Bundesverfassungsgericht:Opposition bleibt Mist

Die Linke wollte vor dem Bundesverfassungsgericht mehr Rechte für die Opposition erstreiten - und ist gescheitert. Minderheit ist eben nicht gleich Opposition.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Von Konrad Adenauer ist ein Satz überliefert, der ganz gut zu dem passt, was das Bundesverfassungsgericht an diesem Dienstag entschieden hat. Am 15. September 1949 hat ihn der erste Deutsche Bundestag zum Kanzler gewählt, mit nur einer Stimme Vorsprung. Die Opposition rumorte und polterte herum. Adenauer sagte: "Wat wollen Se' denn, meine Damen und Herren? Mehrheit ist Mehrheit."

So ist das eben in einer Demokratie. Und das haben jetzt auch die Linken zu spüren bekommen. Vor dem höchsten deutschen Gericht sind sie mit der Forderung nach mehr Rechten für die Opposition gescheitert. Insbesondere wollte sie ein eigenes Oppositionsrecht auf Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht durchsetzen.

Das Grundgesetz aber kennt keine Opposition. Es kennt auch Fraktionen nicht wirklich. Erst im Artikel 53a taucht taucht das Wort zum ersten und einzigen Mal auf.

Was das Grundgesetz kennt, ist die Gewissensfreiheit jedes Abgeordneten im einem frei gewählten Parlament. Dort gibt es Mehrheiten und Minderheiten. Für die Minderheit wiederum sieht das Grundgesetz ein paar Sonderrechte vor. Das Recht auf Normenkontrollklage etwa oder auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Diese Rechte sind an Quoren gebunden. Ein Viertel der Abgeordneten muss jeweils mitmachen.

In der Regel reicht das auch. Seit der Bundestagswahl 2013 aber nicht mehr. 630 Sitze hat der Bundestag aktuell. Davon ein Viertel wären 158 Sitze. Linke und Grüne bringen aber zusammen nur 127 Sitze auf die Waage.

Die Regierungsparteien sind der Opposition bereits entgegengekommen

Nach der Wahl ist die 80-Prozent-Mehrheit aus Union und SPD den Oppositionsfraktionen durchaus entgegengekommen. In der Geschäftsordnung des Bundestages hat sie ihr zugestanden, dass sie Minderheitenrechte bereits mit 120 Abgeordneten einfordern kann. Das Recht etwa auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses war damit gesichert. Union und SPD haben Grünen und Linken auch mehr Redezeit überlassen, als ihnen nach dem tatsächlichen Kräfteverhältnis im Parlament zugestanden hätte.

Anträgen der Linken aber, auch eine Normenkontrollklage der beiden kleinen Fraktionen zuzulassen, hat die große Koalition nicht zugestimmt. Die Linke hat letztlich gegen diese Mehrheitsentscheidung im Bundestag geklagt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung jetzt klargemacht: Es gibt keine aus dem Grundgesetz ableitbaren expliziten Rechte für Oppositionsfraktionen. Es gibt nur die an Quoren geknüpften Minderheitenrechte.

Nach den Buchstaben des Grundgesetzes war keine andere Entscheidung zu erwarten. Dennoch hat das Gericht ein Hintertürchen für die Fraktionen offengelassen. Im Wege eines Organstreitverfahrens könnten die Fraktion ein Gesetz auf seine Grundgesetzwidrigkeit überprüfen lassen. Allerdings nur, wenn es die Rechte des Bundestages verletzen könnte. Das schränkt den Radius doch erheblich ein.

Die gelebte parlamentarische Wirklichkeit unter den Bedingungen einer 80-Prozent-Mehrheit ist zuweilen absurd. Sie hat mit dem leicht verklärten Blick des Grundgesetzes auf die Machtmechanismen wenig zu tun.

Trotz der Zugeständnisse in der Redezeit etwa loben sich heute in drei Viertel der Zeit einer Bundestagsdebatte die Abgeordneten der Regierungskoalitionen gegenseitig. Manchmal kommt Mitleid mit den letzten Rednern aus Union und SPD auf, weil denen meist auch nicht mehr einfällt als das, was ihre Vorredner schon gesagt haben. Das Normenkontrollrecht ist als Minderheitenrecht wirkungslos, wenn die Opposition das nötige Quorum nicht erfüllen kann. Und auch wenn das Grundgesetz keine Fraktionen kennt: Die jeweilige Fraktionsstärke ist der maßgebliche Faktor im Kräfteverhältnis der Parteien untereinander. Das Gewissen des einzelnen Abgeordneten ist da eher selten gefragt.

Es wäre also durchaus angeraten, über die Kontrollrechte von Minderheiten neu nachzudenken. Am Ende müsste dann eine Änderung des Grundgesetzes stehen. Das wäre eine Aufgabe des Gesetzgebers. Und nicht die des Bundesverfassungsgerichtes. Solange da nichts geschieht, werden die Oppositionsparteien auf den Straßen und Plätzen der Republik darum kämpfen müssen, mehr Sitze im Bundestag zu bekommen. "Opposition ist Mist", hat der frühere SPD-Chef Franz Müntefering mal gesagt. Die Linke weiß jetzt: Opposition bleibt auch Mist.

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