Bundeswehr in Afghanistan:Kampfpanzer und Tennisbälle

Wenn Leos fliegen: Schwere Waffen helfen den deutschen Soldaten in Afghanistan nicht - sie schaffen lediglich mehr zivile Opfer.

Peter Blechschmidt

"Schuster, bleib bei deinem Leisten", möchte man dem designierten Wehrbeauftragten des Bundestags, Hellmut Königshaus, zurufen. Der hat in der neu aufgeflammten Debatte um die Ausrüstung der Bundeswehr in Nordafghanistan gefordert, schwere Leopard-Panzer einzusetzen.

"Wer in das Kanonenrohr eines Leopard 2 schaut, überlegt sich zweimal, ob er eine deutsche Patrouille angreift", wird der FDP-Politiker im Tagesspiegel zitiert. Königshaus sollte mal im Internet auf YouTube surfen. Dort finden sich Videos, auf denen Kampfpanzer wie der Leo nach einer Minenexplosion wie Tennisbälle durch die Luft fliegen.

Ein Leo hätte den drei Soldaten, die am Karfreitag nahe Kundus aus dem Hinterhalt erschossen wurden, nichts genützt. Auch noch mehr Aufklärungsdrohnen oder weitreichende Artillerie hätten ihr Leben nicht retten können. Wer wie die drei am vergangenen Freitag Sprengfallen aufspüren muss oder einen Brückenbau vorbereiten will, muss zwangsläufig sein gepanzertes Gefährt verlassen - und wird unvermeidlich zum Ziel.

Den Heckenschützen, den ein Hausdach verbirgt, kann keine Drohne ausmachen. Die Granate der viele Kilometer entfernt stehenden Panzerhaubitze unterscheidet nicht zwischen Aufständischen und Frauen und Kindern, die sich - womöglich sogar unfreiwillig - in Häusern aufhalten, aus denen deutsche Soldaten unter Feuer genommen werden. Ein Kampfpanzer kann in engen afghanischen Gassen bestenfalls Lehmhütten niederwalzen.

Die Kanadier, die vor Jahren deutsche Leos für ihre Operationen in völlig anderem Gelände in Südafghanistan ausleihen durften, haben den Panzern erst einmal kürzere Rohre aufgepflanzt, damit die Tanks überhaupt in den Ortschaften manövrierfähig waren.

Minen, Sprengfallen, immer ausgeklügeltere Hinterhalte

Wer einmal beobachtet hat, wie die Bundeswehr zu einer Patrouillenfahrt in Kundus ausrückt, fragt sich nach dem Sinn eines solchen Unternehmens. Eine Kolonne von gepanzerten Fahrzeugen, schwer bewaffnete und mit Helm, Schutzbrille, Splitterschutzweste und Funkgerät vermummte Soldaten - wozu soll das gut sein? Man müsse Präsenz zeigen, lautet die Antwort. Aber mit welchem Zweck?

Bestenfalls ducken sich die Aufständischen weg, wenn die Patrouille anrückt - längst angemeldet durch Spione, die jede Bewegung der Deutschen genau unter Kontrolle haben. Schlimmstenfalls werden die Soldaten angegriffen - mit Minen, Sprengfallen und in immer ausgeklügelteren Hinterhalten. Kontakt zur einheimischen Bevölkerung ist so nicht möglich.

"Die Bundeswehr wurde immer mehr auf den Selbstschutz zurückgeworfen, die Distanz zwischen der internationalen Schutztruppe Isaf/Bundeswehr und der Bevölkerung wuchs, die Attacken häuften sich", hat einer der besten deutschen Afghanistan-Kenner, der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei, soeben in einer aktuellen Analyse der Lage in Afghanistan geschrieben.

"Die Hoffnungsprovinz Kundus ist weggerutscht"

Einige Distrikte rund um Kundus sind längst zur No-go-Area für die Bundeswehr geworden. Die Taliban haben dort eine Parallelverwaltung aufgebaut, der die formalen staatlichen Institutionen nichts entgegenzusetzen haben. Rund um Kundus sei Aufbauarbeit nicht mehr möglich, stellt Nachtwei fest. "Die frühere Hoffnungsprovinz Kundus ist weggerutscht."

Nun also wird, wenn auch in der Diktion von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zunächst noch umgangssprachlich, im Raum Kundus Krieg geführt. Das entspricht durchaus der Realität. Aber diese Realität hat nichts mehr zu tun mit den ursprünglichen Zielen des westlichen Engagements in Afghanistan, nämlich dem Aufbau und dem Schutz einer funktionierenden Zivilgesellschaft.

Die Suche nach den Gründen dafür würde eine Vielzahl von Versäumnissen zu Tage fördern. Ein Mangel an schweren Waffen, wie er nach tödlichen Angriffen auf deutsche Soldaten immer wieder beschworen wird, dürfte nicht dazu gehören.

Dickere Panzerungen führen dazu, dass die Sprengsätze der Aufständischen stärker werden. Der Einsatz von Kampfhubschraubern oder Artillerie würde vermehrt zu zivilen Opfern führen. Die Diskussion über deren Vermeidung, ausgelöst durch den Luftschlag von Kundus im September vorigen Jahres, ist noch lange nicht ausgestanden.

Damit kein Missverständnis entsteht: Der Schutz für die Soldaten der Bundeswehr im Einsatz hat oberste Priorität. Wo es Mängel in Ausbildung und Ausrüstung gibt - sei es, dass nicht genügend Dingos zur Verfügung stehen, um die Fahrer in der Heimat gründlich auszubilden, sei es, dass es an Transporthubschraubern fehlt -, müssen sie schnellstens behoben werden.

Hubschrauber sind wichtiger als Eurofighter

Wenn Bürokraten Nachschublieferungen behindern oder Parlamentarier durch politisches Fingerhakeln die Beschaffung von nötigem Gerät verzögern, dann muss man ihnen Einhalt gebieten. Auch die langfristige Rüstungsplanung gehört auf den Prüfstand: Afghanistan-taugliche Hubschrauber sind wichtiger als Eurofighter.

Nun aber hat wieder einmal die Debatte darüber begonnen, wie der Krieg am wirkungsvollsten zu führen sei - mit noch mehr Soldaten, mit noch schwererem Gerät, mit noch weiter reichenden Waffen.

Dabei sind sich angeblich alle einig, dass die Auseinandersetzung mit den Taliban militärisch nicht zu gewinnen ist. Das macht diese Debatte so widersprüchlich. Und wenn sie mit Argumenten geführt wird, die mehr der persönlichen Profilierung als der sachgerechten Lösung dienen, wird sie vollends unglaubwürdig.

Die Forderung des designierten Wehrbeauftragten Königshaus nach Entsendung von Leopard-Panzern nach Afghanistan ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Doch der Jurist, der zwar bereits vom Bundestag gewählt ist, sein Amt aber erst im Mai antritt, sollte bedenken, dass seine künftige Aufgabe darin besteht, Sorgen und Nöte der Soldaten zu artikulieren. Dazu zählt vorrangig, Mängel und Missstände aufzuzeigen. Ratschläge, wie militärische Operationen geführt werden sollen, zählen nicht dazu.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: