Unruhen in Ostafrika:Burundis Führung riskiert den Völkermord

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Die Stimmung wird aggressiver: Empörte auf den Straßen Burundis. (Foto: Dai Kurokawa/dpa)
  • In Burundi werden die Volksgruppen der Hutu und Tutsi gegeneinander aufgehetzt.
  • Ursache ist ein Machtkampf um die politische Führung des Landes.
  • Die Rhetorik weckt Erinnerungen an den Völkermord im Nachbarland Ruanda.

Von Tobias Zick, Kapstadt

"An die Arbeit" - ein Aufruf zum Völkermord

Es sind nur ein paar banale Worte, die den Tod bedeuten können. Die Regimegegner müssten binnen einer Woche ihre Waffen abgeben, sagte Révérien Ndikuriyo neulich, der Präsident des Senats von Burundi- ansonsten würden die Sicherheitskräfte sich "an die Arbeit" machen.

"An die Arbeit", das mag in den meisten Teilen der Welt nach einem ehrbaren Appell an eine pflichtbewusste Belegschaft klingen, doch in der Region der Großen Seen in Ostafrika, in der dieser kleine Staat Burundi liegt, weckt die Parole schlimmste Erinnerungen. "An die Arbeit", das war ein Aufruf, den der berüchtigte Radiosender "Mille Collines" im benachbarten Ruanda 1994 immer wieder ins Land hinausposaunte - und ein Großteil der Hörer wusste sehr wohl, wie diese notdürftig verklausulierte Botschaft zu verstehen war: als Aufforderung zum Massenmord, an den Angehörigen der Tutsi-Minderheit.

Aufgepeitscht von der Ideologie namens "Hutu Power", verrichteten die Mörderbanden ihre Arbeit derart effizient, dass die Geschichte nicht viele ähnliche Beispiele kennt. Mehr als 800 000 Menschen wurden niedergemetzelt, in gerade einmal drei Monaten. Der ruandische Völkermord von 1994 gilt seither als ein Extrembeispiel für das Versagen der internationalen Gemeinschaft - und für die verheerende Wirkung hasserfüllter, menschenverachtender Propaganda. Der kanadische General Roméo Dallaire, der damalige Kommandeur der im Land stationierten UN-Blauhelme, die dem Schlachten machtlos zusehen mussten, sagte später: "Hätte man die Radiosendungen blockiert und sie durch Botschaften von Frieden und Versöhnung ersetzt, so hätte dies den Verlauf der Dinge entscheidend beeinflussen können."

Burundi und Ruanda sind geschichtlich eng verbunden

Pierre Nkurunziza, Präsident von Burundi, ist nach Auffassung diverser Beobachter zwar vieles: skrupellos, machtversessen, fanatisch (er glaubt offenbar ernsthaft daran, einer "göttlichen Mission" zu folgen) - aber eines ist er gewiss nicht: dumm. Die Wirkung von Worten dürfte ihm sehr wohl bewusst sein. Und deshalb tut man ihm nicht Unrecht, wenn man ihm attestiert, dass er mit der zunehmend aggressiven Rhetorik, die er und seine Adjutanten anschlagen, ein sehr gefährliches Spiel mit dem Feuer betreibt.

Auf den ersten Blick könnte man die beiden Länder für höchst gegensätzliche Gebilde halten: Hier das nach dem Völkermord mit Entwicklungshilfemilliarden neu aufgebaute, disziplinierte, stille Ruanda mit seinen für Afrika ungewöhnlich tadellosen Straßen, dort das chaotische Burundi mit seinen Schlaglochpisten, laut Statistik das zweitärmste Land der Welt. Doch tiefergehend betrachtet, sind die beiden Nachbarländer gewissermaßen Zwillingsstaaten; in ihrer gemeinsamen Geschichte eng miteinander verstrickt. Auf beiden Seiten der Grenze stehen sich eine Mehrheit ethnischer Hutu und eine Minderheit von Tutsi gegenüber (in Burundi beträgt das Verhältnis etwa 80 zu 20 Prozent). Und nicht nur Ruanda, auch Burundi ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von ethnisch motivierten Massakern heimgesucht worden.

Im Bürgerkrieg zwischen 1993 und 2005 starben etwa 300 000 Menschen. Seither sind Regierung und Militär laut der neuen Verfassung nach einem festen Quotensystem von Angehörigen beider Ethnien besetzt. Das Rezept für Frieden und Stabilität schien leidlich zu funktionieren, bis Präsident Pierre Nkurunziza - ein Hutu - im April bekannt gab, bei der diesjährigen Wahl für eine dritte Amtszeit zu kandidieren - obwohl die Verfassung höchstens zwei Perioden erlaubt.

Auf den Straßen erhoben sich Proteste gegen die Machtspiele des Präsidenten, der sie niederschlagen ließ. Im Juli zog er ungerührt sein Vorhaben durch, ließ sich im Amt bestätigen, in einer Wahl, zu der sogar die ansonsten eher nachsichtige Afrikanische Union keine Beobachter entsandte, weil sie die Voraussetzungen für eine "freie und faire" Abstimmung als nicht gegeben sah. Die Proteste gehen seither weiter, die Repression auch: Bis dato sind mehr als 200 Menschen in dem Konflikt getötet worden, und mehr als 200 000 sind aus dem Land geflüchtet.

Zu Beginn der Krise waren sich viele Beobachter noch einig darin, dass es sich diesmal weniger um einen ethnischen als um einen rein machtpolitischen Konflikt handelte; auf beiden Seiten - bei Anhängern wie Gegnern des Präsidenten - standen jeweils sowohl Hutu als auch Tutsi. Doch inzwischen treten die Geister der Vergangenheit immer bedrohlicher zutage.

Die Polizei durchkämmt die Hauptstadt nach Waffen

(Foto: sz grafik)

Nach Ablauf des Ultimatums in der Nacht zum Sonntag begann die Polizei in der Hauptstadt Bujumbura auf der Suche nach Waffen Stadtviertel wie Mutakura zu durchkämmen, eine Hochburg ethnischer Tutsi, aus dem in den Tagen zuvor bereits Tausende geflohen waren - getrieben von der Angst, die Parolen wie "an die Arbeit" schüren. Das Konfliktforschungs-Institut "International Crisis Group" befürchtet, dass dem Land "Massenverbrechen und Bürgerkrieg" drohten - die von Regierungsvertretern gewählte Sprache sei "für Burundier unmissverständlich und ähnelt eiskalt jener, die in Ruanda in den Neunzigerjahren vor dem Genozid benutzt wurde."

Am Wochenende warnte der ruandische Präsident Paul Kagame - ein Tutsi - vor einer Eskalation der Gewalt im Nachbarland: Dessen Regierende "hätten die Lektion aus unserer Geschichte lernen sollen", sagte er. Nkurunzizas Leute werfen der Opposition im eigenen Land vor, von der ruandischen Regierung unterstützt zu werden (was diese bestreitet). Ruanda wiederum bezichtigt die burundische Führung, mit der "Demokratischen Front für die Befreiung Ruandas" gemeinsame Sache zu machen - einer Miliz, die von ehemaligen Hutu-Völkermördern aus Ruanda gegründet wurde und bis heute durch den benachbarten Ostkongo marodiert.

Selbst wenn die Warnungen vor einem Genozid wie seinerzeit in Ruanda sich als übertrieben herausstellen sollten: Pierre Nkurunziza hat dennoch Chancen, in die Geschichte einzugehen - als der Mann, der in der Region der Großen Seen einen neuen Flächenbrand ausgelöst hat. Diesmal sieht es aber zumindest so aus, als würde die Welt nicht tatenlos zusehen.

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(Foto: Dai Kurokawa/dpa)

Seit Monaten gehen in Burundi Demonstranten gegen den Präsidenten auf die Straße. Die Stimmung in dem Land wird immer aggressiver.

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(Foto: AP)

Viele Straßen in der Hauptstadt Bujumbura wirken inzwischen wie ausgestorben, nur Polizisten und Soldaten sind noch zu sehen.

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(Foto: AP)

Allein seit März sind mehr als 210000 Menschen in die Nachbarländer geflohen. Hier verladen am Wochenende Hauptstadtbewohner ihren Besitz vor der Abreise.

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(Foto: AP)

NGOs sprechen von mehr als 200 politischen Morden seit dem Frühjahr. In Bujumbura betet eine Gemeinde für den Frieden.

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(Foto: AP)

Die Präsenz der Soldaten in der Hauptstadt ist jedoch nicht beruhigend: Der Regierung wird vorgeworfen, Spannungen zwischen Hutu und Tutsi zu schüren.

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(Foto: AP)

Am Wochenende kündigte die Regierung massive Ordnungsmaßnahmen an - was noch mehr Anwohner der Hauptstadt zu Flucht veranlasst hat.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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