Bundesverfassungsgericht:NPD-Verbotsprozess droht zu platzen

Das Bundesverfassungsgericht hat die mündliche Verhandlung über das NPD-Verbot vorläufig aufgehoben, weil einer der vorgeladenen NPD-Vertreter offenbar Verbindungsmann des Verfassungsschutzes ist.

Helmut Kerscher

(SZ vom 23.1.2002) - Karlsruhe - Das Parteiverbots-Verfahren gegen die NPD droht zu platzen. Völlig überraschend setzte das Bundesverfassungsgericht am Dienstag die fünf Termine für die mündliche Verhandlung ab, die am 5. Februar beginnen sollte.

Zur Begründung hieß es, eine der geladenen Auskunftspersonen aus den Reihen der NPD habe für den Verfassungsschutz gearbeitet. Es handle sich um ein "langjähriges Mitglied des Bundesvorstandes". Bekannt geworden sei dies erst durch den Anruf eines Abteilungsleiters im Bundesinnenministerium. Das Ministerium kündigte die schnellstmögliche Aufklärung des Vorgangs an.

Die Karlsruher Richter hatten offenbar nur zufällig von der V-Mann-Tätigkeit erfahren: Ein Abteilungsleiter im Bundesinnenministeriums habe dem Gericht telefonisch mitgeteilt, dass ein geladener Zeuge eine Aussagegenehmigung vom Verfassungsschutz vorlegen werde, hieß es.

Hinweis für Gericht von großer Bedeutung

Dabei handle es sich um ein langjähriges Mitglied des NPD-Bundesvorstandes und des Vorstandes eines NPD-Landesverbandes. Sieben der 14 geladenen "Auskunftspersonen" gehören dem Bundesvorstand an: Holger Apfel, Jürgen Distler, Erwin Kemna, Jens Pühse, Sascha Roßmüller, Frank Schwerdt und Doris Zutt.

Der Hinweis auf die V-Mann-Tätigkeit eines Spitzenfunktionärs ist für den Zweiten Senat nach dessen Worten von großer Bedeutung, weil Äußerungen dieser Person in den Anträgen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat "mehrfach als Beleg für die Verfassungswidrigkeit" angeführt worden seien.

Das Gericht sah sich außer Stande, die damit verbundenen Rechtsfragen bis zum Beginn der Verhandlung zu klären. Es wird nun prüfen, ob der Prozess unter diesen Umständen überhaupt fortgeführt werden kann und wie das verbleibende Belastungsmaterial zu werten ist.

Bis zu 100 V-Männer in NPD

Die parlamentarische Staatssekretärin im Innenministerium, Cornelie Sonntag-Wolgast, zeigte sich überrascht von der Aussetzung der Verhandlung. Die Nachricht davon habe sie in "wildes Erstaunen" versetzt, sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Die Sache müsse jetzt möglichst schnell geklärt werden.

Die drei Verbotsanträge von Regierung, Bundestag und Bundesrat seien gut vorbereitet worden. "Von der Sache her sind das drei ganz fundierte Klagen", aber natürlich sei das Gericht autonom in seiner Entscheidung, sagte Sonntag-Wolgast. Die Union forderte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zur Aufklärung möglicher Unregelmäßigkeiten im NPD-Verbotsantrag der Regierung auf.

Der interne Zeitplan des Gerichts war schon im Frühsommer durch eine Razzia der Staatsanwaltschaft Berlin beim NPD-Prozessbevollmächtigten Horst Mahler durcheinander geraten. Der Zweite Senat korrigierte eine umfassende Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion und ordnete die Rückgabe von Material an, weil es das Parteiverbotsverfahren als gefährdet ansah.

An Hinweisen auf eine Gefährdung des Prozesses durch zahlreiche V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD hatte es nicht gefehlt. Aus Sorge vor untauglichen Zeugen und vor einer nicht bekannten Unterwanderung der NPD durch V-Leute hatten die Chefs der Verfassungsschutzbehörden schon im Sommer einen umfassenden Informationsaustausch vereinbart.

Den Anlass boten mehrere Enttarnungen von Parteifunktionären in den östlichen Bundesländern. So wurde Mitte Mai der stellvertretende NPD-Vorsitzende von Thüringen, Tino Brandt, als Spitzel enttarnt. Nach Schätzungen von Experten arbeiten bis zu 100 NPD-Funktionäre für den Verfassungsschutz.

Die mündliche Verhandlung sollte an fünf Tagen zwischen 5. und 20.Februar stattfinden, wie das Gericht bekannt gegeben hatte. Die Verzögerung könnte dazu führen, dass die Gerichtspräsidentin und Vorsitzende des Zweiten Senats, Jutta Limbach, nicht mehr an dem Verfahren teilnehmen kann. Ihre Amtszeit endet im März wegen Erreichens der Altersgrenze von 68. (Az: Bundesverfassungsgericht 2 BvB 1/01 u.A.)

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