Bundeswehr:Bis zur Ohnmacht

Ausbilder sollen Rekruten in Pfullendorf absichtlich überfordert haben, einer kam für zwei Tage ins Krankenhaus. Obwohl dies meldepflichtig war, erfuhr das Verteidigungsministerium zunächst nichts von dem Vorfall.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die Bundeswehr gerät wegen fragwürdiger Ausbildungspraktiken weiter unter Druck. Nachdem in der Staufer-Kaserne in Pfullendorf mehrere Offiziersanwärter einen Geländelauf aus Erschöpfung abbrechen mussten und einer von ihnen nach nur drei Kilometern bewusstlos zusammenbrach, stehen Ausbilder in Verdacht, die Rekruten absichtlich überfordert zu haben. In einem Bericht des Verteidigungsministeriums, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist die Rede davon, dass der Geländelauf womöglich als "Selektionslauf" angelegt worden war.

"Es hat sich damit der Verdacht erhärtet, dass im vorliegenden Fall nicht nur die Methodik der Sportausbildung falsch war, sondern auch gegen die Grundsätze einer zeitgemäßen Menschenführung und weitere soldatische Pflichten verstoßen worden sein könnte", heißt es in einem Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Tauber an den Verteidigungsausschuss, über das zuerst Spiegel Online berichtet hatte. Detailliert führt das Ministerium die Vorkommnisse vom 9. Januar im Ausbildungszentrum Spezielle Operationen aus.

Mittlerweile richten sich die Ermittlungen gegen weitere Vorgesetzte

In Pfullendorf wird der Feldwebelnachwuchs der Fallschirmjägertruppe und des Kommando Spezialkräfte ausgebildet. Die Rekruten standen ganz am Anfang ihrer Ausbildung, erst eine Woche zuvor waren sie in die Bundeswehr eingetreten. Nun sollte ein 15-Kilometer-Lauf absolviert werden. Aber bereits nach anderthalb Kilometern konnten die ersten Soldaten das Tempo nicht mehr halten. Der Ausbilder befahl den an der Spitze Laufenden, umzukehren und die zurückliegenden Rekruten wieder einzusammeln. Dies wiederholte sich dreimal, bis nach 20 Minuten einer der Rekruten bewusstlos zusammenbrach. Dennoch wurde die Trainingseinheit dem Bericht zufolge nicht abgebrochen. Ein weiterer Rekrut unterbrach seinen Lauf wegen Erschöpfung, vier Soldaten gaben auf und ließen sich in die Kaserne zurückfahren. Zwei von ihnen erklärten während des Trainings, wieder aus der Bundeswehr ausscheiden zu wollen. Ein anderer Soldat knickte wenige Hundert Meter vor der Kaserne um. Die verbliebene Gruppe erreichte nach gut anderthalb Stunden das Ziel. Der ohnmächtige Soldat kam erst 45 Minuten nach seinem Zusammenbruch wieder zu sich, da wurde er gerade ins Kreiskrankenhaus Pfullendorf verlegt. Zwei Tage später konnte er die Klinik "ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen" verlassen, wie das Ministerium ausführt. Für weitere Untersuchungen wurde er stationär bis zum 25. Januar in das Bundeswehrkrankenhaus Ulm aufgenommen. Gesundheitliche Gründe für seinen Zusammenbruch fanden sich demnach nicht. Das Ministerium kommt zu dem Ergebnis, dass der Lauf "überfordernd" und dem Ausbildungsstand "nicht angemessen" gewesen sei.

Bemerkenswert ist auch, wie das Ministerium von dem Vorfall erfuhr. Dies geschah dem Ministerium zufolge erst fünf Tage nach dem Lauf durch anonyme Hinweisgeber. Dabei handle es sich jedoch um ein meldepflichtiges Ereignis. Diese Information vonseiten des Ausbildungszentrums erfolgte jedoch erst am 17. Januar. "Seltsam", nennt Tobias Lindner, Verteidigungsexperte der Grünen, dass erst nach den anonymen Meldungen Ermittlungen eingeleitet worden seien. Sollte sich bestätigen, dass ein "Selektionslauf" beabsichtigt war, gehe es um weit mehr, als um einen Ausbilder, der über das Ziel hinausgeschossen sei. Mittlerweile richten sich die Ermittlungen gegen weitere Vorgesetzte. Wegen des Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht und die Pflicht zur Dienstaufsicht wurde gegen einen Zugführer, einen Oberleutnant, bereits eine Geldstrafe von 2000 Euro verhängt. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat sich eingeschaltet.

Heeresinspekteur Jörg Vollmer hat bereits angekündigt, den Trainingszustand der Rekruten stärker berücksichtigen und sie entsprechend ihrer Fitness in Gruppen einteilen zu wollen. Die Ausbildung steht in der Kritik, seitdem ein Offiziersanwärter 2017 bei einem Marsch in Munster durch einen Hitzschlag ums Leben kam.

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