Bundestagswahl:Große kleiner, Kleine größer

Abwahl mit Pauken und Trompeten: Statt einer großen Koalition wollen die Wähler Schwarz-Gelb. Die SPD erlebt eine Katastrophe. Acht erste Erklärungen.

Hans-Jürgen Jakobs

Erstens: Goodbye, große Koalition

Die Wähler haben genug vom großkoalitionären Bewältigungs-Management, von der Einigung auf den kleinsten politischen Nenner. Die Profile von Union und SPD litten unter den Kompromisskünsten. Dass sich die Spitzenkandidaten Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier nicht einmal in einer TV-Runde den Vertretern der Opposition stellten, ist symptomatisch für die Immunisierung dieser Allianz gegenüber unangenehmen Entwicklungen. Das Berliner Gemauschel galt zusehends als Auslaufmodell.

Zweitens: Große klein, Kleine groß

Die Profiteure der Unlust an der großen Koalition waren die Oppositionsparteien, allen vorweg die FDP des Guido Westerwelle. Auch wenn seine Steuerversprechungen kaum zu halten sind, so erweckt er doch den Eindruck, Reformen im Sinne der Bürger durchsetzen zu können. Geschickt hat er sich und seine Partei als Garanten der Bürgerrechte ins Spiel gebracht, auch was die Freiheit im Internet angeht. Der SPD-Niedergang half vor allem der Linken. Kandidat Frank-Walter Steinmeier vermochte nicht zu mobilisieren. Er dürfte es schwer haben, sich zu halten. Die Erosion der sozialdemokratischen Stammklientel hält an.

Drittens: Ohnmacht der Demoskopie

Viele der Wähler waren bis zum Schluss unentschlossen. Ihr Anteil liegt bei 25 bis 40 Prozent der Wahlberechtigten. Insbesondere den großen Erfolg der Linken und das wahre Ausmaß der sozialdemokratischen Katastrophe hat keiner so recht vorausgesehen.

Viertens: Parteien ohne Faszination

Die geringe Wahlbeteiligung von 72 Prozent (2005: 77 Prozent) deutet darauf hin, dass die Bürger zwar an Politik interessiert sind - weniger aber an den etablierten Parteien. So ist auch zu erklären, dass die Piratenpartei zum Schluss des Wahlkampfs Aufmerksamkeit bekam. Die vielen Nichtstimmen sind auch eine Art Misstrauensvotum gegen die Politik.

Fünftens: Merkel "entsozialdemokratisiert"

Auf viele wirkte Angela Merkel in den vergangenen Jahren wie eine pragmatische Sozialdemokratin. Das bekümmerte die wertkonservativen Hardliner in der Union. Da aber Merkel ein eisiges Machtsystem aufgebaut hatte, verbot sich offener Widerstand. Nun, da die Wähler die SPD-Komponente abgewählt haben, verändert sich das Klima. Der Wirtschaftsflügel und die Gutkatholischen der Union werden genauso Druck machen wie die neuen Superstars der FDP. Dazwischen muss Angela Merkel aufpassen, noch souveräne Leitfigur bleiben zu können.

Sechstens: Stabile Welt der Grünen

Egal, was passiert: Offenbar schöpfen die Grünen aus einem sehr stabilen Reservoir. Mag sein, dass ihnen erst einmal die Machtoption genommen ist - doch langfristig sichert diese Gefolgschaft Einfluss.

Siebtens: Der Vorteil der Klarheit

Im Jahr 2005 haben vermutlich die Wenigsten eine große Koalition gewollt. Sie war die Restgröße eines Wahlprozesses, der die Union nachhaltig geschreckt hatte. FDP-Chef Westerwelle mag sich mit seiner Festlegung auf Schwarz-Gelb bestätigt fühlen: Wer das wollte, wählte ihn. Schwarz-Rot, die einzige weitere realistische Option, war nur wenigen wichtig. Und das so genannte linke Lager existierte nur in den Propaganda-Werken von Union und FDP.

Achtens: Löwe ohne Brüllen

Kein Tag ohne Neuigkeiten von Horst Seehofer. Der CSU-Chef war in den vergangenen Wochen der Umtriebigste unter den Politikern und schien sich zunächst gegen die FDP und dann gegen die Kanzlerin zu positionieren. Gelohnt hat sich das nicht. In Bayern, und nur dort tritt die CSU an, erreichte sie ein miserables Ergebnis von nur 41 Prozent. Das ist weit weg von dem Landtagswahlergebnis. Auch der Shootingstar Karl-Theodor zu Guttenberg konnte daran nichts ändern.

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