Bundestag:Die AfD und das Problem mit dem Vizepräsidenten

Holocaust-Gedenken im Bundestag

Neben Bundestagspräsident Norbert Lammert gibt es derzeit sechs Vizepräsidenten. Nach der Wahl könnte ihre Zahl auf acht steigen, bis 2005 waren es noch vier.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)
  • Die große Koalition verhindert, dass die AfD den Alterspräsidenten des nächsten Bundestags stellen kann.
  • Der AfD stünde nach einem Einzug in das Parlament aber auch ein Vizepräsident zu.
  • In der Unionsfraktion wird bereits jetzt überlegt, wie man damit umgehen soll.

Von Robert Roßmann, Berlin

Die erste Sitzung eines neu gewählten Bundestags ist normalerweise eine feierliche Angelegenheit. Der Alterspräsident eröffnet die Sitzung mit einer möglichst weisen Rede. Dann wählen die Abgeordneten in großer Eintracht ihren richtigen Präsidenten - der das Land anschließend ebenfalls mit Grundsätzlichem zur Lage der Demokratie zu beglücken versucht. Es folgt die einvernehmliche Wahl der Vizepräsidenten. Wenn der Beifall für die Erkorenen endlich verklungen ist, stehen die Abgeordneten auf, singen die Nationalhymne und gehen friedvoll auseinander. So ist es üblich. Doch in diesem Herbst dürfte die erste Sitzung des neuen Bundestags anders verlaufen. Und das liegt nicht nur am wahrscheinlichen Einzug der AfD.

Wenn die Rechtspopulisten den Sprung in den Bundestag schaffen, dürften sie nach den bisherigen Usancen den Alterspräsidenten stellen. Ihr Kandidat Wilhelm von Gottberg wäre mit 77 Jahren der älteste Abgeordnete. Doch die große Koalition will das verhindern, eine Änderung der Regelung zum Alterspräsidenten wurde am Montag als Punkt auf die Tagesordnung des Bundestages genommen. Statt Gottberg, der durch umstrittene Äußerungen zum Holocaust aufgefallen ist, will die Koalition Wolfgang Schäuble, den dienstältesten Parlamentarier, zum Alterspräsidenten machen. Bereits dieser nachvollziehbare, aber nicht ganz saubere Eingriff in die Geschäftsordnung dürfte zu heftigen Protesten der AfD in der konstituierenden Sitzung führen.

Doch neben diesem Problem, über das in den vergangenen Wochen viel diskutiert wurde, gibt es noch ein zweites, über das bisher noch nicht gesprochen wurde: Soll die AfD, wie alle anderen Fraktionen, einen Bundestagsvizepräsidenten stellen dürfen?

Das Problem ist eigentlich ein viel größeres als das Problem mit dem Alterspräsidenten. Wilhelm von Gottberg hätte nur einen Auftritt, ein Vizepräsident leitet dagegen - abwechselnd mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Präsidium - vier Jahre lang die Sitzungen des Bundestags. In der Spitze der Unionsfraktion macht man sich deshalb schon jetzt Gedanken. Wie soll man sich verhalten? Denn alle denkbaren Varianten haben einen Haken.

Die AfD könnte sich als Märtyrer stilisieren

Wenn die Mehrheit im neuen Bundestag der AfD einen Vizepräsidenten verweigert, verstößt sie damit nicht nur gegen die bisher geltende Geschäftsordnung des Parlaments; diese garantiert jeder Fraktion "mindestens einen Vizepräsidenten". Die Rechtspopulisten könnten das auch dafür nutzen, um sich zu politischen Märtyrern zu stilisieren.

Wenn man der AfD aber einen Vizepräsidenten zugesteht, muss man nicht nur vier Jahre lang einen Rechtspopulisten als Sitzungsleiter ertragen. Der Bundestag müsste sich auch vorwerfen lassen, sein Präsidium auf Kosten der Steuerzahler maßlos aufzublähen.

Bereits jetzt gibt es neben Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sechs Vizepräsidenten. Wenn, wie es die Umfragen derzeit voraussagen, FDP und AfD in den Bundestag einziehen, müssten auch Liberale und Rechtspopulisten einen Vizepräsidenten bekommen. Ihre Zahl stiege damit auf acht, bis 2005 waren es noch vier. Für acht Vizepräsidenten gibt es aber weder genügend Arbeit noch wäre der Anstieg den Bürgern zu vermitteln.

Schuld an der misslichen Lage ist zu einem gehörigen Teil die große Koalition. Union und SPD haben sich nach der Wahl 2013 je zwei Vizepräsidenten genehmigt, in der Legislaturperiode zuvor hatten sie sich noch mit je einem begnügt. Linke und Grüne stellen wie zuvor je eine Vizepräsidentin.

Wenn man sich an die Geschäftsordnung hält, würden im Herbst auch noch Vizepräsidenten von AfD und FDP dazukommen. Wenn man das Präsidium aber nicht noch weiter aufblähen will, müssten Union und SPD auf je einen Vizepräsidenten verzichten. Das fällt aber keiner der beiden Fraktionen leicht. Und so dürfte es in der ersten Sitzung des neuen Bundestags auch eine Geschäftsordnungsdebatte über Größe und Zuschnitt des Präsidiums geben.

Es wäre nicht das erste Mal, dass sich der Bundestag mit neu ins Parlament gewählten Fraktionen schwertut. Die Grünen kamen erst 1994 - elf Jahre nach ihrer ersten Wahl in den Bundestag - zum Zug. Damals wurde Antje Vollmer Vizepräsidentin. Wolfgang Schäuble und Joschka Fischer hatten die Personalie an der SPD vorbei vereinbart. Seitdem sieht die Geschäftsordnung vor, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten bekommt. Als die PDS 1998 zum ersten Mal in Fraktionsstärke in den Bundestag gewählt wurde, durfte deshalb ihre Abgeordnete Petra Bläss Vizepräsidentin werden. 2005 ließ die Mehrheit im Bundestag dann aber den damaligen Linkspartei-Chef Lothar Bisky durchfallen. Statt Bisky wurde die Linke Petra Pau Vizepräsidentin, sie war den anderen Fraktionen genehmer.

So ähnlich könnte es auch in diesem Herbst laufen: Die Mehrheit des Bundestages akzeptiert zwar den Anspruch der AfD auf einen Vizepräsidenten, behält sich aber vor, nur einen ihr genehmen AfD-Abgeordneten zu wählen.

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