Bundeswehr:Wehrpflicht, wegtreten!

Die Wehrpflicht bleibt eine Erfolgsgeschichte. Nun aber wird sie langsam zum Opfer des eigenen Erfolgs.

Joachim Käppner

"Alle Bürger des Staates sind geborene Verteidiger desselben": Diese Doktrin vertrat 1807 der preußische Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst, nachdem die dumpf gedrillten Söldnerheere des Königreichs Preußen von Napoleon vernichtend geschlagen worden waren.

Bundeswehr: Bundeswehr: Sie ist eine Interventionstruppe für weltweite Einsätze im Dienst des Friedens geworden.

Bundeswehr: Sie ist eine Interventionstruppe für weltweite Einsätze im Dienst des Friedens geworden.

(Foto: Foto: AP)

In Scharnhorsts Tradition sah sich die junge Bundeswehr, als 1956 die Wehrpflicht eingeführt wurde - jene Wehrpflicht, über deren Einberufungspraxis nun das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss, weil nur noch kleine Teile eines Jahrgangs überhaupt gezogen werden.

In der alten Bundesrepublik mussten sich noch Zehntausende mehr oder weniger friedensbewegter junger Männer demütigenden Fragen jener Kommissionen stellen, die über Kriegsdienstverweigerer entschieden ("Sie und Ihre Freundin werden im Wald von Unholden überfallen. Sie haben ihr Schnellfeuergewehr dabei. Was tun?"). Damals hatte die Bundeswehr nicht genug Soldaten. Heute hätte sie zu viele, würde sie jeden Wehrpflichtigen nehmen, der nicht verweigert.

So aber entsteht eine Gerechtigkeitsfalle. Je kleiner die Truppe wird und je kürzer die Dienstzeit, desto weniger junge Männer werden gebraucht - und desto mehr werden ausgemustert oder zurückgestellt aus Gründen, die mit Wehrgerechtigkeit wenig, mit den Organisationszwängen der seit 1989 fast um die Hälfte geschrumpften Armee aber um so mehr zu tun haben. Das ließe sich, vielleicht, noch lösen. Weit schwerer wiegt: Die Wehrpflicht ist eine starke Einschränkung der Freiheitsrechte; sie ist geboten, wenn die Verteidigung des demokratischen Staates es erfordert. Das Argument der Bundeswehr, Rekruten seien das beste Reservoir für Berufsoffiziere und Zeitsoldaten, ist dafür zu schwach.

Es ist ein schöner Mythos, dass die Wehrpflicht "das legitime Kind der Demokratie" ist, wie es der erste Bundespräsident Theodor Heuss formulierte. Heuss hatte erlebt, wie die Freiwilligentruppe der Reichswehr, die sich als "Staat im Staate" verstand, ihren Eid auf die Republik verriet und auf Hitler schwor.

Demokratie und Berufsarmee - das schienen in Deutschland natürliche Gegensätze zu sein. Aber Hitler, wie zuvor der Kaiser, führte seine Kriege mit Wehrpflichtigen. Wer die verblichenen Gedenktafeln an einer Dorfkirche aufsucht, sieht die Namen aus jenen Jahrgängen von 17- und 18-Jährigen, die noch 1945 an den zusammenbrechenden Fronten verbluteten.

Für die Bundeswehr aber war der Pflichtdienst an der Waffe raison d'etre, Voraussetzung für das neue Soldatenbild vom Staatsbürger in Uniform. Sehr viele Veteranen der Wehrmacht, von ihren Kindern naiv oder herausfordernd gefragt, warum sie damals bloß mitgemacht hätten, antworteten: Wir haben doch nur unsere Pflicht getan. Man hatte sie die Pflicht gelehrt, jeden Befehl zu befolgen, mochte er noch so inhuman sein. Der uniformierte Staatsbürger ist von diesem Zwang ausdrücklich befreit. Er hat die Hierarchien zu achten, aber Gut und Böse auseinanderzuhalten.

Gewiss, eine Fülle von Ausbildungsskandalen erschütterte die Bundeswehr, oft verursacht von jenen Ausbildern, die den Geist der neuen Wehrverfassung von Herzen ablehnten. Doch das ist längst Geschichte. So ärgerlich, ja beklemmend die Vorfälle über Missstände oder gar Misshandlungen in der Bundeswehr sind, die nun wieder der Wehrbeauftragte angeprangert hat: Es sind Ausnahmen. Die Bundeswehr ist trotz ihrer vielen Belastungen eine erstaunlich zivilisierte Armee.

Die Wehrpflicht bleibt eine Erfolgsgeschichte. Nun aber wird sie langsam zum Opfer des eigenen Erfolgs. Die Bundeswehr ist das geworden, was den Schöpfern der Inneren Führung vorschwebte: die Armee einer Demokratie, eine Armee zudem, die um diese Identität eigentlich längst nicht mehr zu ringen braucht. Und sie hat sich gewandelt.

Sie ist viel kleiner geworden, sie hat kein Zehntel der Panzer mehr, die sie 1989 besaß, ihr Hauptjob ist weder Abschreckung noch Landesverteidigung, weil sie niemanden schrecken muss und das Land nicht länger direkt bedroht ist. Sie ist, ohne dass die Bürger diesen Wandel richtig begriffen hätten, eine Interventionstruppe für weltweite Einsätze im Dienst des Friedens geworden.

Briten, Amerikaner, Franzosen - alle wichtigen Partner setzen auf Berufssoldaten, auch und gerade bei Auslandseinsätzen. De facto tut das die Bundeswehr auch schon, weil der normale Wehrpflichtige nicht gegen seinen Willen nach Kundus oder in den Kosovo geschickt werden darf.

Er verlängert dann freiwillig, und wird, wie Spötter in der Truppe sagen, zum "kleinen Zeitsoldaten". Er ist aber eigentlich ein Wehrpflichtiger. Auch weil das so ist, sinkt die Akzeptanz der Einsätze in der Bevölkerung.

Sollte die Bundeswehr einmal in eine militärische Großoperation (etwa eine Intervention gegen die Massaker in Darfur oder eine andere friedenschaffende Intervention) verwickelt werden, wäre ihre von Wehrpflichtigen durchwobene Struktur ein gefährlicher Nachteil.

Die Alternative ist eine Berufsarmee - durchaus mit der Option für Freiwillige, den Grundwehrdienst zu leisten, wie es die SPD vorschlägt. Die Zeit der Wehrpflicht aber ist abgelaufen, so sehr man dies aus vielen Gründen bedauern mag.

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