Bundestagswahl:Schulz: "Wer Merkel abwählen will, muss Schulz wählen"

  • SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz formuliert vier Kernforderungen zu Bildung, Arbeit, Rente und Europa.
  • Schulz wehrt sich gegen die Lesart, dass diese "roten Linien" eine Bewerbung um den Juniorposten in einer künftigen großen Koalition seien.
  • Er schließt ein schwarz-rotes Bündnis nach der Wahl aber auch nicht aus.

Von Jakob Schulz, Berlin

Bewerbungen werden im Format DIN A4 gedruckt und gehören in eine ordentliche Bewerbungsmappe, so lernen es Jugendliche in Deutschland in der Schule. Sollte es sich bei dem Brief von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz um eine Bewerbung handeln, so wäre sie also in mehrfacher Weise ungewöhnlich. Zum einen ließen die Sozialdemokraten den handgeschriebenen Brief als ganzseitige Anzeige in Tageszeitungen drucken, zum anderen erläuterte Schulz seine Mitteilung auch noch per Livevideo auf Facebook. Die Botschaft: Er werde nur in eine Regierung eintreten, wenn vier seiner Kernforderungen zu Rente, Bildung, Arbeit und Europäischer Union verwirklicht würden. Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch meinte, in dem Brief eine Bewerbung um die "Juniorpartnerschaft in der nächsten großen Koalition" zu erkennen. Und das immerhin stünde im Widerspruch zu Schulz' täglich geäußertem Ziel, der nächste Bundeskanzler zu werden.

Am Morgen nach dem Livevideo möchte Martin Schulz seine Forderungen im Berliner Willy-Brandt-Haus noch einmal erklären. Sollte es seine Absicht gewesen sein, zugleich die Lesart seines Briefs als Bewerbung zu zerstreuen, so gelingt ihm das nicht mit letzter Konsequenz. Schulz wirkt kämpferisch; er versprüht die Überzeugung, dass man seine als richtig empfundenen Ansichten auch verwirklichen sollte, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Eine solche böte sich angesichts der Umfragen am ehesten in einer Neuauflage der schwarz-roten Koalition.

Schulz kämpft nun auch gegen den Eindruck, dass eine Stimme für die SPD verschenkt sei

Statt über eine mögliche neue große Koalition möchte Schulz aber über Inhalte sprechen. Knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl will er in vier Punkten zusammenfassen, was die SPD auf jeden Fall durchsetzen will. In der Bildung kündigt Schulz an, Kitagebühren abzuschaffen, Ganztagsangebote auszubauen und die Schulen zu modernisieren. Bei der Arbeit verspricht Schulz die gleiche und gerechte Bezahlung von Frauen und Männern, zudem will er willkürliche Befristungen beenden und Teilzeitarbeitenden die Rückkehr in Vollzeit erleichtern. Bei der Rente sagt Schulz stabile Beiträge zu und schließt Rentenkürzungen und ein höheres Renteneintrittsalter aus. Als vierten Punkt streicht Schulz heraus, Europas Werte nach innen und außen verteidigen zu wollen.

Zumindest bei den ersten drei seiner Kernforderungen sieht Schulz die Sozialdemokraten klar auf Distanz zur Union. Er wirft CDU/CSU vor, das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöhen zu wollen und zudem zu verkennen, dass viele Frauen von Altersarmut bedroht seien. Angesichts von Kitagebühren und fehlenden Ganztagsbetreuungsplätzen geißelt Schulz das Vermächtnis von zwölf Jahren unter Kanzlerin Merkel: "Deutschland ist kein modernes Land in der Hinsicht."

Kurz vor der Wahl kämpft der SPD-Kanzlerkandidat allerdings nicht mehr nur gegen die in den Umfragen enteilte Union. Er muss sich auch gegen den Eindruck zur Wehr setzen, dass eine Stimme für die SPD verschenkt sei. Hintergrund dürfte das aufgeflammte Interesse an der Frage sein, welche Partei das drittstärkste Ergebnis erzielt. Das müsste Schulz eigentlich wenig interessieren, immerhin sind SPD-geführte Koalitionen mit Linken und Grünen beziehungsweise mit Grünen und FDP derzeit rechnerisch unwahrscheinlich. Das Problem für den Sozialdemokraten: Planspiele mit einem dritten Platz für Grüne oder Liberale lassen keine Machtoption für die SPD erhoffen, sondern führen sämtlich zu unionsgeführten Regierungen. Schulz geht deshalb auf alle Merkel-Kritiker zu: "Wer Merkel abwählen will, muss Schulz wählen." Eine Stimme für die kleinen Parteien dagegen stütze die Kanzlerin.

Nach dem TV-Duell ist die SPD in den Umfragen noch einmal abgerutscht. "Ist mir alles egal", sagt Schulz, er kämpfe um die unentschlossenen Wähler. Zu einer großen Koalition sagt er dann aber doch noch etwas. Wenn Frau Merkel in sein Kabinett eintreten wolle, dann könne sie das gerne: "als Vizekanzlerin".

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