht das Ende der Debatte".

"Diesem Anfang wohnt offenbar kein Zauber inne", sagt ein CDU-Landesminister sueddeutsche.de. Es scheint fast, als sehne sich die Partei plötzlich nach den guten alten großkoalitionären Zeiten zurück.

Ein Vertragsverteidiger nach dem anderen beißt sich an den Delegierten die Zähne aus. Roland Koch versucht es damit, dass es gelungen sei, die Kommunisten von der Macht fernzuhalten. Aber nicht mal diese Knopfdruck-Rhetorik zündet. Natürlich, der Koalitionsvertrag wird einstimmig angenommen. Selbst die christdemokratische DGB-Frau Sehrbrock prophezeite zuvor: "Wir werden hier keine Kampfabstimmung machen, davon gehe ich aus."

Den schwarz-gelben Neustart aber hat die CDU hier vollends vergeigt.

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