Bundestagswahl 2017:AfD drittstärkste Kraft im Bundestag, herbe Verluste für Union und SPD

Bundestagswahl 2017: ZDF-Hochrechnung von 23.12 Uhr; Zweitstimmenanteile der Partei (In Klammern: Veränderung zu 2013) und Zahl der Sitze im Bundestag; Wahlbeteiligung: 76,5% (2013: 71,5%)

ZDF-Hochrechnung von 23.12 Uhr; Zweitstimmenanteile der Partei (In Klammern: Veränderung zu 2013) und Zahl der Sitze im Bundestag; Wahlbeteiligung: 76,5% (2013: 71,5%)

  • Die AfD wird mit Abstand drittstärkste Kraft im neuen Bundestag.
  • Die Union bleibt trotz herber Verluste die stärkste Partei im Parlament, wird allerdings nicht mehr gemeinsam mit der SPD regieren: Spitzenkandidat Martin Schulz hat angekündigt, in die Opposition zu gehen.
  • Als Alternative bleibt damit eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen.
  • Die Liberalen kommen auf ein zweistelliges Ergebnis, Grüne und Linke erhalten wohl jeweils etwa neun Prozent.

Von Jan Heidtmann

Nach mehr als einem halben Jahrhundert wird erstmals wieder eine rechtsradikale Partei in den Bundestag einziehen. Die Alternative für Deutschland (AfD) erreichte dem offziellen Endergebnis zufolge bei der Bundestagswahl 12,6 Prozent der Zweitstimmen. Sie ist damit klar die drittstärkste Kraft hinter Union und SPD. Vor vier Jahren war die Partei noch mit 4,7 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. "Wir werden Frau Merkel jagen", sagte Spitzenkandidat Alexander Gauland. Die Partei wolle sich "unser Land und unser Volk zurückholen".

Die beiden Volksparteien mussten eine herbe Niederlage einstecken. Die Sozialdemokraten mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz kamen auf 20,5 Prozent, deutlich weniger als 2013. Das ist das schlechteste Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte, "ein bitterer Tag für die Sozialdemokratie", wie Martin Schulz sagte. "Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist." Trotz des Ergebnisses betonte Schulz, Parteichef bleiben zu wollen. Er sehe sich "in der Verpflichtung".

Malu Dreyer, SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sagte: "Wir stehen voll und ganz hinter Martin Schulz."

CDU und CSU erhielten 33 Prozent der Stimmen - mehr als acht Prozentpunkte weniger als vor vier Jahren. Es ist das schlechteste Ergebnis für die Union seit 1949. CDU-Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel gab sich gefasst. Sie habe sich zwar ein besseres Ergebnis erhofft, sagte Merkel, aber die Union habe ihr strategisches Ziel erreicht: "Wir haben den Auftrag, eine Regierung zu bilden." Den Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag nannte sie eine "große, neue Aufgabe" und betonte: "Wir wollen die Wähler der AfD durch gute Politik zurückgewinnen." In der Berliner Runde wandte sich die Kanzlerin direkt an SPD-Chef Schulz. "Wir leben in stürmischen Zeiten", sagte sie. "Deshalb appelliere ich an alle, ihre Verantwortung wahrzunehmen." Schulz antwortete, bezogen auf die Regierung werde die SPD das bis zum Ende der Legislaturperiode tun - "keinen Tag mehr".

Der FDP gelang wieder der Einzug in den Bundestag, sie bekam 10,7 Prozent der Stimmen. 2013 waren die Liberalen erstmals seit ihrer Gründung mit 4,8 Prozent nicht in den Bundestag gekommen. Die Linke (9,2 Prozent) und die Grünen (8,9 Prozent) lagen etwa gleichauf. Im Vergleich zu 2013 konnten sie sich nur leicht steigern. Besonders für die Grünen ist dies dennoch eine Erleichterung: "Wer hätte das gedacht?", bemerkte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Im Verlauf des Wahlkampfs waren die Grünen am Rande der Fünf-Prozent-Hürde gesehen worden.

Erstmals seit den 1950er-Jahren sind damit im Bundestag sieben Parteien in sechs Fraktionen vertreten. Alle Parteien haben ausgeschlossen, mit der AfD zu koalieren. Da auch die SPD klar in die Opposition gehen will, bleibt Angela Merkel nur, ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen zu schmieden. Die Bundeskanzlerin sagte, sie gehe von schwierigen Koalitionsverhandlungen aus, hoffe aber, bis Weihnachten eine stabile Regierung präsentieren zu können.

Auf Bundesebene gab es eine Jamaika-Koalition bislang nicht; im Saarland platzte ein solches Bündnis 2012, in Schleswig-Holstein hingegen regiert es seit Juni weitgehend reibungslos.

"Ich habe Erfahrung mit Jamaika", sagte der stellvertretende Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, der in Schleswig-Holstein die Fraktion der Liberalen anführt. "Ob das übertragbar ist, müssen wir erst noch sehen." Parteichef Christian Lindner, der voraussichtlich als Fraktionschef nach Berlin gehen wird, mahnte, "den Ball erst einmal flach zu halten". Er sehe einige Gemeinsamkeiten sowohl mit der Union als auch mit den Grünen. Gleichzeitig gebe es aber auch viele Differenzen, zum Beispiel in der Asylpolitik oder etwa zu der Vorstellung der Grünen, die Produktion von Verbrennungsmotoren beenden zu wollen. Sollten die Forderungen der FDP aber erfüllt werden, stehe seine Partei "selbstverständlich" für eine Koalition zur Verfügung.

Durch ihr gutes Ergebnis könnten die Grünen gestärkt in die Verhandlungen um ein Jamaika-Bündnis gehen. Dennoch zeigten auch sie sich verhalten. "Wir müssen sehen, ob wir zusammenkommen", kommentierte Parteichef Cem Özdemir eine mögliche Jamaika-Koalition. "Sonst gehen wir in die Opposition." Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann gab sich pragmatisch: "Irgendjemand muss das Land ja regieren. So gehen wir in die Gespräche. Wir werden ernsthaft und konstruktiv verhandeln."

Insgesamt 61,5 Millionen Menschen waren an diesem Sonntag zur Wahl aufgerufen. Schon am frühen Nachmittag zeichnete sich vor allem in den Großstädten eine rege Teilnahme ab. 2013 lag die Wahlbeteiligung bei 71,5 Prozent, diesmal wird mit knapp 77 Prozent gerechnet. Zahlreiche Spitzenpolitiker hatten öffentlich die Wichtigkeit der Wahl betont, noch am Sonntag hatte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Bevölkerung gewandt: "Wer nicht wählt, lässt nur andere über die Zukunft unseres Landes entscheiden."

Der teilweise als langweilig bezeichnete Wahlkampf war zum einen von rohen Aussagen seitens der AfD geprägt. So hatte Spitzenkandidat Alexander Gauland gesagt, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), könne in Anatolien "entsorgt" werden. Andererseits wurde vielfach kritisiert, dass kaum ernsthaft über die Probleme der Wähler debattiert wurde.

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