Bundestagswahl:Merkel und Gabriel - eineinhalb Kanzlerkandidaten

Bundestag

Weder Sigmar Gabriel noch Angela Merkel sind derzeit für ihre Parteien eine Verheißung.

(Foto: dpa)

Wer will Kanzler werden? Noch nie war der Drang ins Amt so gering ausgeprägt wie derzeit. Weder Kanzlerin noch SPD-Chef haben einen Söder im Nacken.

Kommentar von Nico Fried

In einem Jahr wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Die Lage des politischen Spitzenpersonals lässt derzeit nicht erwarten, dass 2017 jemand mit einem triumphalen Sieg ins Kanzleramt einziehen wird. Nach dem jüngsten verlängerten Wochenende innenpolitischer Aufwallung mit Demos, Wahlen, Konventen und Pressekonferenzen sind die zwei, oder sagen wir: eineinhalb Personen, die für die Kanzlerschaft in Rede stehen, nicht wirklich voran-, sondern eher noch mal davongekommen.

Wenn Angela Merkel und Sigmar Gabriel gegeneinander antreten sollten, was im Moment als die plausibelste Variante erscheint, hätten beide in die Kandidatur hinein schon einen Weg hinter sich gebracht, der mindestens so kräftezehrend war wie der Bundestagswahlkampf, der ihnen dann erst noch bevorsteht.

Die politische Lage in Deutschland ist angespannt, um nicht zu sagen aufgeheizt. Die Grenzen verlaufen aber nicht zwischen Lagern, sondern eher kreuz und quer durch die Lager. Dass einstige Ideologien überwunden wurden, verhindert keineswegs, dass manche Debatte mit Verbissenheit geführt wird, wie die Diskussion um die Freihandelsabkommen, oder politische Gegensätze sogar in persönliche Verachtung umschlagen wie in der Flüchtlingspolitik. Gemessen daran wünscht man sich gelegentlich zurück in die Zeit, als nur zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale zu entscheiden war.

Weder Merkel noch Gabriel wären nach heutigem Stand 2017 so etwas wie eine politische Verheißung, wie sich zuletzt 1998 Gerhard Schröder erfolgreich präsentierte, auch wenn er vor allem vom Überdruss am 16-Jahre-Kanzler profitierte.

Mögliches Paradox

Für mögliche Koalitionen gilt dasselbe: Schwarz-Grün, ohnehin schwierig wegen der CSU, verströmte nicht mehr den Charme, den es vor einigen Jahren noch gehabt hätte. Es wäre allenfalls im Vergleich zu einer erneuten großen Koalition zweier mutmaßlich noch schwächerer Volksparteien das kleinere Übel.

Eine rot-rot-grüne Koalition wiederum hat stets die Eigenschaft, politisch immer unwahrscheinlicher zu werden, je mehr sie rechnerisch möglich erscheint, sonst gäbe es sie längst. Je besser wiederum das Ergebnis sein wird, das die AfD aus dem Frust über die große Koalition herausschlagen kann, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich genau diese große Koalition wiederholt.

Erst mal die Fliehkräfte in Parteien beherrschen

Bevor sie selbst über ihre Kandidatur entscheiden, sind die beiden Parteichefs gut damit ausgelastet, die Fliehkräfte in den eigenen Reihen zu beherrschen. Die Kanzlerin hat nun beschlossen, das Eingeständnis von Fehlbarkeit und die Fähigkeit zur Besserung als politische Botschaft ins Feld zu führen. Gabriel kämpft sich durch die Gegensätze, die sich aus SPD-Vorsitz und Regierungsverantwortung ergeben.

Merkel setzt darauf, dass das Vertrauen, das sie in elf Jahren Kanzlerschaft erworben hat, noch reicht, um ihren Laden beisammenzuhalten. Gabriel bemüht sich, seinen Laden zusammenzuhalten, um das Vertrauen zu bekommen, an dem es ihm noch gebricht.

Niemand da, der unbedingt Kanzler werden will

Gabriel kann für sich immerhin als kleinen Erfolg verbuchen, dass ein sozialdemokratischer Kanzler überhaupt wieder als möglich gesehen wird. Er würde Kandidat, weil der Parteivorsitzende das Zugriffsrecht hat. Das aber ist ein Automatismus, der die Zweifel daran nicht gleich mit zerstreuen würde, ob er auch wirklich der Richtige ist.

Merkel wiederum steht nicht viel besser da. Egal, wie sie sich mit Blick auf eine Kandidatur entscheidet, wird sie der Vorwurf ereilen, eine Getriebene zu sein: Tritt sie an, hätte sie nicht die Souveränität gehabt, nach zwölf Jahren einen Schlussstrich zu ziehen. Tritt sie nicht an, hätte sie sich wahlweise der Kritik gebeugt oder vor der Verantwortung weggeduckt. Gemeinsam haben Kanzlerin und SPD-Chef, dass niemand da ist, der sie unbedingt ersetzen möchte. Weder Merkel noch Gabriel haben einen Söder im Nacken. Warum nur?

Es ist kein Zufall, dass sowohl in den Beschreibungen der verkappten Regierungserklärung Merkels nach dem Wahldebakel in Berlin wie auch für den von Gabriel herbeigeführten Ceta-Beschluss auf dem SPD-Konvent derselbe Begriff besonders oft benutzt wurde: Klarstellungen. Aus dem Wort allein spricht schon der Umstand, dass es vor allem um kleinere Veränderungen geht, ein Entgegenkommen hier, ein Nachgeben da.

Das hängt mit der Komplexität der Themen zusammen, die behandelt werden. Flüchtlingskrise wie Freihandelsabkommen zeigen zudem, wie die Globalisierung die Agenda bestimmt. Nicht nur das Personal wirkt mitunter erschöpft, oft sind es auch die Möglichkeiten nationaler Politik. Vielleicht liegt es daran, dass der Drang, Bundeskanzler zu werden, so gering ausgeprägt zu sein scheint wie niemals zuvor.

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