Carles Puigdemont:Der Träumer Kataloniens

Vor Parlamentsauftritt des katalanischen Regierungschefs

Hatte das "Köfferchen für das Gefängnis schon gepackt": Carles Puigdemont, der Regionalpräsident Kataloniens, bei der Vorbereitung seiner Rede vom Dienstagabend.

(Foto: dpa)
  • Der katalanische Regionalpräsident Puigdemont hat sich verkalkuliert.
  • Weder unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung seiner Heimatregion die Abspaltung Kataloniens noch hat er die Unterstützung der europäischen Nachbarn.
  • Allerdings hatte der 54-Jährige schon vor dem Referendum erklärt, dass er nun aus der ersten Reihe der Politik zurücktreten wolle.

Von Thomas Urban, Barcelona

Das spitzbübische Lächeln, sein Markenzeichen, ist aus Carles Puigdemonts Gesicht verschwunden. Durch seine altmodische Pilzkopffrisur ziehen sich erste graue Strähnen. Der katalanische Regionalpräsident erlebt Tage allergrößter Anspannung. Er hat sich völlig verkalkuliert: Weder unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung seiner Heimatregion sein Lebensprojekt, die Schaffung einer unabhängigen Republik Katalonien, noch hat er Unterstützung bei den europäischen Nachbarn gefunden.

Und der Druck zeigt Wirkung: In seiner Rede am Dienstagabend vor dem Regionalparlament erklärt Puigdemont Katalonien nicht für unabhängig.

Zumindest noch nicht. Es war ein hohes Maß an politischer Naivität, dass er glaubte, die 90 Prozent Zustimmung im illegalen Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens am 1. Oktober würden die Politiker in anderen EU-Staaten beeindrucken. Das tun sie nicht, weil die Wahlbeteiligung bei ganzen 43 Prozent lag. Ebenso hat er nicht erkannt, dass die spanische Verfassung, welche die Abspaltung einer Region verbietet, in den Augen der EU-Politiker eine rote Linie zieht, die nicht überschritten werden darf.

Rajoy strebt die Stärkung der Zentralregierung an

Vor allem aber hat er die Härte und Sturheit seines politischen Hauptgegners in Madrid unterschätzt, des konservativen Premierministers Mariano Rajoy. Beide trennt ein unüberwindlicher Interessengegensatz: Während Puigdemont denkt, die gut organisierten, gründlichen, fleißigen und sparsamen Katalanen würden ihr Land mit seiner modernen Industrie am besten selbst regieren, strebt Rajoy die Stärkung der Zentralregierung an.

Wenn man Puigdemonts Mitarbeitern Glauben schenken darf, ist zwar seit seinen Jugendtagen die Unabhängigkeit Kataloniens sein Traum, doch hätte er sich vorläufig begnügt mit einer Ausweitung der autonomen Rechte, vor allem bei der Verteilung von Finanzen. Doch sollte er wirklich an die Chancen eines Kompromisses geglaubt haben, so war auch dies ein Irrtum: Rajoy, die spanische Justiz und den Sicherheitsapparat im Rücken, hat Verhandlungen über die weitere Abgabe von Kompetenzen an Barcelona stets abgelehnt, etwa beim umstrittenen Finanzausgleich zwischen den Regionen.

Im Gegensatz zu dem Bild, das die Madrider Medien von ihm zeichnen, ist Puigdemont kein Fanatiker, kein Demagoge. Er ist überzeugter Europäer und das Gegenteil eines Einpeitschers, auch in seinen Reden legt er Wert auf einen verbindlichen Grundton. Mitarbeiter beschreiben seinen Regierungsstil als kumpelhaft; all das Gravitätische, das Rajoy zelebriert, ist ihm fremd. Mit seiner jungenhaften Art wirkt er ein wenig verloren in dem prachtvollen gotischen Regierungspalast in Barcelona.

Madrid schaltete die Internetportale für das Referendum ab

Politiker und Diplomaten aus mehreren EU-Staaten haben ihm in inoffiziellen Gesprächen klargemacht, dass es jetzt seine wichtigste Aufgabe sein müsse, die Emotionen seiner Landsleute zu dämpfen. Auch sein Vorgänger im Amt des Regionalpräsidenten, Artur Mas, der Barcelona erst auf Unabhängigkeitskurs gebracht hatte, sieht es angesichts der jüngsten Entwicklung so: "Die Zeit ist nicht reif für die katalanische Unabhängigkeit!"

Bis zum Tag des Referendums hatte Puigdemont noch ausgesehen wie der pfiffige Sieger in einem großen Hase-und-Igel-Spiel mit der Zentralregierung unter dem ewig griesgrämigen Rajoy: Die nationale Polizei beschlagnahmte Wahlzettel für das illegale Unabhängigkeitsreferendum - Puigdemonts Leute twitterten, wie sie im Internet ausgedruckt werden können. Madrid schaltete die Internetportale für das Referendum ab - wenig später waren sie wieder über Server im Ausland zu erreichen. Auch am Wahltag selbst war er gewitzter: Die Polizei hielt seine Wagenkolonne an, um die Weiterfahrt zu seinem Wahllokal zu blockieren. Doch er war zuvor in einem Tunnel in einen anderen Wagen umgestiegen und votierte ungehindert an einem anderen Ort, das katalanische Fernsehen war dabei.

Puigdemont will aus der ersten Reihe der Politik zurücktreten

Allerdings hatte der 54-jährige Puigdemont schon vor dem Referendum erklärt, dass er nun aus der ersten Reihe der Politik zurücktreten wolle. Er strebe nicht an, erster Präsident einer Republik Katalonien zu werden, so sehr diese für ihn auch Herzenssache sei. Der Aufsteiger vom Dorf - seine Eltern betrieben eine Konditorei, er ist das zweite von acht Kindern - war mehrere Jahre lang unangefochten Bürgermeister der Großstadt Girona im Norden Kataloniens, dort fühlte er sich wohl.

Allerdings wirkt Puigdemont keineswegs wie ein Provinzpolitiker. Er reiste vor seinem Wechsel in die Politik als Reporter viel durch Europa. Auf internationalem Parkett punktet er mit exzellentem Französisch und Englisch, womit er Rajoy, der keine Fremdsprache spricht, klar in den Schatten stellt. Viele Kontakte hat er in die neuen EU-Staaten in Osteuropa geknüpft, von dort bekam er viel Zuspruch für seinen Kurs gegen Madrid. Glaubhaft kann er behaupten, dass er die Probleme der Osteuropäer kennt, sogar aus erster Hand, denn seine Frau ist Rumänin. Er lernte sie vor 20 Jahren kennen, als sie mit einer Theatertruppe nach Katalonien kam. Als ihre Romanze begann, war sie gerade 20, er ist 15 Jahre älter. Die beiden heirateten nach orthodoxem Ritus, er spricht mittlerweile auch fließend Rumänisch, ihre beiden Töchter wachsen dreisprachig auf.

"Mein Köfferchen für das Gefängnis habe ich schon gepackt", sagte Puigdemont in einem Fernsehinterview vor seinem Auftritt am Dienstag, ohne Pathos. Er sei schon lange auf seine Verhaftung "wegen Rebellion" eingestellt. Das droht ihm nun erst einmal wohl nicht. Mit dem Versuch, seinen Landsleuten einen Staat zu bescheren, ist er vorerst gescheitert.

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