Bundestagswahl:Respekt für Merkel - und Schadenfreude

Federal election in Germany

Daheim unter Druck, im Ausland bewundert: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: REUTERS)

Brüssel gratuliert der Kanzlerin zur "historischen Wiederwahl", Frankreich blickt mit Skepsis auf die FDP und Österreich zieht eigene Schlüsse. Wie die Welt den Ausgang der Bundestagswahl bewertet.

Von den SZ-Korrespondenten Leo Klimm

Brüssel gratuliert Merkel zur "historischen Wiederwahl"

Dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt, galt in Brüssel als ausgemachte Sache. Nur dass die CDU-Vorsitzende bei der Bundestagswahl so schlecht abschnitt, kam dann doch für die meisten überraschend. Es kann gut sein, dass Merkel bei den nächsten beiden EU-Gipfeln im Oktober und Dezember nicht wirklich handlungsfähig ist - schließlich muss sie in Berlin erst einmal eine Regierungskoalition bilden. Bis dahin muss sich wohl auch Emmanuel Macron gedulden; der französische Präsident hatte gehofft, dass er nun die von ihm angestrebten EU-Reformen mit Merkel durchsetzen kann. Doch so schnell wird es nicht gehen, schon gar nicht mit einer Vertiefung der Euro-Zone. Wie es aussieht, wird sich der deutsch-französische Motor noch einige Zeit im Leerlauf befinden.

Der Sprecher von Jean-Claude Juncker sagte, dass der EU-Kommissionspräsident Merkel zu ihrer "historischen Wiederwahl" gratuliert habe. In dem auf Twitter veröffentlichten Schreiben heißt es: "Für die nun anstehenden Koalitionsverhandlungen wünsche ich Ihnen eine glückliche Hand. Angesichts großer globaler Herausforderungen braucht Europa jetzt mehr denn je eine stabile Bundesregierung, die tatkräftig an der Gestaltung unseres Kontinents mitwirkt."

Auch mit SPD-Chef Martin Schulz habe der Kommissionspräsident telefoniert, erklärte der Sprecher. Schulz und Juncker sind befreundet - oder wie der Sprecher sagte: "Jean-Claude Juncker hat viele Freunde. Und er ist sehr loyal zu allen seinen Freunden." Auf die Frage, ob der Jamaika-Flaggen-Tweet von Junckers deutschem Kabinettschef Martin Selmayr eine politische Präferenz des Kommissionspräsidenten erkennen lasse, meinte der Sprecher mit einem Lächeln: "Nicht alles ist politisch, Twitter ist Spaß." Wahrscheinlich habe Selmayr "Usain Bolts Ruhestand" gemeint.

Das Ergebnis der AfD wurde in der EU-Kapitale gemischt aufgenommen. Einerseits herrscht im Europäischen Parlament breites Entsetzen. Andererseits wird das deutsche Wahlergebnis als "normal" eingestuft, denn in vielen nationalen Parlamenten der EU sitzen bereits rechtspopulistische Parteien - ebenso im EU-Parlament. Juncker rief dazu auf, den Argumenten der Populisten in Europa die Stirn zu bieten. Man müsse zudem Selbstzufriedenheit vermeiden und Europa besser erklären, gab ein Sprecher Junckers Auffassung wieder. Und fügte hinzu: "Die Kommission hat Vertrauen in die Demokratie."

Von Alexander Mühlauer

Frankreich ist skeptisch wegen der FDP

"Ich bin besorgt!", simst der Nachbar in Paris am Morgen danach. Er neigt nicht zu Hysterie und er kennt Deutschland gut. Er weiß, dass die Deutschen jetzt nicht plötzlich alle ganz geschichtsvergessen nach rechts gerückt sind. Und schließlich haben auch Millionen Franzosen bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen im Frühjahr rechtsextrem gewählt. Aber das ist es ja gerade, meint der französische Freund: Sein Land hat in einer Richtungsentscheidung mehrheitlich gegen Nationalismus gestimmt und für einen neuen europäischen Elan. Jetzt, kein halbes Jahr später, wird dieser Schwung durch die Bundestagswahl ausgebremst. Weil sowohl das AfD-Ergebnis als auch die wahrscheinlich erscheinende Regierungsbeteiligung der FDP in Deutschland die Vertiefung der Euro-Zone, wie sie Präsident Emmanuel Macron anstrebt, sehr erschweren werden. Der Mann ist Macron-Anhänger.

Frankreichs junger Staatschef will am Dienstag in einer Grundsatzrede Vorschläge machen, um Europa zu stärken. Er hatte diesen Termin gewählt, weil er hoffte, den deutschen Koalitionsverhandlungen damit einen proeuropäischen Impuls zu geben. Ähnlich wie der Nachbar in Paris meint jetzt aber etwa Le Monde, dass "eine Koalition mit den Liberalen Macrons europäische Projekte kompromittieren" würde. "Paris wird vielleicht schon bald Wolfgang Schäuble nachtrauern."

Dann nämlich, meint das Blatt, wenn der in Frankreich als rigide verschriene CDU-Finanzminister den Posten an FDP-Chef Christian Lindner abgeben muss. Der habe erst am Sonntagabend klar gemacht, dass Macrons Idee eines umfangreichen Budgets für die Euro-Zone mit ihm nicht zu machen sei. Anstatt einer Vertiefung der Währungsgemeinschaft haben Le Monde zufolge nun eher Macrons Ideen zur gemeinsamen Verteidigung und zur Abschottung Europas gegen unkontrollierte Zuwanderung eine Umsetzungschance. Was der politischen Tendenz in Deutschland ja auch viel mehr entspricht.

Im Pariser Präsidentenpalast selbst will man am Montag partout keine einschneidenden europapolitischen Folgen der deutschen Wahl erkennen. "Die FDP hat seit Jahren zu proeuropäischen Positionen zurückgefunden, auch wenn sie Vorbehalte gegen eine Vertiefung der Euro-Zone hat", sagt ein enger Vertrauter Macrons. "Für uns ist sowieso entscheidend, dass wir den gleichen Haupt-Ansprechpartner behalten - und das ist die Kanzlerin."

Von Leo Klimm

Schattenboxen in Österreich

Nach der Wahl ist vor der Wahl, in Wien zumindest: Weil auch in Österreich in drei Wochen ein neues Parlament gewählt wird, gilt das deutsche Ergebnis hier als eine Art Stimmungstest. Weil es im Wahlkampf jedoch vor allem auf gute Stimmung ankommt, zieht jede Partei aus den Zahlen die für sie passenden Schlüsse. Am Ende gibt es dann zumindest in Österreich fast überall nur Sieger - der Rückenwind weht plötzlich von allen Seiten.

Obenauf ist natürlich vor allem die FPÖ, die den Wahlerfolg der rechten AfD bejubelt. Gewertet wird dies als Quittung für Angela Merkels Flüchtlingspolitik, als generelle Abstrafung einer großen Koalition, wie sie bislang auch in Österreich regiert, und überhaupt als Bestätigung dafür, dass die FPÖ schon immer alles richtig gemacht hat - und deshalb nun das Ergebnis der AFD noch einmal deutlich überflügeln und in die Regierung einziehen wird.

Bestärkt sehen sich auch die Neos, die der FDP gratulieren zu einem "starken liberalen Signal, das auch über die Grenzen Deutschlands hinaus gehört wird". Die österreichischen Grünen hört man erleichtert aufatmen. Sie stecken wie ihr deutsches Pendant in einer Art Identitätskrise, dürfen nun aber hoffen, dass es auch für sie nicht ganz so schlimm kommt bei der Wahl.

Die schwerste Last bei Analyse des deutschen Ergebnisses liegt allerdings bei den beiden großen Parteien SPÖ und ÖVP. Schließlich haben beide Schwesterparteien in Deutschland mächtig verloren. Sebastian Kurz von der Volkspartei hat allerdings in der Flüchtlingspolitik schon lange eine Brandmauer zur CDU hochgezogen und zeigt sich nun "wenig überrascht" vom Ergebnis. Die SPÖ von Bundeskanzler Christian Kern sagt lieber erst mal gar nichts nach dem doppelten Dämpfer aus Deutschland. Denn dort hat weder der Kanzlerbonus etwas genutzt, noch haben die Sozialdemokraten gepunktet. Doch letztlich ist das alles Schattenboxen. Abgerechnet wird in Österreich am 15. Oktober.

Von Peter Münch

Die Türkei setzt auf eine Normalisierung der Beziehungen

Das türkische Regierungspersonal und die verbliebene türkische Presse üben sich ja gerne im Nazi-Vergleich, wenn es um Deutschland geht. Da wird Merkel gerne mit Hitler-Bärtchen abgedruckt oder deutschen Behörden Nazi-Methoden vorgeworfen, wenn diese Propaganda- und Hetz-Auftritte von türkischen Politikern auf deutschem Boden nicht dulden wollen.

Und so kommt einigen Medien nun auch sehr zupass, dass in Deutschland eine rechtsradikale Partei mit 12,6 Prozent in den Bundestag einziehen wird, man fühlt sich bestätigt: "Der türkeifeindliche Hass-Diskurs von Merkel und ihrem Koalitionspartner Schulz hat den Rechtsextremisten genützt. Die Neonazis sind erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ins Parlament eingezogen", schreibt die Zeitung Star.

Dabei hatten Präsident Recep Tayyip Erdoğan kurz vor der Wahl noch CDU, SPD und Grüne mit der AfD in einen Topf geworfen. Erdoğan hatte ihnen vorgeworfen, "Feinde der Türkei" zu sein, Ausländer- und Islamfeindlichkeit seien in Deutschland auf dem Vormarsch. Gleichzeitig rief er die türkeistämmigen Wähler in Deutschland explizit dazu auf, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne nicht zu wählen. Und die AfD? Kein Wort dazu.

Den Grund für das schlechte Abschneiden der etablierten Parteien sehen nun viele auch gerne in den schlechten deutsch-türkischen Beziehungen: Das regierungstreue Blatt Sabah titelt neben Merkel: "Es kommt einem teuer zu stehen, der Feind der Türkei zu sein."

Auch der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim schlägt in diese Kerbe: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe nun erkannt, dass Streit mit der Türkei keine Stimmen gebracht habe. "Wer hat gewonnen? Die Rassisten haben gewonnen."

Gleichzeitig hofft die türkische Führung aber auf eine Normalisierung der Beziehungen: Man müsse ein "neues Kapitel" aufschlagen und die Beziehungen zwischen den beiden Ländern "reparieren", sagte Yildirim nach der Wahl. "Kehren wir zum Normalen zurück, kümmern wir uns um unsere Angelegenheiten." Wie sich diese Normalität nun plötzlich einstellen soll mit ein und derselben Kanzlerin Merkel, die man vorher noch kategorisch ablehnte, lässt Yildirim offen.

Von Deniz Aykanat

Die USA haben andere Probleme

Wahl in Deutschland? In den USA haben sie gerade ganz andere Probleme. Etwa, wie sich US-Präsident Donald Trump mit der National Football League (NFL) anlegt. Einige Spieler und inzwischen ganze Mannschaften knien aus Protest gegen Hass und Diskriminierung zur obligatorischen Nationalhymne vor jedem Spiel. Eigentlich eine gute Sache. Trump aber hat das in diversen Tweets verurteilt. Das sei "respektlos" gegenüber der Hymne. Und einer dieser "Hurensöhne", die das tun, müsse vom Club rausgeworfen werden.

Trump gegen die NFL, das Scharmützel bestimmt die Online-Schlagzeilen von New York Times über Washington Post bis hin zum Rechtsaußen-Medium Breitbart. Erstmals seit fast 50 Jahren sitzen wieder Rechtsextreme im Deutschen Bundestag? Darüber wird zwar berichtet. Was aber aus deutscher Sicht einem Erdbeben gleichkommt, wird in den USA eher als vergleichsweise harmlose Verkettung unglücklicher Umstände wahrgenommen. In Washington sitzen die Islam-Hasser und Migrationsgegner schließlich mit an der Macht. Und davon ist Deutschland noch sehr weit entfernt. Ein Präsidenten-Berater wie der Hass-Prediger Stephen Miller im Weißen Haus, das ist so, als hätte Björn Höcke im Kanzleramt ein Büro direkt neben Merkel.

Die AfD hatte ja Trump noch zum Wahlsieg gratuliert im vergangenen Herbst. Und auch Trump hat hin und wieder die ultrarechte Bewegung in Europa mit Wohlwollen bedacht. An diesem Wahl-Sonntag aber straft Trump seine deutschnationalen Freunde im Geiste mit Nichtbeachtung ab. Auch ihm war es wichtiger, NFL-Spieler dafür zu maßregeln, eine politische Haltung zu haben. Statt irgendwem in Europa zu einem minderbedeutsamen Wahl-Erfolg zu gratulieren.

Von Thorsten Denkler

Was würde Jamaika für die Brexit-Verhandlungen bedeuten?

Als sich die Balken der ersten Hochrechnung auf den Fernsehern aufbauen, ist es still in der deutschen Botschaft in London. Das schwache Abschneiden der Volksparteien und das zweistellige Ergebnis der AfD machen die Gäste der Wahlparty am Sonntagabend zunächst sprachlos. In den schicken Räumen der Botschaft stehen Deutsche, die in London leben, neben Briten, die sich für deutsche Politik interessieren. Später versuchen deutsche und britische Journalisten, die Ergebnisse bei einer Expertenrunde zu deuten. Die Besucher können Fragen stellen; britische Gäste wollen wissen, ob Merkel denn eine stabile Regierung bilden kann. Und was würde eine Jamaika-Koalition für die Brexit-Verhandlungen bedeuten?

Die britische Öffentlichkeit hat die Bundestagswahlen mit mehr Interesse als üblich verfolgt. Schließlich diskutiert London mit der EU gerade über die Bedingungen des Brexit, am Montag begann die vierte Gesprächsrunde. Deutschland ist einer der einflussreichsten Staaten in der EU. Das Wahlergebnis könnte sich daher positiv oder negativ auf diese Verhandlungen auswirken. Deswegen berichteten auch die britischen Zeitungen am Montag ungewöhnlich prominent über die Resultate aus Deutschland. Bei der konservativen Times, dem linksliberalen Guardian und dem Wirtschaftsblatt Financial Times waren der Erfolg der AfD und Merkels Wiederwahl wichtigstes Thema auf der Titelseite. Selbst das EU-feindliche Boulevardblatt Daily Mail widmete dem Aufstieg der Rechtsradikalen eine Geschichte auf der ersten Seite. Dabei spielt Politik im Ausland sonst keine große Rolle in britischen Medien.

Von Björn Finke

"Sogar länger als Evo Morales und Raúl Castro?"

Renânia-Palatinado, Mecklemburgo-Pomerânia Ocidental, Turíngia, Baixa Saxônia - das klingt wie ein Ansammlung schlagender Verbindungen, es sind aber nur die brasilianischen Namen einiger deutscher Bundesländer, über die jetzt auch in den Zeitungen von Rio und São Paulo berichtet wird. Eher weiter hinten und nicht allzu ausführlich, das Interesse ist, gelinde gesagt, überschaubar. Beim Bäcker an der Ecke braucht man sich jedenfalls nicht nach dem Wahlausgang in Berlin zu erkundigen, was nicht nur daran liegt, dass es in Brasilien keine Eckbäckereien gibt, sondern auch daran, dass die Brasilianer gerade andere Sorgen haben.

Hin und wieder begegnet man mal einem, der sich wundert, dass Angela Merkel nun schon seit zwölf Jahren regiert ("Sogar länger als Evo Morales und Raúl Castro?") und trotzdem immer weitermachen darf. Aber wenn man dann nach Jamaika fragt, dann denkt der Gesprächspartner weiterhin an Urlaub und nicht an eine Koalitionsoption. Wer am Sonntag in Rio ein wenig in Hochrechnungsstimmung kommen wollte, der musste schon einer Einladung der "Sociedade Germania" folgen. Wahl-Watching in den Clubräumen der deutschen Verbindung von 1821 - wieso eigentlich nicht?

Im Keller gibt es sehr eine pittoreske Kegelbahn, im Restaurant einen ganz ordentlichen Kartoffelsalat und Albert Einstein hat hier vor knapp hundert Jahren auch schon mal vorbei geschaut. Damals sicherlich noch ohne Live-Übertragung von der Elefantenrunde. Die meisten Plätze bleiben an diesem langen Wahlmittag (Ortszeit) allerdings frei. Die Germania hat nach eigenen Angaben ein Nachwuchsproblem, weil sich die vielen Deutschen, die in Rio leben, inzwischen so gut in die Gesellschaft integrieren. Da sitzt man also vor seinem Kartoffelsalat, während der blaue Balken wächst und schämt sich ein bisschen für sein Land, das in den vergangenen Jahrhunderten (aus allerlei unterschiedlichen Motiven) auch immer ein Land der Auswanderer war.

Von Boris Herrmann

China interpretiert das deutsche Ergebnis auf seine Weise

Dem offiziellen China fällt mit der Wiederwahl Angela Merkels ein großer Stein vom Herzen. Tatsächlich ist der Stein so groß, dass Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua es vorzog, die schlechte Nachricht vom Sonntag schlicht zu ignorieren: Während der Rest von Europa unter einer anwachsenden Welle des Populismus zu leiden habe, schrieb Xinhua gar, sei Deutschland von einer schlimmen Überraschung "verschont geblieben". Stattdessen dürfe man sich freuen: "Für alle, denen die künftigen Beziehungen zwischen China und Deutschland am Herzen liegen, ist das ein positives Signal".

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump in den USA suchen Chinas Führer Berechenbarkeit vor allem in Europa: "In einer zusehends instabilen Welt ist ein reifes Verhältnis zwischen China und Deutschland zentral für Wohlstand und Stabilität der Welt", schreibt Xinhua.

Andere Staatsmedien, die ein wenig mehr Abstand zur Parteizentrale haben, sehen das Resultat nicht ganz so rosig. "Nicht Merkels Sieg ist der wichtigste Punkt dieser Wahl", schrieben die Beijing News, "sondern der Aufstieg des Nationalismus." Und auch die Global Times urteilt, die vielbeschworene Stabilität Deutschlands werde nun "ins Torkeln geraten". Chinanews prophezeit einen "dornenreichen Weg" zu einer neuen Regierungskoalition. Und Beijing News hat Mitleid mit der wohl alten wie neuen Kanzlerin: Merkel stehe nun vor der Aufgabe, die extreme Rechte vom Herzen des politischen Systems Deutschlands fernzuhalten. Das aber sei, so die Zeitung: "eine fast unlösbare Aufgabe".

Von Kai Strittmatter

Singapur sieht einen dreifachen Rückschlag

Politiker im asiatischen Stadtstaat Singapur haben feine Antennen für jede Entwicklung, die geeignet ist, Keile in eine Gesellschaft zu treiben und sie zu spalten. Denn die Hafenmetropole ist ein bunter Mix aus Religionen und Ethnien, sie ist darauf angewiesen, dass alle im Staat daran mitarbeiten, den inneren Frieden in der kulturellen Vielfalt zu bewahren. Entsprechend skeptisch stufte Vize-Premier Tharman Shanmugaratnam denn auch das Wahlergebnis in Deutschland ein. Er sprach von einem dreifachen Rückschlag: "Für Merkel, für Deutschland und für die Politik der Mäßigung."

CDU und SPD nennt er Ankerparteien, die nun geschwächt sind. Dass die "extreme Rechte" in Gestalt der AfD erstmals in den Bundestag einzieht, betrachtet der Singapurer als "beunruhigende Verschiebung". Gleichwohl setzt Singapur weiterhin auf eine starke Führung der Kanzlerin, wie es auch Premierminister Lee Hsien Loong in seinem Gratulationsschreiben nach Berlin zum Ausdruck brachte. Singapur möchte die Beziehungen zu Berlin in vielen Feldern weiter ausbauen, von der Cybersecurity über Verkehr, Start-ups bis hin zu den erneuerbaren Energien. "Es gibt so viel, was wir noch zusammen tun können", schrieb Lee und lud die Kanzlerin schon gleich zum nächsten Besuch in die Wirtschaftsmetropole ein .

Von Arne Perras

Russland reagiert überraschend nüchtern

Nüchtern, fast ein bisschen gelangweilt haben russische Politiker und Medien auf den Ausgang der Bundestagswahl reagiert. Das fällt umso mehr auf, nachdem in den vergangenen Jahren nach Kräften Stimmung gemacht wurde - für den Brexit, für Marine Le Pen, für die AfD. Das Bild eines Europas wurde gezeichnet, das dem Untergang geweiht ist, uneins und von Migranten überrannt. Am stärksten war das Engagement vor den US-Wahlen, aber seit ihr Ausgang für Moskau nicht die erwarteten Früchte brachte, wurde der Ton leiser.

In der Wochenschau Westi Nedeli, gewöhnlich ein Gradmesser dafür, was der Kreml das Volk glauben machen möchte, wurde die Bundestagswahl am Sonntag nicht einmal erwähnt. Stattdessen die UN-Generalversammlung, die Referenden von Kurden und Katalanen, Streit in der Ukraine und Neues von der Front in Syrien. Wladimir Putin ließ seinen Sprecher am Montag ausrichten, der Kreml werde die Regierungsbildung aufmerksam verfolgen. Den Einzug der AfD in den Bundestag wollte er nicht kommentierten, dabei handle es sich um eine innere Angelegenheit Deutschlands, erklärte Dmitrij Peskow. "In solchen Fällen erinnert unser Präsident immer daran, dass Moskau die Entscheidung der Wähler in jedem Land respektiert".

Von einer russischen Einmischung in die Bundestagswahl sei schon lange nicht mehr die Rede, kommentierte Konstantin Kosatschow, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Föderationsrat, dem russischen Oberhaus. Das liege wohl daran, dass das Ergebnis absehbar war. Über russische Einmischung werde nur dann geredet, "wenn etwas total danebengegangen ist, oder wenn das Ergebnis unklar ist und man das naive Publikum zusätzlich verunsichern muss", schrieb er auf Facebook. Alexej Puschkow, ebenfalls Senator im Föderationsrat und bekannt für harsche Kritik am Westen, twitterte für seine Verhältnisse nüchtern, die Gewinne der AfD seien der Preis, den Merkel für ihre Flüchtlingspolitik zu zahlen habe. Einig sind sich alle, dass sich der Ausgang der Wahl nicht auf das deutsch-russische Verhältnis auswirken werde.

Von Julian Hans

Konsternierte Schweizer Sozialdemokraten

Die Schweizer sind an diesem Montag noch mit einem anderen Wahlausgang beschäftigt. Die lange geplante Rentenreform des Bundesrates ist am Sonntag überraschend abgelehnt worden, die Sozialdemokraten, die hinter der Vorlage stehen, sind entsprechend konsterniert. Doch auch der Wahlausgang in Deutschland beschäftigt das Land: Obgleich sich die Schweizer längst daran gewöhnt haben, dass die eigenen Rechtspopulisten (die Schweizerische Volkspartei um Christoph Blocher, 76) seit mehr als einem Jahrzehnt die stärkste Partei des Landes stellen, macht der Erfolg der AfD Vielen Sorge. "Hier sind die AfD-Rechtspopulisten gar stärkste Kraft" titelt etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk SRF mit Blick auf Sachsen.

Dass sich die AfD explizit auf die Schweiz berufen hat und im Wahlkampf auf zahlreichen Plakaten das "Vorbild Schweiz" proklamiert hat, ist zwar angekommen, die Schweizer glauben aber noch immer an ein Missverständnis. Gemeinsamkeiten zwischen AfD und SVP, die in wesentlichen Punkten die gleichen politischen Vorstellungen und Forderungen teilen, werden heruntergespielt, die Unterschiede, etwa in Sprache und Stil, betont. Dass die Ergebnisse in Sachsen denen im Kanton Aargau gleichen, wo die SVP mit Hardlinern wie Andreas Glarner den Rechtsextremen ein klares Angebot macht, ist kein Thema.

Und der auch in Deutschland bekannte Journalist Roger Köppel schreibt in einem seiner zahllosen Facebook-Einträge: "Jetzt gibt es noch zwei Parteien in Deutschland. Die AfD und alle anderen." Diese Außenseiter-Rolle - bei gleichzeitiger Vertretung im Parlament - gehört zum Kern der Strategie, mit der die SVP die Schweiz seit Anfang der 1990er Jahre vor sich hertreibt. Eine klare Empfehlung an die Schwesterpartei im Norden.

Von Charlotte Theile

Intellektuelle in Japan sind erleichtert

In den japanischen Medien fanden die Bundestagswahlen wenig Beachtung: Premier Shinzo Abe dominiert die News mit seiner vorzeitigen Parlamentsauflösung. Außerdem gibt es im Ueno-Zoo ein Panda-Baby. Merkel bleibt, muss aber neue Koalitionspartner suchen, und die AfD zieht in den Bundestag ein, viel mehr meldeten das Fernsehen und die Abendblätter am Montag nicht.

Der Erfolg der Rechtsextremen ist hier kein Aufreger, solche Leute sitzen in Japan in der Regierung. Finanzminister und Vize-Premier Taro Aso hat erst jüngst in einer Rede wieder einmal bewundernd über Adolf Hitler gesprochen. Und am Wochenende laut überlegt, ob die japanische Armee nordkoreanische Flüchtlinge erschiessen sollte, wenn sie sich im Falle eines Kriegsausbruchs auf der koreanischen Halbinsel übers Meer nach Japan zu retten versuchten.

Intellektuelle dagegen seien erleichtert, dass Merkel Kanzlerin bleibe, so ein Sachbuchautor, der allerdings nicht namentlich zitiert werden will: "Sie ist ein sichere Hand in einer Zeit, in der es wenig Politiker gibt, denen man vertrauen kann. Eine erfahrene Führungsfigur in Europa. Wir haben viel Respekt für sie. Gerade auch, wenn es um Fragen der Menschlichkeit oder zum Beispiel um Hate-Speech geht."

Von Christoph Neidhart

Italiens Rechtsextreme jubeln mit der AfD

Aus der Sicht der Italiener ist das schlechte Wahlergebnis der Kanzlerin eine sehr relative Sache: Sieben Premiers haben sie erlebt, seitdem in Deutschland Angela Merkel regiert. Der frühere Kulturminister Walter Veltroni spricht in einem Interview gar von einem "brillanten Resultat": Dass Merkel in Zeiten, da Regierungen immer gleich wieder abgewählt würden, ein viertes Mandat gewinnen könne, zeuge von Kraft und Autorität des "Leaders Europas".

Das Scheitern der großen Koalition sieht der Sozialdemokrat aber als Warnung an jene Kreise, die in Italien Ähnliches im Sinn hätten. Gemeint sind Matteo Renzi und Silvio Berlusconi, denen man nachsagt, sie könnten nach den Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 miteinander koalieren wollen, sollte kein Lager eine Mehrheit erreichen. Die meisten Kommentatoren schreiben von einer unerwarteten politischen Instabilität in Deutschland, die nun auch Berlins Europapolitik verändern könne. Der "Boom der extremen Rechten", wie die Zeitungen den Stimmengewinn der AfD nennen, bekümmert alle - ausser Matteo Salvini, Chef der fremdenfeindlichen Lega Nord: Der freut sich über einen "historischen Erfolg unserer Alliierten".

Von Oliver Meiler

Ägypten zieht Rückschlüsse

Während Deutschland einen neuen Bundestag gewählt hat, richtet sich die Aufmerksamkeit der arabischen Welt und Irans mehr auf eine Abstimmung in der Region: Das Unabhängigkeitsreferendum der irakischen Kurden an diesem Montag war am Morgen das Top-Thema auf den Internetseiten fast aller wichtigen Medien.

In den Berichten über die Bundestagswahl stellen sie im Allgemeinen in den Vordergrund, dass Angela Merkel im Amt bestätigt wurde, auch wenn in Deutschland längst nicht klar ist, ob es ihr gelingt, eine Koalition zu finden. So schreibt Sada al-Bald aus Ägypten: "Die stärkste Frau der Welt gewinnt ohne ernstzunehmende Konkurrenz die Wahl zum vierten Mal in Folge."

Der zweite Aspekt, der vielfach hervorgehoben wird, ist der Aufstieg der AfD, der in manchen ägyptischen Medien als "historisch" bezeichnet wird. Wahrgenommen wird sie als anti-islamische Partei, die Ausländer und Flüchtlinge ablehnt.

In Ägypten wendete die politische Analystin Dalia Zeyada Merkels Wiederwahl auf die innenpolitische Situation im eigenen Land. Sie habe zu tun mit der Bekämpfung des Terrors, der die Völker dazu gezwungen habe, sich zu überlegen, ob sie wirklich in relativ kurzen Abständen neue Herrscher wählen oder dem gleichen Herrscher neue Regierungsperioden geben wollen, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten.

Indirekt fordert sie mit ihrer Argumentation eine weitere Amtszeit für Ägyptens Präsidenten Abdelfattah al-Sisi und zweifelt im weiteren auch an, dass eine Demokratie westlichen Vorbilds das richtige System für Ägypten ist.

Von Paul-Anton Krüger

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