Bundeswehr: Traumatisierte Soldaten:Der lange Schatten des Krieges

Die Zahlen sind eindeutig und erschreckend: Bis Ende September haben sich drastisch mehr Soldaten wegen Kriegstraumata in Behandlung begeben als 2009. Experten führen dies auf die Intensität der Kämpfe zurück - doch es gibt auch einen anderen Grund.

Matthias Kolb

Es sind erschreckende Daten, die das Trauma-Zentrum der Bundeswehr sammelt: Die Zahl der Soldaten, die sich wegen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) in Behandlung befinden, ist so hoch wie noch nie seit Beginn der Auslandseinsätze. Das berichtet die Mitteldeutsche Zeitung und beruft sich auf neueste Statistiken des Trauma-Zentrums.

Bundeswehr: Zusammenarbeit mit afghanischer Armee schwierig

Zwei Bundeswehrsoldaten beim Einsatz in Afghanistan. 80 Prozent der traumatisierten Soldaten waren am Hindukusch stationiert.

(Foto: dpa)

Demnach lag die Zahl der 2010 behandelten PTBS-Kranken in den ersten drei Quartalen bei 483 und ist damit bereits höher als im ganzen vergangenen Jahr. Die Häufigkeit der PTBS-Fälle habe zuletzt kontinuierlich zugenommen ­ von 149 im Jahr 2007, 245 (2008), 466 (2009) auf 483 bis Ende September 2010.

Jeder Soldat weiß mittlerweile Bescheid über jene Krankheit PTBS, die meist drei bis sechs Monate nach einem schrecklichen Ereignis auftritt - manchmal aber auch erst Jahre später. Die Betroffenen leiden unter Flashbacks: Sie durchleben eine Situation, in der sie sich völlig überfordert fühlten, immer wieder. Dabei kann es sich ebenso gut um einen Anschlag handeln wie um den Verlust eines Freundes, Kollegen oder Verwandten. Denn es sind längst nicht nur Soldaten betroffen - auch Lokomotivführer, Polizisten und Feuerwehrmänner gelten als Risikogruppen.

80 Prozent der Betroffenen dienten in Afghanistan

Diese Angstzustände werden durch Trigger ausgelöst: ein bestimmter Geruch etwa, ein Geräusch oder der Anblick eines weißen Toyota Pick-up, die in Deutschland selten, aber in Kabul üblich sind. Der Einsatz in Afghanistan belastet die Bundeswehrler am stärksten: In diesem Jahr entfallen nach dem Bericht 397 der 483 PTBS-Behandlungen auf Soldaten im Afghanistaneinsatz, 28 auf Soldaten, die auf dem Balkan Dienst taten, und 58 auf andere, nicht näher spezifizierte Auslöser.

In der US-Armee geht man davon aus, dass jeder fünfte Soldat, der in Afghanistan oder im Irak kämpfte, Symptome des "Rückkehrer-Traumas" zeigt. Experten weisen jedoch darauf hin, dass "die Härte des Einsatzes" eine Rolle spiele. In Großbritannien wird die Zahl der traumatisierten Soldaten mit sechs Prozent angegeben.

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, sagte der Mitteldeutschen Zeitung: "Dass die Rückkehr an der Seele verwundeter Soldatinnen und Soldaten zunimmt, verwundert nicht. Schließlich finden vermehrt Gefechte statt. Die Soldaten erleben nicht nur, dass der Kamerad neben ihnen verwundet wird oder fällt. Hinzu kommt das Selber-töten-Müssen." Er beklagte, dass es nicht genug Therapeuten gebe. Im Frühjahr waren von 42 psychiatrischen Dienstposten in der Truppe lediglich 24 besetzt.

Im gleichen Blatt nennt Peter Zimmermann, Psychiater am Bundeswehr-Krankenhaus in Berlin und Leiter des Trauma-Zentrums, einen anderen Faktor für die steigenden Zahlen: "Der Behandlungsbedarf ist im Laufe der Jahre gewachsen, denn der Einsatzdruck und die Einsatzbelastung sind gestiegen. Ich sehe aber auch einen Trend zu mehr Bereitschaft bei den Soldaten, sich in Behandlung zu begeben. Das haben wir nicht zuletzt den Vorgesetzten zu verdanken, die offener geworden sind und ihre Leute stärker dazu motivieren."

Auch im Internet finden Betroffene mittlerweile zahlreiche Informationen und Kontaktpersonen, etwa auf der unabhängigen Website www.angriff-auf-die-seele.de.

An diesem Mittwoch hat das Kabinett die Verlängerung von drei Bundeswehreinsätzen mit insgesamt bis zu 3000 Soldaten beschlossen - es geht allerdings nicht um den Einsatz am Hindukusch, sondern um Missionen in Bosnien-Herzegowina, im Indischen Ozean und im Mittelmeerraum.

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