Bundeswehr in Afghanistan:Abgekapselt und nutzlos

Abzug der Bundeswehr aus Kundus

Die Bundeswehr habe ihre Soldaten in den Camps abgeschottet, Kontakt mit der Bevölkerung habe es zu selten gegeben, findet Rupert Neudeck.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Bundeswehr war nie wirklich in Afghanistan. Die Soldaten agierten abgeschottet in ihren Camps. Kontakt zur Bevölkerung gab es kaum, auf dem Land haben sie nichts bewirkt. Deutschland sollte künftig auf solche Einsätze verzichten.

Ein Gastbeitrag von Rupert Neudeck

Die Bundeswehr in Afghanistan war von Anbeginn ein Mythos. Und einen Mythos muss man vor der Entmythologisierung schützen und bewahren. Deshalb fliegen auch die Minister, Staatssekretäre, Abgeordnete aller Parteien, Tausendschaften von Journalisten immer wieder dorthin, bis kein deutscher Soldat mehr da ist.

Interessant: Sie alle behaupten, nach Afghanistan zu fliegen. In Wirklichkeit begeben sie sich wie ein Dieb in der Nacht in eine der Kasernen der Bundeswehr, die einen exterritorialen Flughafen haben. Nicht mal die Regierung in Kabul erfährt von der Reise der deutschen Repräsentanten. Ein Abgeordneter, der es nicht mehr ist, rühmte sich einmal, dass er in seiner Zeit 40 Mal in Afghanistan gewesen sei. Er meinte natürlich: Er sei 40 Mal bei der Bundeswehr gewesen. Die agiert dort wie in abgeschlossenen Weltraumkapseln - wo es alles gibt, auf das ein deutscher Bürger Anspruch hat.

Der damalige deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière flog am 11. Dezember zu seinem traditionellen Weihnachtsbesuch nach Mazar-i-Scharif. D. h., er flog natürlich nicht in die afghanische Stadt, sondern in das außerhalb gelegene Camp der Bundeswehr. Ursula von der Leyen ließ die Gelegenheit nicht aus, einen Tag nach ihrer Ernennung als Verteidigungsministerin einen zweiten Weihnachtsbesuch in der Kaserne zu machen, sie nahm natürlich ein Team des ZDF und ein Team der ARD und vierzig Journalisten mit.

Schokolade für die Kinder vor den TV-Kameras

Einerseits sollten unsere Soldaten dort keinen Krieg führen, es gab ja auch keine Frontlinien. Andererseits sind alle Afghanen außerhalb des Camps verdächtig. Außer den Kindern, denen deutsche Soldaten im Beisein von TV-Teams Schokolade oder Spielzeug zusteckten. Es gab und gibt keinerlei Verbindung mit dem Leben der Afghanen außerhalb der exterritorialen Weltraumkapsel, genannt Camp Marmal. Diese reine Präsenz ohne Kontakt zur Bevölkerung ist auf Dauer unsinnig, in einem Land, das von dem geschichtlichen Stolz zehrt, Kolonialmächte wie Großbritannien aus seinen Grenzen geworfen zu haben.

Das Entscheidende, was man den Soldaten wirklich abnehmen kann: Sie haben Langeweile. Sie treiben exzessiv Sport. Die meisten sind Schreibstubenagenten und sollen das auch sein, denn auf einen kämpfenden Soldaten in Afghanistan kommen etwa vier Logistiker in Uniform. So haben 85 Prozent der Soldaten nie Berührung mit einem normalen Afghanen auf der Straße. Sie sollen dadurch Eindruck machen, dass sie in mauerbetonierten Riesenarealen Achtung gebietend einfach nur außerhalb-innerhalb Afghanistans da sind. Ihre Handys haben deutsche Nummern, ihr Bier ist ein deutsches Produkt, das so pünktlich kommt, dass niemand auf die zwei Dosen am Abend verzichten muss.

Als die Nato-Staaten auf die unsinnige Idee gekommen waren, überall Wachbataillone hinter großen Mauern und Palisaden im ganzen Land zu stationieren, suchte eine Prüfkommission des Bundesverteidigungsministeriums den sichersten Ort in dem relativ unsicheren Afghanistan. Der Vorgang war an Lächerlichkeit nicht zu überbieten. Sie fand ihn in Kundus. Die afghanischen Mitarbeiter auf den Baustellen der Grünhelm-Projekte in der afghanischen Provinz Karoq dachten, wir Deutschen seien verrückt.

Auf die Frage, warum die deutschen Soldaten ausgerechnet nach Kundus gingen, konnten wir ihnen nur sagen: weil die Bundesregierung der Überzeugung ist, Kundus sei der sicherste Platz in Afghanistan. Unsere Afghanen kratzten sich hinter dem Ohr und meinten etwas verlegen: "Aber wenn das doch der sicherste Platz ist, dann brauchen sie doch nicht dahin zu gehen mit ihren Waffen!?"

Die sicherste Zeit in Afghanistan war die ohne all die Militärs aus aller Herren Ländern. Die Grünhelme feierten im Juli 2002 die erste Eröffnung einer Klinik in dem größeren Ort Dashte Kalar, Provinz Takhar, im Norden des Landes, nicht weit von Kundus. Der deutsche Botschafter schickte Vertreter mit zwei Autos, die zwei Tage unterwegs waren, die ganz begeistert waren, weil sie das Land kennenlernten. Sie bedankten sich später für die Einladung. Sie kamen ohne Bundeswehrsoldaten. In späteren Jahren wollte das keiner mehr glauben. Denn seit es diese ummauerte Festung bei Kundus gab, war das Camp für die deutsche Politik: Afghanistan. Kein Funktionsträger der deutschen Politik sollte sich "außerhalb des Mandatsgebietes der Bundeswehr" aufhalten. Wer sich dem entzog, galt als mutig.

Der Westen schweigt

Lange Jahre konnte man in Deutschland der Meinung sein, die Bundeswehr (und die anderen Armeen des Westens) seien dort, um die Taliban-Burka auszurotten und den Afghanen parlamentarische Wahlen und Usancen beizubringen. Jetzt aber ist hintereinander Folgendes passiert, ohne dass wir "Haltet den Dieb" geschrien hätten: Der Präsident des Landes hat die zweite Wahl gefälscht, die UN haben das dokumentiert. Aber weil es zu viele militärtaktische und logistische Schwierigkeiten verursacht hätte, wenn das Ausland darauf bestanden hätte, dass es sich um Wahlfälschung handelte, übersah man den kleinen Fehler und lädt den Wahlfälscher als Präsidenten überall weiter ein.

Der aber stellte das gewählte Parlament mit der Frauenquote kalt und vollzog seine exekutiv-legislativen Angelegenheiten nur noch mit der Loja Dschirga, der jahrhundertealten Ratsversammlung der Stammesgesellschaft. Auch hier hat die westliche Staatengemeinschaft den Schwanz eingezogen, sie sagt besser gar nichts.

Der Politikwissenschaftler Philipp Münch hat analysiert, "welche Art von Krieg die Bundeswehr in Badakhshan geführt hat"? Sein Ergebnis: Den Deutschen mangelte es in drastischer Weise an Informationen, sie verfolgten keine richtige Strategie. Die Deutschen versuchten im Gegensatz zu anderen Nationen nicht, die bestehenden Machtverhältnisse in ihrer Region zu verändern. Deshalb kam es sofort wieder zu Gewalt, als die Weltraumkapsel wieder abgehoben hatte. Im September 2013 können vier Distrikte in Badakhshan nur mit dem Helikopter erreicht werden, alle Straßen sind blockiert.

Was will eine Bundeswehr in Afghanistan, die so gar nichts tut - und wenn sie etwas tut, gibt es 140 Tote, die kaum beklagt werden, denn es sind ja nicht unsere Toten, und der Oberst wurde General? Es hat sich bei mir der Verdacht genährt, dass Heinrich Böll recht hatte: Wir Deutschen sollen so etwas gar nicht mehr haben. Nach dieser einzigartigen und nie mehr überbietbaren Tragödie des Zweiten Weltkriegs sollen wir keine Armee mehr haben. Wir sollen besser aus voller Kraft Hilfe leisten, humanitär, medizinisch und mit allem anderen.

Der Beitrag wurde von Rupert Neudeck verfasst. Neudeck, 74, ist Journalist. Er gründete 1979 das Komitee "Ein Schiff für Vietnam", aus dem 1982 die Hilfsorganisation Cap Anamur wurde. Seit 2003 engagiert er sich für die Organisation "Grünhelme".

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