Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan:Abzug ins Ungewisse

Bundeswehr in Afghanistan

Präsenz ohne Ende: Ein Bundeswehrsoldat bei Masar-i-Scharif in Afghanistan.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Im nächsten Jahr endet die internationale Afghanistan-Mission. Kurz vorher ist die Sicherheitslage im deutschen Verantwortungsbereich deutlich schlechter als bisher bekannt. Zweifel an der Zuverlässigkeit der örtlichen Sicherheitskräfte wachsen. Auch die Bundeswehr schätzt die Lage als "fragil" ein.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Es ist kein einfacher Auftritt für Konteradmiral Rainer Brinkmann. Der stellvertretende Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr hat zum Pressegespräch geladen - Thema: die Sicherheitslage in Afghanistan. Das Problem daran: Die ist gerade nicht allzu beruhigend, deshalb windet sich Brinkmann ein wenig. Er sagt, die Lage müsse "nach wie vor sehr differenziert betrachtet werden", bis er nach ein paar Umwegen zu seiner Schlussfolgerung kommt: "Eine landesweit einheitliche Betrachtung ist daher kaum möglich."

Alles unklar also, im vorletzten Jahr der internationalen Isaf-Mission? Jedenfalls ist es nicht so, dass die Bundeswehr und ihre Partner verkünden könnten: Alles im Plan. Bei weitem nicht. Und das macht sich nicht nur daran fest, dass an diesem Mittwoch in der Stadt Dschalalabad das Büro des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz angegriffen wurde - womit, Wochen nachdem die Taliban ihre Frühjahrsoffensive begonnen haben, nochmals eine neue Eskalationsstufe erreicht ist.

Ende 2014 ist es vorbei mit Isaf, danach soll es nur noch Ausbildung für die afghanischen Sicherheitskräfte geben. Der eigentliche Kampfeinsatz soll dann beendet sein, und schon jetzt gehen die Afghanen immer stärker selbst in die Verantwortung. Die deutschen Soldaten sind im Zuständigkeitsgebiet der Bundeswehr im Norden des Landes schon jetzt nur noch unterstützend tätig.

Zahl der Angriffe steigt

Doch die Nachricht, dass afghanische Polizisten bei einem Gefecht Anfang Mai unkontrolliert den Rückzug antraten, während deutsche Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) zwei Stunden lang das Feuer der Aufständischen erwiderten, erschüttert nun den Glauben daran, dass man den Afghanen bald endgültig die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übertragen kann. Bei dem Gefecht starb ein deutscher Soldat, ein weiterer wurde schwer verwundet. Und nun hat Konteradmiral Brinkmann auch noch Zahlen zu verkünden, die den Zweifeln neue Nahrung geben.

Demnach haben die Aufständischen im vergangenen Jahr die Zahl der Angriffe und Anschläge im Norden des Landes deutlich gesteigert. Im Jahr 2012 gab es dort 1228 sogenannte sicherheitsrelevante Zwischenfälle und damit 241 mehr als im Jahr zuvor. Vor allem aber, und das ist das Entscheidende, korrigiert die Bundeswehr damit die bisherigen Zahlen erheblich nach oben: Bislang hatten die Statistiker für 2012 lediglich 1009 Vorfälle gezählt. Auch die Zahl für das Jahr 2011 liegt höher, als ursprünglich angenommen, die Lage ist also deutlich schlechter, als bislang bekannt war. Bereits Anfang des Jahres hatten Bundeswehr und Isaf-Führung ihre bisherigen Statistiken zurückgezogen, Grund war ein fehlerhaftes Zähl- und Meldesystem. Immerhin, eine positiv klingende Zahl hat Brinkmann auch zu verkünden: Die Zahl der Zwischenfälle im Norden ist, verglichen mit dem Rest des Landes, trotz allem noch immer relativ niedrig. Landesweit gab es im vergangenen Jahr 31.182 Zwischenfälle. Deren Zahl ist laut Brinkmann im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen.

Bemerkenswert ist ein Satz, mit dem er die Häufung der Vorfälle im deutschen Verantwortungsbereich begründet: Das sei "die logische Konsequenz" daraus, dass man die Sicherheitsverantwortung größtenteils an die Afghanen übergeben habe. Man könnte das auch so übersetzen: Die afghanischen Sicherheitskräfte sind noch lange nicht in der Lage, das Niveau an Sicherheit zu garantieren, das die Isaf-Soldaten mit Mühe und Not aufrechterhalten haben. Er sei dennoch, sagt Brinkmann, trotz einer Lage, die "fragil" sei, "verhalten optimistisch". Allerdings muss man bei diesem Ausblick berücksichtigen, dass die Afghanen über keine Luftwaffe verfügen - und in der Vergangenheit viele Gefechte mit Aufständischen erst durch Unterstützung aus der Luft entschieden wurden, vor allem von US-amerikanischen Kräften.

Keine Zweifel an den afghanischen Partnern

Im Jahr 2012, sagt Brinkmann, seien landesweit etwa 2500 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte gefallen - was einen Anstieg von knapp 70 Prozent im Vergleich zu 2011 bedeute. Der Grund dafür: abermals die "verstärkte Präsenz in der Fläche". Was er mit diesen Zahlen allerdings auch ausdrücken will: Es gebe keinen Zweifel an der Bereitschaft der afghanischen Partner, "Opfer für die Sicherheit und die Zukunft ihres Landes" zu bringen. Dafür zolle man ihnen "Respekt".

Und die Flucht aus dem Gefecht? Das Wort Flucht behagt Brinkmann merklich nicht, stattdessen spricht er von "taktisch anderem Verhalten" - um dann immer wieder in Varianten zu betonen: "Wir haben keinen Anlass und keinen Grund, die Kooperation mit den afghanischen Sicherheitskräften zu reduzieren."

Ob diese Sichtweise derzeit überall in der Bundeswehr geteilt wird, ist zumindest fraglich. Resümierend sagt der stellvertretende Befehlshaber es so: Was die Verantwortung angehe, müsse man irgendwann auch "einfach mal loslassen können", um den Afghanen das Gefühl zu geben, dass sie nun am Zug seien.

Loslassen ist das eine. Das andere ist die Frage, was danach passiert. Was man loslässt, schlägt zuweilen ziemlich hart auf.

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