Bundestagswahl:Die TV-Debatte als Wahlhölle

Alice Weidel sei unsympathisch, Christian Lindner eitel, Katrin Göring-Eckardt langweilig: Sat1 diskutiert Politik entlang persönlicher Angriffe und erleichtert keine Wahlentscheidungen.

TV-Kritik von Hannah Beitzer

Getroffen bis ins Mark. So lässt sich der Blick von Alice Weidel deuten, den die Kamera in Großaufnahme einfängt. Gerade hat ihr Sat-1-Moderator Claus Strunz eröffnet, dass 88 Prozent der Deutschen einer Umfrage des Senders zufolge die AfD-Spitzenkandidatin nicht als Nachbarin haben wollen. "Sie wissen, warum wir sie das fragen", sagt Strunz und grinst. Klar, weil ihr Co-Kandidat Alexander Gauland das mal über den Fußballnationalspieler Jérôme Boateng gesagt hat.

Woran liegt es also, Alice Weidel, dass Sie deutlich unbeliebter zu sein scheinen als ein Fußballer mit Migrationshintergrund? "Das könnte daran liegen, dass man mich gar nicht so richtig kennt", sagt sie leise, und dass sie da wohl an sich arbeiten müsse. Und erst möchte man rufen: Oh, diese Ironie! Aus Fremden werden Freunde, das sind doch eigentlich die Grünen, haha. Wenn nicht das ganze Format, in dem Weidel so sichtbar leidet, sich so grundfalsch anfühlen würde.

Vorher schon hatten Menschen auf der Straße ein Foto der Kandidatin mit den Worten "unsympathisch", "nicht so der fröhlichste Mensch", "Die sieht nach deutscher Küche aus" und sogar: "Schweinebraten" kommentiert. Es ist Mittwochabend auf Sat1 und eigentlich soll Alice Weidel live mit Christian Lindner (FDP), Katja Kipping (Linke) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) über Themen diskutieren, die die Bürger bewegen. Doch schnell verfestigt sich der Eindruck: Es geht hier weniger um die Themen der Bürger als mehr darum, die Politiker möglichst schlecht dastehen zu lassen.

Tinder-Witzchen über Lindner - der eigentlich lieber über Inhalte reden möchte

Ähnlich persönlich wie Weidel wird FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner attackiert. 71 Prozent der Deutschen sagen der Sat-1-Befragung zufolge: Der ist eitel. Mit den eher harmlosen Witzchen über die FDP-Kampagne, die in den letzten Wochen das Internet fluteten, hat das wenig zu tun. Moderator Strunz reitet minutenlang auf dem Aussehen und Auftreten des FDP-Kandidaten herum. "Herr Lindner, was glauben Sie: Wollen wir eitle Menschen in der Politik?", fragt er. Die Redaktion ist sich selbst für ein paar Kalauer nicht zu schade, in denen Lindner und die Dating-App Tinder vorkommen.

Vergeblich versucht Lindner, die Attacken auf den politischen Gegner umzulenken. Immerhin sage er nicht, das Deutschland einfach das Land bleiben solle "in dem wir gut und gerne leben", in Anspielung auf die Kampagne der CDU - weil er dem Land mehr zutraue.

Und immerhin mache er nur Stimmung mit einer frechen Social-Media-Kampagne, nicht damit, "Menschen zu entsorgen" - in Anspielung auf den AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland, der das über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz gesagt hat. Und man solle doch jetzt bitte, bitte über Themen reden. Doch gegen Strunz hat er keine Chance.

Normalerweise, das kann sich Katja Kipping von der Linken nicht verkneifen zu sagen, werde ja nur über das Aussehen von Politikerinnen so intensiv diskutiert wie über das von Herrn Lindner. Aber so eine richtig geile Version von Gleichberechtigung sei es ja nicht, wenn Männer jetzt im Fernsehen genauso oberflächlich und schmierig behandelt werden wie Frauen.

Bei der Diskussion der Themen geht alles durcheinander

Was also soll das? Das Ziel ist wohl, die Kandidaten aus der Reserve zu locken. Frech soll es sein, anders, aufregend. Fragt sich nur: wofür? Denn der Teil der Sendung, in dem es um Inhalte gehen soll, ist so vollgestopft und hektisch, dass man kaum mehr erfährt als die Grundzüge des jeweiligen Parteiprogramms. Zehn Themengebiete hat die Redaktion in Befragungen von Bürgern herausgearbeitet, gefühlt die Hälfte der Zeit geht es irgendwie um das Thema "Ausländer", nur unter unterschiedlichen Schlagwörtern: Flüchtlinge, Abschiebungen, Terrorismus, Zuwanderung.

"Da geht ja alles durcheinander", ruft Christian Lindner irgendwann und er hat recht: Der Familiennachzug bei Flüchtlingen und ein Punktesystem für die Einwanderung von Arbeitskräften à la Kanada werden in einem Atemzug diskutiert, am Schluss dürfte der Wähler verwirrter sein als vorher.

Grundsätzlich sind die Positionen in diesem Punkt aber ohnehin klar. Kurz zusammengefasst: Die AfD ist gegen Flüchtlinge, für Abschiebungen, bei Grünen und Linken ist es umgekehrt und Christian Lindner präsentiert die FDP als Stimme des Verstandes. Alle wollen, dass potenzielle qualifizierte Arbeitskräfte ins Land kommen, zum Beispiel für Jobs in der Pflege, die ja bekanntlich bei den Einheimischen nicht so beliebt sind.

Außerdem wollen alle mehr Geld für die Polizei ausgeben, sei es für Personal, Lohn oder Ausstattung. Und den Mindestlohn will nicht mal mehr Christian Lindner antasten: "Niemand wird den Mindestlohn abschaffen! Deswegen ist die Debatte darüber, ob er gut oder schlecht ist, müßig."

Die größten Unterschiede tun sich beim Thema Kranken- und Rentenversicherung auf. Grüne und Linke treten hier dafür ein, dass alle Menschen, auch Selbstständige und ja, sogar Politiker, in dasselbe System einzahlen. Christian Lindner plädiert für die private Vorsorge. Ein hochspannendes und wichtiges Thema - nur leider bleibt viel zu wenig Zeit, es zu vertiefen.

Speed-Dating mit betroffenen Bürgern

Teilweise ist die Show in Speed-Dating-Form gehalten, 30 Sekunden haben die Kandidaten Zeit, diejenigen Bürger zu überzeugen, die die jeweiligen Themen präsentieren. Darunter ein unterbezahlter Paketbote, ein Polizist, eine Krankenschwester und eine Frau, die einen Terroranschlag miterlebt hat.

Schade ist auch, dass bei so viel Hektik wenig Zeit für Diskussionen unter den Kandidaten bleibt. Denn eigentlich können gerade die kleinen Parteien im Gespräch miteinander spannend sein. Weil sie eben bestimmte Themen, eine bestimmte Klientel ansprechen und sich dadurch in vielen Fragen mehr voneinander unterscheiden als die Volksparteien.

Das deutet sich an, wenn Katrin Göring-Eckardt und Christian Lindner ansetzen, über die Riester-Rente zu diskutieren. Aber damit nicht sehr weit kommen, weil schon das nächste Thema dran ist. Das zeigt sich auch, als das Thema Minijobs und Leiharbeit aufkommt. Christian Lindner verteidigt sie als Einstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt. Katja Kipping hingegen hat eine eindeutige Meinung dazu: "Arbeitsverträge sind keine Quickies."

Die Sendung verstärkt das Gefühl, das viele Leute schon haben: Ist doch alles Mist

Am Schluss bleibt eigentlich nur die Frage: Wie zur Hölle geht so ein Format mit jemandem wie Kanzlerin Angela Merkel zusammen? Die ist nämlich auch bald dran, gemeinsam mit ihrem Herausforderer Martin Schulz von der SPD. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gibt Katrin Göring-Eckardt, die wird von den Leuten auf der Straße mit Attributen wie "die langweiligste Kandidatin", "streng, aber lieb - wie eine Großmutter!" belegt. Da fehlt zur "Mutti" nicht mehr viel.

Wie Merkel kontert sie Angriffe trocken. 86 Prozent der Deutschen würden nicht mit ihr in den Urlaub fahren? "Ich verbringe meinen Urlaub eh gern alleine, mit Familie und Freunden." Außerdem würden sie die meisten nicht das Essen für ihre private Grillparty einkaufen lassen? "Das ist ein Fehler. Ich bin Thüringerin. Ich weiß, wo es die besten Würste gibt." Prompt wird sie auch noch von einer Frau auf der Straße mit Merkel verglichen. Und weiß nicht so recht, ob sie das gut finden soll. Bis Strunz ihr assistiert: Das könne ja auch auf die Ausstrahlung von Macht hindeuten. "Ach, dann ist das ok", sagt sie.

Das Fazit: Alice Weidel ist unsympathisch, Christian Lindner eitel, Katrin Göring-Eckardt langweilig. Wer so über Politik diskutiert, verstärkt ein Gefühl, das ohnehin viele Leute haben: Ist doch alles Mist. Ein Glück, dass sich die Wahl nicht um Mitternacht bei Sat1 entscheidet.

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