Bundeswehr:Belastende Manöver

NATO Holds Noble Jump Exercises Of VJTF Forces

Superschnelle Eingreiftruppe: ein Bundeswehr-Soldat bei einer Nato-Übung in Polen.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Aktuell sind nur relativ wenig Bundeswehrsoldaten im Einsatz - umso mehr trainieren bei Nato-Übungen im Osten. Der Wehrbeauftragte fordert für sie eine bessere Versorgung.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Als Ursula von der Leyen Anfang 2014 die neue deutsche Verantwortung ausrief, da schwante vielen Böses. Anders als beim Bundespräsidenten und dem Außenminister, die sich ähnlich äußerten, wurden die Worte der CDU-Verteidigungsministerin schon wegen ihres Amtes als Ankündigung neuer Bundeswehr-Einsätze gedeutet. Mehr als eineinhalb Jahre später allerdings sieht die Realität anders aus.

Ende August lag die Gesamtstärke der deutschen Einsatzkontingente bei 2340 Soldatinnen und Soldaten. Das ist nicht einmal mehr ein Viertel jener Höchstzahl, die 2002 erreicht wurde. Damals waren mehr als 10 400 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz. Hauptgrund für die im Vergleich zu vergangenen Jahren deutlich niedrigere Zahl ist das reduzierte Engagement in Afghanistan. Doch während die Bundeswehr derzeit weniger in mandatierte Einsätze eingebunden ist als früher, ist etwas anderes hinzugekommen.

Nun ist es vor allem die angespannte Lage im Osten, die Tausende Soldaten bindet. So sind in diesem Jahr nach Angaben des Verteidigungsministeriums etwa 4400 Soldaten an Übungen im östlichen Nato-Bündnisgebiet beteiligt. Bis zu 2700 Soldaten stellt Deutschland für die sogenannte superschnelle Nato-Eingreiftruppe. Und immerhin etwa 150 Soldaten sind damit beschäftigt, den Luftraum über dem Baltikum zu sichern. Um Einsätze im eigentlichen, vor allem rechtlichen Sinn handelt es sich nicht. Das ergibt Probleme.

"Die Aufgabe der Bundeswehr hat sich in jüngster Zeit schnell gewandelt", sagt der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. "Während eine Zeitlang vor allem Out-of-Area-Einsätze ihr Aufgabenprofil geprägt haben, rückt nun die kollektive Verteidigung im Bündnisgebiet wieder in den Vordergrund." Die dabei für die Soldaten entstehenden Belastungen seien vergleichbar mit den Belastungen eines mandatierten Auslandseinsatzes. "Daher sollte man sie auch so behandeln wie Einsätze."

Als Beispiel nennt Bartels die Überwachung des Luftraums über dem Baltikum durch Eurofighter der Bundeswehr - in der vergangenen Woche hat er das deutsche Kontingent in Estland besucht. "Die Soldaten sind bis zu vier Monate dort", sagt Bartels. "Und wenn ihnen dort etwa durch einen Unfall etwas passiert, ist das für den Betroffenen ja nicht weniger schlimm, als wenn dieser Unfall im Kosovo passiert wäre, also in einem klassischen Einsatz." Als weiteres Beispiel nennt er die schnelle Eingreiftruppe der Nato. "Auch diese Soldaten sind während ihrer Übungen längere Zeit abwesend und gebunden." Bartels fordert daher: "Was die Absicherung der Soldaten angeht, sollte man die sogenannten einsatzgleichen Verpflichtungen den Einsätzen rechtlich gleichstellen." Das gelte auch für weitere Punkte: "Auch die Familienbetreuungszentren sollten für die Angehörigen dieser Soldaten in solchen Verpflichtungen da sein."

Auch im Ministerium hat man sich über das Thema bereits Gedanken gemacht. Von Anfang Mai bis Mitte Juli beschäftigte sich eine "Arbeitsgruppe Einsatz" damit, "mögliche Ungleichbehandlungen der Soldatinnen und Soldaten in den verschiedenen Einsatz-/Verwendungsformen" zu erfassen und zu bewerten. So ist es in der schriftlichen Fassung eines Vortrags formuliert, in dem die Ergebnisse festgehalten sind. Zwar ist offen, wie die Spitze des Ministeriums mit den Ergebnissen verfährt - dazu soll es nun ein internes Gespräch geben. Doch die Stoßrichtung der Arbeitsgruppe ist eindeutig: Sie will die Ungleichbehandlung mildern.

Als Beispiel für Unzufriedenheit in der Truppe wird auch in ihrem Bericht die Überwachung des Luftraums über dem Baltikum genannt. Hier werde "durch die eingesetzten Kräfte oft die Frage gestellt, warum kein Mandat vorliegt" - mit der Folge, dass es sich nicht um eine "besondere Auslandsverwendung" handele, weshalb kein Anspruch auf Auslandsverwendungszuschlag bestehe. Für den vom Bundestag mandatierten Patriot-Einsatz in der Türkei hingegen werde er, wie rechtlich vorgesehen, gezahlt. Es handele sich um einen "vergleichbaren militärischen Auftrag".

Die Frage der Mandatierung ist die eine, rechtlich-politische Angelegenheit. Die andere Frage dreht sich darum, wie man einsatzähnliche oder einsatzgleiche Verpflichtungen künftig behandeln könnte. Die Arbeitsgruppe hat ein "Missionsmodell" entwickelt, mit dem man sich vom engen Einsatzbegriff lösen könnte. Um die Belastungen für die Soldaten zu erfassen, wurden neben der Sicherheitslage oder der Gefahr von Tod und Verwundung auch Faktoren wie "Abwesenheit" oder "Planbarkeit" berücksichtigt. Ergebnis: Auch Missionen, bei denen es sich nicht um einen mandatierten Einsatz handelt, können eine starke Belastung bedeuten. Künftig, so die Empfehlung der Arbeitsgruppe, solle man sich am Missionsbegriff orientieren.

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