Bundestagswahl:Kretschmanns grüne Minister offen für Schwarz-Grün im Bund

Ein Bündnis habe "Charme", es gebe "Schnittmengen": Grüne Minister aus Baden-Württemberg sprechen offen über eine mögliche schwarz-grüne Koalition im Bund. Die Bundes-Grünen wollen davon aber - noch - nichts wissen.

Von Roman Deininger, Stuttgart, und Christoph Hickmann

Winfried Kretschmann sah gar nicht so zerknirscht aus, wie Wahlverlierer sonst aussehen. Das könnte daran liegen, dass der baden-württembergische Ministerpräsident sich nicht wirklich als Wahlverlierer fühlt - sondern als unerhörter Mahner, der schon im Wahlkampf den Linkskurs seiner Grünen kritisiert hatte. Sicherheitshalber hat er am Dienstag bei einem Auftritt vor Journalisten in Stuttgart noch einmal an seine Bedenken erinnert: "Wir Grünen können uns nicht ansiedeln zwischen der SPD und der Linken. Dort ist kein weiterer Platz."

Ganz aktuell stellt sich die Frage, ob es dann nicht konsequent wäre, wenn sich die Grünen einfach an der Seite der Union ansiedeln würden: in einer schwarz-grünen Koalition. Doch bei diesem Thema gab sich Kretschmann, der sein ganzes politisches Leben von einem schwarz-grünen Bündnis im Südwesten träumte, bevor er eher unvermittelt Chef eines grün-roten wurde, dann doch lieber zurückhaltend. Schwarz-Grün sei "höchst unwahrscheinlich", nach der "harten Niederlage" wäre ein solches Experiment für die Grünen eine "Sturzgeburt". Er sagte aber auch: "Wir würden Sondierungsgespräche mit großem Ernst führen, wenn die andere Seite das auch tut."

Und das war durchaus ein anderer Zungenschlag, als man ihn dieser Tage von Grünen in Berlin zu hören bekommt. Könnte sich da am Ende doch etwas bewegen?

"Sehr ernsthafte Sondierungsgespräche"

Seit dem späten Sonntagabend ist Schwarz-Grün eine reale Option, von den Zahlen her zumindest. Spricht man aber mit Grünen auf Bundesebene, hört man immer wieder nur: Nein. Unmöglich. Wird nicht kommen. Können wir nicht machen. Am Mittwochmorgen machte die bisherige Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt noch einmal klar, was sie von der Sache hält: Schwarz-Grün funktioniere derzeit nicht, sagte sie der ARD.

Aber ganz so hart sehen es eben doch nicht alle - in Kretschmanns Kabinett gibt es durchaus Sympathien dafür, es zumindest zu versuchen. "Ich erwarte, dass wir sehr ernsthafte Sondierungsgespräche mit der Union führen. Es gibt Schnittmengen für eine Zusammenarbeit, etwa beim Pro-Europa-Kurs", sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Mittwoch der Süddeutschen Zeitung.

Sie geht damit noch weiter als ihr Chef - trotz aller Bedenken in Berlin. Ihre Parteifreunde dort führen als Gegenargument den Wahlkampf an: Es habe zu viele Verletzungen gegeben, etwa in der Pädophilie-Debatte, als die CSU Jürgen Trittin wider besseres Wissen als eine Art Vorreiter der Pädophilenbewegung hinstellte. Dann seien da die unterschiedlichen Programme, etwa was Steuern und Finanzen angehe. Und schließlich sei die Basis dagegen.

Abweichler kennen die Probleme

All diese Probleme sind auch Bauer bewusst, sie gibt zu, dass Schwarz-Grün "nicht vorbereitet" sei, "das wäre ein großes praktisches Problem". Es sei falsch gewesen, sich im Wahlkampf an die Option Rot-Grün zu binden. "Damit haben wir uns klein gemacht." Nun sei aber, Schwarz-Grün betreffend, angesichts gewisser Schnittmengen trotzdem die Frage: "Gibt es auch die persönliche Bereitschaft der handelnden Akteure?"

Kommt auch drauf an, wer die Akteure sind. Bei den Grünen sind die Spitzen von Partei und Fraktion noch nicht komplett - und unabhängig davon, wer was wird: Die neue Führung dürfte kaum sofort die Kraft haben, die Basis von einem unbeliebten Bündnis zu überzeugen. Jürgen Trittin hätte diese Kraft gehabt, auch weil er als Linker der Kuschelei mit den Konservativen unverdächtig ist - aber mit diesem Wahlergebnis hat auch er sie nicht mehr. An der Spitze der Fraktion hat er den Weg bereits freigemacht, nun wäre ein Ministerposten die letzte Möglichkeit für ihn, weiter ganz oben mitzuspielen. Sondierungsgespräche will er selbst führen, so hat er es angekündigt. Aber ausgerechnet er ist für viele in der Union ja die größte Reizfigur. Da beginnt sich die Sache im Kreis zu drehen.

Oder doch nicht? Der Grünen-Europaparlamentarier Werner Schulz sagte dem Tagesspiegel: "Ich sehe überhaupt keinen Punkt, wo wir nicht zusammenkommen könnten." Die CDU sei "uns noch nie so nah wie heute" gewesen. Und der Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller sagte der SZ: "Natürlich hätte so ein Bündnis Charme, gerade im Hinblick auf die Energiewende." Nachsatz: "Andererseits ist die Frage, ob es klug wäre, Juniorpartner einer CDU zu sein, die vor Kraft kaum laufen kann." Eine Absage klingt anders.

"Reihe von Gemeinsamkeiten"

Es ist kein Zufall, dass die vorsichtigen Signale vor allem aus Baden-Württemberg kommen. Wenn Schwarz-Grün irgendwo eine Keimzelle hat, Wurzeln sogar, dann hier. Der hart geführte Streit um Stuttgart 21 hat zwar viele Brücken zwischen den Parteien zerstört, aber noch am Wahlabend machte sich CDU-Landeschef Thomas Strobl daran, neue zu errichten. Als wohl erster prominenter Christdemokrat empfahl der Bundesvize seiner Partei eine unvoreingenommene Sondierung mit den Grünen. Am Mittwoch legte Peter Hauk, der CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, ziemlich kräftig nach: "Ich glaube, es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit den Grünen. Die großen Hindernisse und Hürden sind weitgehend weg." Aber diese Signale der Offenheit aus der Südwest-CDU - kümmern die überhaupt irgendwen in Berlin?

Immerhin: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, Strobls Schwiegervater, deutete am Mittwoch zumindest grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit an. Die Grünen führten derzeit eine "interne Diskussion, ob sie nicht im Wahlkampf die falschen Akzente gesetzt haben", sagte er der Zeit. "Das Ergebnis muss man abwarten, dann wird man sehen."

Und sonst? CDU-Vize Armin Laschet ließ wissen, der Rückzug Trittins vom Grünen-Fraktionsvorsitz sei ein positives Signal für eine mögliche schwarz-grüne Annäherung: "Wenn die Grünen für die Zukunft personell und politisch neue Schwerpunkte setzen, erleichtert das Gespräche." Er forderte von seiner Partei Kompromissbereitschaft "in allen Themen" ein: "Sonst kriegen wir keine Koalition hin."

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