Burkhard Hirsch:"Der Begriff Kanzlerkandidat bleibt eine Symbolik"

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Als das liberale Gewissen der FDP hat sich der Jurist Burkhard Hirsch einen Namen gemacht. Im sueddeutsche.de-Interview spricht er über Mediendemokratie und Kanzlerkandidaten.

Thorsten Denkler und Bernd Oswald

sueddeutsche.de: Herr Hirsch, wie fühlen Sie sich als Mitglied einer Spaßpartei?

Von 1994-98 stand Hirsch dem Bundestag als Vize-Präsident vor. (Foto: N/A)

Burkhard Hirsch: Das ist im Moment nicht unangenehm. Aber ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Wir müssen bei allem Erfolg aufpassen, dass der Inhalt seriös bleibt. Dass wir uns in der Sprache und im Auftreten dem wechselnden Geschmack der Wähler anpassen, halte ich dabei für in Ordnung.

sueddeutsche.de: Erst streckt Ihr Parteichef Guido Westwelle den Kameras seine 18-Prozent-Fußsohlen entgegen, jetzt will er offenbar Kanzlerkandidat werden. Der Erfolg scheint in der FDP alles möglich zu machen.

Hirsch: Ich würde das nicht machen. Ich wäre auch nicht in den Container von Big Brother gegangen. Aber merkwürdigerweise kommt das bei sehr vielen Wählern an. Ich kann nicht an der Tatsache vorbeisehen, dass viele, vor allem junge Menschen, das in Ordnung finden. Das ist offenbar Teil der Medienkultur, an die wir uns gewöhnen müssen. An dem ganzen Projekt "18" haben viele ja anfangs nur den Spaßfaktor gesehen. Dann haben sie erkannt, dass wir den Anspruch erheben und in der Lage sind, einen ganz beachtlichen Teil der liberalen Wählerschaft zu mobilisieren.

sueddeutsche.de: Heiligt der Zweck alle Mittel?

Hirsch: Nein, das tut er nie. Der Inhalt muss seriös bleiben, und das ist er.

sueddeutsche.de: Wie dringend braucht die FDP einen Kanzlerkandidaten?

Hirsch: Da frage ich zurück: Was ist denn ein Kanzlerkandidat? Wir haben keine Direktwahl des Kanzlers. Es ist genauso richtig und genauso falsch, wenn sich die Spitzenkandidaten der anderen Parteien Kanzlerkandidaten nennen. CDU und SPD konzentrieren Wahlkampf mehr und mehr auf eine Person. Da müssen die kleinen Parteien aufpassen, dass sie in dieser Polarisierung nicht in der Mitte durchfallen und versinken.

Wir wollen mit einem Kanzlerkandidaten Westerwelle symbolisieren, dass unser Programm die gleiche Wertigkeit hat wie ein sozialdemokratisches oder ein konservatives Programm. Deshalb bleibt der Begriff Kanzlerkandidat eine Symbolik - nicht mehr und nicht weniger.

sueddeutsche.de: Vor einem Jahr noch haben die Partei und vor allem Ihr Bundesvorsitzender selbst das anders gesehen. Da hieß es noch, das sei der Schritt vom Mut zum Übermut. Wird da nicht die Glaubwürdigkeit auf dem PR-Altar geopfert?

Hirsch: Es kommt darauf an, was man will und was man darunter versteht. Keiner von uns nimmt realistischerweise an, dass die FDP den nächsten Bundeskanzler stellen wird. Aber wir werden mit entscheiden, wer das wird. Darüber wird der Begriff Kanzlerkandidat nicht hinwegtäuschen. Wichtig dabei ist, dass wir vermitteln: Wir sind nicht die Partei der Besserverdienenden, der Zahnärzte und Steuerberater, sondern eine Partei für das ganze Volk.

sueddeutsche.de: Genau diese Besserverdienenden aber, Mittelständler, Handwerker, Beamte, stellen noch heute einen großen Teil Ihrer Wählerschaft. Tragen diese eher bodenständigen und konservativen Zeitgenossen das Marketingkonzept 18 mit?

Hirsch: Das ist nicht ganz richtig. Die jüngeren Wähler bilden inzwischen den größten Anteil unserer Wählerschaft, und das unabhängig von der beruflichen Position. Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich finde nicht alles großartig, was diese Partei macht oder was in ihrem Wahlprogramm steht. Aber es ist die einzige liberale Partei.

sueddeutsche.de: Ach, tatsächlich? Wir hatten den Eindruck, liberale Inhalte sind nicht mehr sexy genug für die FDP.

Hirsch: Es ist eine Grundaussage, die an vielen Stellen des Wahlprogrammes auftaucht, dass der Staat sich zu weit ausgedehnt hat, dass er zurückgeführt werden muss auf seine Kernaufgaben. Wir haben nicht zu wenig Gesetze, sondern ein Vollzugsdefizit. Wir sagen dem Bürger etwas Unangenehmes. Nämlich, dass die fetten Jahre vorbei sind. Er kann auch in seinen sozialen Ansprüchen nicht mehr alles vom Staat verlangen. Dieser Grundgedanke taucht immer wieder auf.

Aber die Liberalen müssen auch die andere Seite der Medaille sehen: Lambsdorff will eine Unordnungspolitik, das halte ich für keinen ernsthaften Gedanken. Auch die Gesetze und das Recht sind ein Element der Freiheit. Das heißt, ein liberaler Staat muss auch ein hohes Maß an sozialer Verantwortung tragen. Die Deregulierung schafft nicht automatisch mehr Freiheit.

sueddeutsche.de: Wo geht Ihnen das Wahlprogramm zu weit?

Hirsch: Nehmen wir den Bereich der Arbeitslosigkeit. Da soll der Kündigungsschutz beschränkt werden auf Betriebe über 20 Arbeitnehmer und generell soll er erst nach zwei Jahren beginnen. Das bedeutet, dass ein großer Teil der deutschen Arbeitnehmer in Zukunft keinen Kündigungsschutz mehr haben wird. Wenn dann gesagt wird, das würde den Arbeitsmarkt mobilisieren, erinnere ich daran, dass schon heute befristete Arbeitsverträge bis zu zwei Jahren möglich sind, die dem Arbeitnehmer zumindest für diese Zeit Planungssicherheit geben. Und Planungssicherheit ist auch ein Element der Freiheit. Das ist eine Position in dem Papier, die ich für grundfalsch halte. Mir fehlt auch ein überzeugender Vorschlag zur beruflichen Weiterbildung, die ich für besonders wichtig bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit halte.

sueddeutsche.de: Im Moment scheint eine Koalition mit der CDU nach der Wahl am wahrscheinlichsten. Dabei sind Sie bei der Zuwanderung oder bei der Wehrpflicht weiter von einer inhaltlichen Übereinstimmung entfernt als je zuvor. Mit welcher Partei können Sie sich eine Zusammenarbeit am Besten vorstellen?

Hirsch: Ich will, werde und kann auch keine Koalitionsaussage machen. Wir haben uns entschieden. Das halte ich für richtig und werbe für einen Wahlkampf ohne Koalitionsaussage. Dafür werbe ich.

sueddeutsche.de: Sie haben doch sicher Präferenzen.

Hirsch: Ich habe in meinem politischen Leben die Zusammenarbeit mit der SPD immer sehr viel produktiver, leichter und vertrauensvoller erlebt, als mit den Konservativen.

sueddeutsche.de: Ihr stellvertretender Parteivorsitzender Jürgen Möllemann hat sich in den letzten Tagen dadurch hervorgetan, dass er mit seinen Aussagen zum Nahost-Konflikt missverstanden worden ist. Fast zeitgleich nimmt er einen Mann in seine NRW-Landtagsfraktion auf, der sich als ehemaliger Grüner vornehmlich mit anti-israelischen Äußerungen einen Namen gemacht hat. Hat das der Partei geschadet?

Hirsch: Ja. Er hat sich mit seinem Satz, er würde sich auch wehren, wenn man sein Vaterland angreife in einer Weise ausgedrückt, die man nicht akzeptieren kann. Das war nicht nur missverständlich, sondern schlicht falsch. Er intoniert etwas, was ich bei vielen erlebe, die das Dritte Reich nicht mehr selbst erlebt haben. Man muss begreifen, dass nicht wir das Tempo der Normalisierung vorgeben, sondern die, die dem Holocaust entkommen sind. Ich möchte aber festhalten: Möllemann ist kein Antisemit.

Der Satz war genau so ein schwerer Fehler wie die Aufnahme von Jamal Karsli. Nicht nur wegen der Positionen, die dieser Mann vertritt. Ein Abgeordneter ist noch nie von seinem Gewissen daran gehindert worden, sein Mandat zurückzugeben, wenn er glaubt in der Partei, für die er gewählt worden ist, seine Politik nicht mehr fortführen zu können. Die FDP ist durch die Vorgänge zu Unrecht in den Ruf gekommen, ein Sammelbecken anti-israelischer Kräfte zu sein.

sueddeutsche.de: Wie stehen Sie zur Politik Scharons?

Hirsch: Ich halte seine Politik nicht für weiterführend. Wir haben im Bundesvorstand einen Beschluss formuliert, der auf diesem Parteitag eingebracht wird, und eine glasklare Nahost-Politik beschreibt. Nämlich den dringenden Appell an die Palästinenser mit ihren Attentaten aufzuhören, die durch nichts, durch gar nichts, durch kein Unrecht, kein Widerstandsrecht zu rechtfertigen sind. Und auf der anderen Seite an die Israelis zu appellieren, sich an die Resolutionen der UN zu halten und damit die Voraussetzung für einen friedlichen Prozess zu schaffen. Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Gremium zu initiieren, das der erfolgreichen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ähnlich ist.

sueddeutsche.de: Vor einigen Wochen gab es in Frankfurt eine pro-israelische und in Berlin eine pro-palästinensische Demonstration. Gäbe es noch eine dritte für den Frieden im Nahen Osten, wo würden wir Burkhard Hirsch finden?

Hirsch: Auf der für den Frieden im Nahen Osten, weil ich eine besondere Verantwortung für Israel empfinde und für die Menschen, die dort endlich in Frieden leben wollen. Es ist schrecklich zu sehen, dass beide Gesellschaften von ihren Extremisten gegeneinander getrieben werden und keine charismatische Persönlichkeit in Sicht ist, mit der ein neuer Anfang gemacht werden könnte. Wir haben als Deutsche eine besondere Verantwortung für die Region, von der wir uns nicht freimachen können.

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