Bundestagswahl:Rekruten an die Urnen

Warum es immer schwerer wird, Wahlhelfer zu finden.

Von Susanne Höll

Fast erscheint es wie ein Wunder, dass am Sonntag um acht Uhr alle etwa 88 000 Stimmlokale für die Bundestagswahl öffnen. Denn noch bevor die Türen aufgehen, müssen dort, je nach Bedarf, zwischen drei und sieben Menschen sitzen, die für einen geordneten Ablauf im Lokal zu sorgen haben. Das sind die Wahlhelfer, allesamt Ehrenamtliche, die in Städten nur noch schwer zu gewinnen sind.

Etliche Kommunen waren noch vor vier Wochen auf der Suche nach Bürgern, die bereit sind, einen langen Tag in einer Schulaula oder einem Gemeindehaus zu verbringen. Die Lust an diesem Job ist, so sagen Wahlexperten, in dem Maß gesunken, in dem die Zahl der Briefwähler steigt. Die Leute mögen sich an einem Sonntag ungern zu irgendetwas verpflichten, wollen ausschlafen, ganz Herr sein der eigenen Zeit. Wie also organisiert man Helfer, wenn Appelle an den Bürgersinn nicht fruchten? Die Städte gehen ganz unterschiedliche Wege. In Bremen, wo im August noch 300 Stellen offen waren, wurden kurzerhand Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verpflichtet. Das ist unschön, gesetzlich aber erlaubt. Jeder Deutsche, so er älter ist als 18 Jahre, gesund und beruflich ungebunden, kann zwangsrekrutiert werden. Im Bremer Wahlamt heißt es, bei der Verpflichtung habe es viele Lehrer getroffen. Die seien nicht glücklich über den Tagesjob, weil sie von ihren Schulen zum Ausgleich keinen freien Tag in der Woche bekämen.

Mit der Aufwandsentschädigung allein kann man Wahlhelfer nicht locken. Der Mindestsatz von 25 Euro, den der Bund für einen normalen Beisitzer bezahlt, oder die 35 Euro für einen Teamleiter sind kein großer Anreiz. Die Kommunen, die es sich leisten können, stocken die sogenannte Erfrischungsprämie deshalb auf. Augsburg etwa zahlt 100 Euro, eine vergleichsweise stolze Prämie.

Weniger betuchte Städte haben andere Ideen. Im nordrhein-westfälischen Mülheim an der Ruhr setzt man auf das Prinzip Schnäppchenlust. Sehr erfolgreich, wie Stadtsprecher Volker Wiebels sagt. Wer sich dort als Wahlhelfer engagiert, bekommt nicht nur die Aufwandsentschädigung von 25 Euro, sondern kann wertvolle Präsente gewinnen.

Als die Bundesregierung im Frühjahr ihre Pauschale leicht erhöhte, entschloss man sich in Mülheim, die wenigen zusätzlichen Euro nicht auszuzahlen, sondern damit eine Tombola zu finanzieren. Ende September wird ausgelost, alle Freiwilligen dürfen teilnehmen. Hauptpreis ist ein Urlaubsgutschein im Wert von 1500 Euro. "Wir machen hier kein Halligalli", erklärt Stadtsprecher Wiebels. "Wir setzen auf den Jagdtrieb der Leute."

Dennoch wird allüberall unter Wahlhelfern auch in diesem Jahr wieder die berüchtigte Kreuzchenkrankheit ausbrechen. Am Samstag oder am frühen Sonntag melden sich Kandidaten krank, es schmerzen Hals, Magen oder Rücken. Am Montag sind die meisten wieder fit. Drückebergerei kann man das auch nennen. Manfred Kruse, der in Dortmund die Wahl organisiert, sagt, unter Verpflichteten sei der Krankenstand besonders hoch. Er verzichtet deshalb lieber auf Rekrutierungen. Ihm fehlten im August noch 300 Helfer. Er suchte in städtischen Firmen nach Freiwilligen - und wurde, wie er sagt, auch fündig.

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