G36 der Bundeswehr:Gelobtes Gewehr

Sturmgewehr G36

Unter Extrembedingungen fehlt es dem Gewehr G36 an Präzision. Gefechtserfahrene Soldaten stört das nicht.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

In Labortests fehlte es dem G36 unter Extrembedingungen an Präzision. Doch die Soldaten mögen ihre Waffe trotzdem. War die ganze Affäre nur Schall und Rauch?

Von Christoph Hickmann, Berlin

Das Urteil der Truppe ist eindeutig: Das G36, so lässt sich das Ergebnis einer am Mittwoch vorgestellten Untersuchung zusammenfassen, ist nach Ansicht gefechtserfahrener Soldaten ein tadelloses Gewehr. Eine Expertenkommission hatte Einsatzrückkehrer befragt und keine Klagen über die Waffe gehört, sondern ausdrückliches Lob. Das steht im Gegensatz zu jenen Untersuchungsergebnissen, auf deren Basis Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im April erklärt hatte, das Gewehr habe so, wie es konstruiert sei, in der Bundeswehr "keine Zukunft". Daraus ergeben sich neue Fragen.

Ist das G36 nun ein "Pannengewehr" oder nicht?

Darum ging es nie. Es ging stets um das Verhalten der Waffe unter speziellen Bedingungen: im heißgeschossenen Zustand sowie nach Überhitzung durch hohe Außentemperaturen. Solche Szenarien galten als vernachlässigbar, als die grundsätzlich solide Waffe in den Neunzigerjahren eingeführt wurde. Dass es unter diesen Bedingungen an Präzision mangelt, gilt weiter.

Wie stark betreffen diese Extrembedingungen den einzelnen Soldaten?

Das Verhalten bei hohen Außentemperaturen ist angesichts der Einsatzländer der Bundeswehr sehr wichtig. Den bei den Labortests angewandten Schießrhythmus aber, basierend auf dem Szenario eines Hinterhalts, bewerteten die befragten Soldaten offenbar als nicht realistisch. Dabei verschossen die getesteten Waffen zunächst zehn Patronen im Einzelfeuer. Es folgten kurze Feuerstöße, bis das erste Magazin leer war. Das zweite Magazin wurde mit weiteren Feuerstößen leergeschossen, worauf wieder Einzelfeuer folgte. So kämpfe man nicht, lautete offenbar das Fazit der Soldaten. Allerdings heißt es in der Bewertung der Laborergebnisse durch das Planungsamt der Bundeswehr, bei extremen Schwankungen der Außentemperatur könne "der Gegner selbst mit den ersten Schüssen nicht gezielt getroffen" werden.

Woher kommt die Diskrepanz?

Im Labor sind die Waffen fest in eine dafür vorgesehene Vorrichtung eingespannt. Dazu zitierte die Kommission die Bewertung aus der Truppe, ein Soldat sei nun mal "kein Schraubstock": Im Gefecht, so das Fazit, spielten Staub, Wind oder die Haltung des Soldaten eine viel größere Rolle als die Präzisionseinschränkungen. Allerdings nimmt ein Soldat im Gefecht auch kaum wahr, wo genau jeder Schuss landet.

Hat die Ministerin das Gewehr also voreilig ausgemustert?

Als die Testergebnisse feststanden, schien es, als sei der jahrelange Streit über vorhandene oder nicht vorhandene Probleme der Waffe entschieden. Tatsächlich hat sich von der Leyen dann sehr schnell festgelegt und die Waffe für untauglich erklärt, ohne den Soldaten Ersatz bieten zu können. Andererseits wurde das G36 vor zwei Jahrzehnten eingeführt, steht also ohnehin am Ende der angepeilten Nutzungsdauer. Man kann es daher auch so sehen, dass man sich schon vor Jahren mit dem nächsten Modell hätte beschäftigen müssen.

Nimmt sie ihre Entscheidung zurück?

Nein. Die Bundeswehr hätte ja ohnehin ein neues Gewehr gebraucht. Bis alle G36 ausgetauscht sind, wird es zudem bis weit ins nächste Jahrzehnt dauern.

War die ganze Affäre Schall und Rauch?

Nein. Das Bekenntnis der Truppe ändert nichts daran, wie im Verteidigungsministerium und den nachgeordneten Behörden jahrelang mit Meldungen über Präzisionsprobleme umgegangen wurde. Da wurde verdrängt und beschönigt, da wurden Kritiker kaltgestellt, und ein Abteilungsleiter unterstützte den Wunsch des Herstellers, den Militärgeheimdienst einzuschalten. In der fatalen Nähe zur Industrie und im fahrlässigen Umgang mit Warnungen liegt nach wie vor die politische Dimension dieser Affäre.

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