Bundestagswahl:Der verflixte Sommer der Grünen

Klausurtagung des Grünen-Bundesvorstands

Die grünen Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt geben sich fröhlich.

(Foto: dpa)
  • Seit Monaten schwächeln die Umfragewerte der Grünen: Je nach Institut zwischen sechs und neun Prozent.
  • Bei keiner anderen Partei ist die Zahl derer so groß, die sich eigentlich schon für die Partei entschieden hatten, jetzt aber wieder zweifeln: 37 Prozent.
  • Die Doppelspitze Özdemir und Göring-Eckardt gibt sich fröhlich - aber schafft es nicht, sich zu profilieren.

Von Stefan Braun, Berlin

Ein Rad, das ins Laufen kommt, das endlich nach Schwung aussieht, nach Elan und Aufbruch. An das dürften die Wahlkämpfer der Grünen gedacht haben, als sie beschlossen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir an diesem Morgen neben ein mächtiges Traktorrad zu stellen. Auf seiner Felge steht: "Die Zukunft der Mobilität ins Rollen bringen." Als die beiden es dann anstoßen, müssen sie freilich aufpassen, dass das Ding nicht macht, was es auf keinen Fall tun darf: ihnen vor laufender Kamera auf die Füße fallen. Also rollen sie es am Ende ziemlich vorsichtig durch die Gegend.

Er ist ein verflixter Sommer, dieser Sommer 2017. Jedenfalls für die Grünen. Er ist wie ein aalglatter Fisch, den sie nicht recht zu fassen bekommen. Seit Monaten gibt es keinen Weg raus aus dem Tal schwacher Umfragen. Je nach Institut liegen sie wie eingemauert zwischen sechs und neun Prozent; Tendenz eher fallend. Das Politbarometer hat vergangene Woche gar herausgefunden, dass bei keiner anderen Partei die Zahl derer so groß ist, die sich eigentlich entschieden hatten, aber wieder zweifeln. 37 Prozent sind es bei den Grünen - ein gefährlicher Wert, wenn man bedenkt, dass sie es bislang nicht schaffen, auch nur eine Debatte entscheidend zu prägen.

Der Sommer wäre wie gemacht für grüne Politik

Und das ausgerechnet in einem Sommer, der beherrscht wird von Diskussionen über die Zukunft des Verbrennungsmotors; einem Sommer, in dem ein Eierskandal halb Europa aufregt; einem Sommer, in dem die Antarktis den größten Eisbergabbruch der Geschichte erlebt hat. Natürlich haben die Grünen dazu eine Meinung und eine Menge zu sagen. Özdemir erklärt auch an diesem Tag wieder, nur mit den Grünen werde es "einen Einstieg in den Ausstieg der Verbrenner" geben. Und Göring-Eckardt ergänzt, an diesem Beispiel zeige sich, dass es einen Unterschied mache, ob die FDP oder die Grünen regieren. "Entweder steht Klimaschutz und Gesundheitsschutz vorn, oder es steht eben Lobbyismus und Battle für die Wirtschaft vorn."

Doch so entschlossen das Duo in dem Moment klingen möchte, so sehr kämpfen beide mit dem Problem, dass davon bis jetzt wenig hängen bleibt bei den Leuten. Das gilt vor allem für jene, die sie für einen echten Erfolg unbedingt bräuchten. Jene nämlich, die "zwar grün denken, aber noch nicht grün gewählt haben", wie Özdemir die Zielgruppe gerne umschreibt, werden nach allem, was man den Umfragen entnehmen kann, bislang nicht geweckt, nicht angestoßen, nicht animiert, den Grünen ihre Stimme zu geben. "Wir greifen nicht aus, wir locken die nicht an", klagt eine grüne Wahlkämpferin aus dem Süden.

Angst vor dem "Verbotspartei"-Label und der Koalitionsaussage

Woran das liegt? Zuallererst an einer Angst, der Angst, wie 2013 zu viel zu provozieren und noch einmal als Verbotspartei diffamiert zu werden. Obwohl mancher interne Berater für mehr Schärfe in der Kampagne plädiert hat, haben sich bislang die beiden Spitzenkandidaten durchgesetzt mit der strategischen Vorgabe: keine negativen Signale, keine schlechten Nachrichten. Heraus kamen Wahlplakate, die keinen provozieren. "Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts" steht da drauf. Oder: "Zukunft kann man wollen. Oder machen." Nur: Welche Botschaft ist das? Dass Umwelt wichtig ist? Und Zukunft auch? Reicht das zur Mobilisierung? Bislang sieht es nicht danach aus.

Damit verbunden ist das zweite Problem: Die doppelte Leerstelle. Von Anfang an haben es Göring-Eckardt und Özdemir abgelehnt, eine Koalitionsaussage zu machen. Sie wollten offen bleiben, und sie wollten, dass die Leute über grüne Inhalte reden. Das muss nicht falsch sein, aber es kann nur funktionieren, wenn eine Partei und ein Spitzenduo inhaltlich umso mehr präsent sind. Genau das will ihnen nicht gelingen, auch wenn sich die beiden natürlich zu allem und jedem äußern, immer wieder Presseerklärungen verschicken und Sätze via Twitter und Facebook unter die Leute bringen. Solange es keine plakative Kampagne gibt, nehmen nur die Immertreuen wahr, dass die Grünen natürlich gegen Massentierhaltung, gegen Feinstaub und für das Klima kämpfen.

Geben Kretschmann und Palmer oder Özdemir und Göring-Eckardt den Ton an?

Und dann sind da Winfried Kretschmann und Boris Palmer. Beide sind prominent, und beide sind für die Wahlkämpfer schwer erträglich. Während Kretschmann jedes scharfe Wort in Sachen Dieselskandal vermeidet, füttert Palmer mit seinem Grünen-kritischen Buch über die Flüchtlingskrise all jene, die den Kurs der Partei schon immer für falsch halten. Die Folge: Loyale Anhänger erklären den Wahlkämpfern mittlerweile, dass sie nicht mehr wissen, ob nun die Parteispitze oder Kretschmann und Palmer den Kurs vorgeben. "Die beiden erwecken den Eindruck, als wollten sie nur beweisen, dass die Berliner sowieso für alles zu blöd sind", klagt eine Grünen-Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen.

Immer häufiger bekommen die Wahlkämpfer zu hören, dass man sie ja schon wählen würde, aber Kretschmann und Palmer würden zeigen, was passiert, wenn Grüne regierten. Harte Kritik ist das, und schwer zu schlucken für diejenigen, die derzeit um Stimmen kämpfen.

Lässt sich das lösen? Es könnte schwer werden. Aber die beiden kämpfen. Und verweisen darauf, dass die heiße Phase des Wahlkampfs jetzt erst beginne. "Wir werden wirklich bis zum letzten Tag kämpfen", sagt Göring-Eckardt. "Das müssen wir leisten."

Dazu zählt nicht nur der Ruf nach einer wirksamen Diesel-Auto-Hardware gegen Stickoxide und Feinstaub; hinzukommt seit neuestem das Versprechen auf ein Milliardenprogramm für mehr Pflegekräfte. Und es kommt, schleichend aber erkennbar, eine harte Kampflinie, nach dem Motto: Liebe Wähler, wollt Ihr Schwarz-Gelb oder wollt Ihr Schwarz-Grün - das ist die Richtungsentscheidung am 24. September. Auf diese Konfrontation, so ist zu hören, warten viele Wahlkämpfer der Grünen seit langem.

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