Bundestagswahl 2017:Wahl der kleinen Sensationen

Nach der Landtagswahl Sachsen-Anhalt

Die AfD färbt die politische Landkarte blau.

(Foto: dpa (M))

Die AfD färbt die politischen Landkarten blau und die SPD fällt auch mal auf Platz fünf zurück: Erstaunliche Beobachtungen zu einer Wahl, die Deutschland verändern wird.

Von Wolfgang Jaschensky und Benedict Witzenberger

Mit der AfD zieht eine rechtsradikale Partei in den Bundestag ein! Die große Koalition verliert fast 15 Prozentpunkte! Die CSU ist so schlecht, dass ihr Chef sogar die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU zur Debatte stellt! Es dauert eine Weile, bis die wichtigen Ergebnisse verdaut sind, und den Blick freigeben auf viele erstaunliche Erkenntnisse, die sich aus dieser Wahl gewinnen lassen.

Eine dieser Erkenntnisse lautet: Das politische Deutschland zersplittert. Wo früher Union und SPD die Mehrheit der Bürger im ganzen Land hinter sich vereinigen konnten, kann sich heute keine Partei mehr guten Gewissens Volkspartei nennen. Ein Blick auf die Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen offenbart, wie sehr das Land gespalten ist.

Wer dann noch tiefer in die Ergebnisse dieser Bundestagswahl blickt, kommt ins Grübeln: eine Reise zu den erstaunlichen Resultaten dieser Wahl.

Station 1: Sächsische Schweiz - Osterzgebirge

Fangen wir an in einer, man kann es nicht anders sagen, wunderschönen Gegend:

Bundestagswahl 2017: Nationalpark Sächsische Schweiz

Nationalpark Sächsische Schweiz

(Foto: Philipp Zieger/Flickr/CC-by-ND)

Elbsandsteingebirge, Elbe, Bastei, Festung Königstein, Wintersport in und um Altenberg, Glashütte-Uhren: Der Wahlkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge ist ein Paradies für Wanderer, Kletterer, Wintersportler - und die AfD. Es ist der Wahlkreis von Frauke Petry, die auf der Bundespressekonferenz einen denkwürdigen Auftritt hingelegt hat, indem sie erklärte, nicht der AfD-Fraktion im Bundestag angehören zu wollen. Mit Frauke Petry hat die AfD hier unglaubliche 35,5 Prozent der Stimmen gewonnen, 9,9 Prozentpunkte mehr als die CDU.

Die SPD war es über Jahrzehnte gewohnt, mindestens zweitstärkste Kraft zu sein. Bei dieser Wahl landete sie in 84 Wahlkreisen nicht auf einem der ersten beiden Plätze. Doch hier, im Südosten Sachsens, reichte es auch nicht für Platz drei oder vier. Die SPD ist abgeschlagen auf Platz fünf.

Station 2: Bayern

Das Ergebnis der Bundestagswahl ist eine Katastrophe für die CSU. Mehr als zehn Prozentpunkte haben die Christsozialen verloren. Das Ergebnis ist so verheerend, dass derzeit völlig unklar ist, ob Parteichef Seehofer noch lange Parteichef ist und ob er die CSU als Spitzenkandidat in die Landtagswahl kommendes Jahr führt. Schwacher Trost für die CSU: Die politische Landkarte in Bayern bleibt nicht nur bei den Direktmandaten schwarz.

Wie dramatisch die Umbrüche in Bayern sind und wie sehr sie nicht nur die CSU treffen, wird erst beim Blick auf die zweitplatzierten Parteien deutlich: Bayerns Süden und Osten ist dann so blau wie sonst nur der Osten Deutschlands. Dazu ein bisschen FDP und in München Grün.

Im Wahlkreis Deggendorf kommt die AfD auf 19,2 Prozent der Stimmen, fünf Prozentpunkte mehr als die SPD. Im Wahlkreis Straubing sind es 18,4 Prozent und im Wahlkreis Schwandorf 17,4 Prozent und sogar im Audi-reichen Ingolstadt sind es 15,1 Prozent.

Station 3: Berlin

Keine Stadt ist politisch so fragmentiert wie die Hauptstadt. Und das nicht nur bezogen auf das gesamte Stadtgebiet, sondern sogar innerhalb eines Kiezes sind die Unterschiede zum Teil gewaltig. Die Berliner Morgenpost hat die Ergebnisse der Hauptstadt für jedes einzelne Wahllokal aufgeschlüsselt. Ein Blick auf wenige Quadratkilometer zwischen den Bezirken Mitte - hier der Wedding - und Reinickendorf zeigt es exemplarisch: Obwohl die Wahlbezirke so nah beieinander liegen und oft durch Straßen verbunden werden, trennen sie politisch Welten (dargestellt: stärkste Partei im jeweiligen Wahllokal und Ergebnis der AfD).

Station 4: AfD-Wähler

Das gängige Ziel der AfD-Wahlkämpfer sind Flüchtlinge und, ganz generell, Ausländer. Diese Haltung kann jedoch kaum durch eigene Erfahrung gewachsen sein, denn es gibt eine deutliche Korrelation: Je niedriger der Ausländeranteil in einem Wahlkreis ist, desto höher ist der Anteil der AfD-Wähler.

Nun sagen AfD-Anhänger auch gerne von sich, nichts gegen Ausländer zu haben und fügen dann ein "aber" an. Hinter dem "aber" kommt dann oft, dass die Ausländer dem Staat auf der Tasche liegen, das ginge nicht. Doch auch hier zeigen die Daten: Die AfD hat in den Wahlkreisen besser abgeschnitten, in denen der Anteil an Ausländern, die Hartz-IV-Empfänger sind, niedriger ist.

Station 5: Frankfurt (Oder) - Oder-Spree

Der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland war für mehrere Tiefpunkte in diesem Wahlkampf verantwortlich. Einer davon traf die SPD-Vizevorsitzende und Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz, die Gauland "in Anatolien entsorgen" wollte.

Nun ist diese Aydan Özoğuz mit 34,6 Prozent der Erststimmen in ihrem Wahlkreis Hamburg-Wandsbek in den Bundestag gewählt worden. Gauland blieb in seinem Wahlkreis hinter den Erwartungen und mehr als fünf Prozentpunkte hinter dem CDU-Mann Martin Patzelt zurück.

Station 6: Die jungen Wähler

In den Nachwahlbefragungen teilen die Demoskopen die Wähler in vier Altersgruppen ein. Die jüngste Altersgruppe sind die 18- bis 29-Jährigen. Und die Jungen sind es auch, die anders wählen.

In allen anderen Altersgruppen landet die AfD auf Platz drei hinter CDU und SPD. Die jungen Wähler unterscheiden sich da deutlich: Die AfD ist hier mit deutlichem Abstand hinter den Grünen und der FDP gleichauf mit den Linken auf Platz 5.

Station 7: Münster

Spontane Umfrage unter Kollegen: Wofür ist Münster bekannt? Antwort: Tatort, Fahrräder, Uni. Dazu kommt vielleicht: Einziger Wahlkreis in Deutschland, in dem die AfD unter fünf Prozent geblieben ist.

Im Prinzip hat der Wahlkreis so gewählt, wie der Bundesschnitt, nur der AfD fehlen acht Prozentpunkte, die die Wähler fair zwischen Grünen und FDP verteilt haben.

Station 8: Berlin-Marzahn-Hellersdorf

Wohnungen in Berlin

Marzahn im Blick.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Statistisch gesehen weicht kein Wahlkreis so sehr vom Bundesergebnis ab, wie der Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf (zur Methodik mit Jenks: hier). Die Linke ist in den Plattenbaukiezen insgesamt eine Macht, doch die AfD - mit bezirksweit 21,6 Prozent der Stimmen auf Platz zwei - konnte in manchen Wahllokalen an den Linken vorbeiziehen. FDP und Grüne spielen keine Rolle.

Interessant ist allerdings ein Blick auf die Ergebnisse im südlichen Teil des Bezirkes: In den Ortsteilen Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf befindet sich Deutschlands größtes zusammenhängendes Gebiet mit Ein- und Zweifamilienhäusern. Hier hat fast überall die CDU die Nase vorn.

Station 9: FDP-Wähler

Bei so viel Absonderlichkeiten, bleibt am Ende eine fast beruhigende Konstante: Die FDP wird gewählt, wo das Geld wohnt.

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