Bundestagswahl:Cem Özdemir: "Wir wollen das beste Ergebnis unserer Geschichte holen"

Cem Özdemir

Der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir

(Foto: dpa)

Die Umfragen sehen nicht gut aus für die Grünen. Spitzenkandidat Cem Özdemir will deshalb aufzeigen, worum es wirklich geht.

Interview von Stefan Braun

SZ: Vor sechs Monaten zwölf Prozent, heute sieben bis acht: Warum sind die Grünen zurzeit so gar nicht en vogue?

Cem Özdemir: Wenn die Umfragen schlecht sind, muss man kämpfen. Unser Ziel bleibt: Wir wollen das beste Ergebnis unserer Geschichte holen. Also mehr bekommen als die 10,7 Prozent, die wir 2009 erreicht haben. Jetzt liegt es an uns, auch diejenigen zu gewinnen, die noch nie grün gewählt haben, es sich aber vorstellen können. Und wenn diese Leute nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen.

Was soll das heißen?

Das heißt durchs Land zu fahren, an Haustüren zu klingeln, zu Gesprächen einladen, auf Plätzen sein, mit den Menschen reden. Deutschlandreise, auch in Unternehmen. Zuhören und erklären, was wir für die Menschen tun wollen.

Das beantwortet nicht die Frage, warum es so mau aussieht für die Grünen.

Auch wenn uns der aktuelle Zwischenstand nicht gefallen kann - es ist doch spannend, wenn jetzt einiges wieder in Bewegung ist. Bis zum Herbst kann noch viel passieren. Im Übrigen gibt es erste kleine Frühlingszeichen, auch in den Umfragen. Es wird in diesem Wahlkampf noch eine deutliche Zuspitzung und mehr Kampflust geben. Dazu kann ich allerdings eines versprechen: An der Schlammschlacht anderer werden wir uns nicht beteiligen.

Schlammschlacht?

Nehmen Sie die aktuellen Attacken zwischen SPD und Union. Die CSU spricht schon von den Schulz-Fakes und will diese angeblich aufdecken. Absurd. Das ist kein guter Start und genau der Kern dessen, warum viele keine Hoffnung mehr in die Politik setzen. Wir schimpfen zu Recht über Donald Trumps Wahlkampf. Aber glaubwürdig ist nur, wer nicht mit dem gleichen Mist anfängt.

Union gegen SPD, Merkel gegen Schulz - auf diese Zuspitzung läuft derzeit alles hinaus. Und die Grünen verschwinden zwischen den Elefanten.

Wenn sich vieles auf den Kampf ums Kanzleramt fokussiert, wird es für die kleineren Parteien schwerer. Das heißt, dass wir kreativer, mutiger, vielleicht auch mal lauter werden müssen, ohne dabei schrill zu klingen. Unser Vorteil ist, dass es nicht mehr viele Fans einer großen Koalition gibt, weil die an vielen Stellen Stillstand bedeutet. Egal, ob unter Merkel oder Schulz. Bei allem Charme von Schulz: der Mann braucht dringend mehr Grün. Sonst kommt mit ihm das Gleiche in Rot, was bislang Schwarz war.

Immer zentraler wird aber die Frage, ob Merkel bleibt oder gehen muss. Können Sie wirklich die gleiche Distanz zu Merkel und Schulz halten?

Wir müssen für unsere Ziele kämpfen. Martin Schulz hat zum Umwelt- und zum Klimaschutz bislang genauso wenig gesagt wie Angela Merkel. Gleichwohl haben wir nie erklärt, dass uns alle gleich lieb seien. Wir haben immer gesagt, dass uns, wenn wir die Programme nebeneinander legen, die SPD näher ist als die Union. Das steht außer Frage.

Auf der anderen Seite müssen alle demokratischen Parteien in der Lage sein, zusammenzuarbeiten. Heute weiß niemand, wie die Wahl ausgeht. Und ich bin strikt dagegen, so lange wählen zu lassen, bis uns das Ergebnis passt.

Die Lage ist für die Grünen so schwierig, weil Martin Schulz Lust auf das Neue weckt. Da wirken Sie und Ihre Co-Spitzenkandidatin ziemlich altbacken. Was können Sie dagegen tun?

Man kann es konkret machen: Robert Habeck ist ein riesiges Talent. Und er wäre sicher ein guter Spitzenkandidat gewesen. Aber wette mit Ihnen: Wenn er jetzt hier sitzen würde, dann würden Sie fragen: Wäre Özdemir nicht der bessere, weil er einer der bekanntesten Oppositionspolitiker ist?

Die Gründe liegen tiefer. Ich kann Bedenken und Unmut über die Umfragen verstehen, mir passen sie auch nicht. Daraus kann es nur eine Lehre geben: Wir müssen deutlich machen, was auf dem Spiel steht, und das geschlossen.

Was für die Grünen auf dem Spiel steht

Was steht auf dem Spiel? Die grüne Partei?

Nein, sicher nicht. Auf dem Spiel steht, ob unsere Umwelt, unser Klima, gesunde Lebensmittel und eine moderne Mobilität in der Politik den Stellenwert bekommen, den sie haben müssen, damit wir diese Welt heile und gesund und friedlich an unsere Kinder übergeben können. Das sind Schicksalsfragen, und ich bin sicher, sehr viele Menschen wissen das genau.

Um was geht es den Grünen?

Das alles entscheidende ist: Wie schaffen wir es, Deutschland so zu modernisieren, dass es stark und gesund bleibt. Wie also gelingt es, dass Ökonomie und Ökologie nicht nur kein Gegensatz sind, sondern in Kombination die Grundlage für den Erfolg werden.

Im Ringen um eine neue Mobilität, ein modernes System von Elektroautos, Zügen, Bussen darf nicht China entscheiden, ob Stuttgart, Ingolstadt, Wolfsburg das Detroit von Deutschland werden, also der verarmende Rustbelt eines Landes, das es verschlafen hat, seine wichtigste Industrie - die Autoindustrie - auf neue Antriebe und Techniken umzustellen.

E-Mobilität als Wahlkampfschlager?

Elektromobilität ist kein Randthema der Grünen. Sie ist für dieses Land eine Schicksalsfrage. Die Welt dreht sich, sie dreht sich zum Beispiel in China dramatisch. Einem Land, das Autos liebt und viele Autos kauft, aber an der schlechten Luft fast erstickt. Deshalb treiben dort Bürgermeister von Millionenstädten den Kauf von Elektroautos voran, die wir nicht liefern können.

Wir müssen also schneller sein, uns darauf vorbereiten. Doch die Bundesregierung tut so als ob wir den jetzigen Zustand konservieren könnten. Beliebig lange. Weil es halt grad so schön ist. Wir haben aber keine Zeit. Niemand wartet auf uns. Der Konkurrenzkampf wird härter.

Also verbieten die Grünen mal wieder was und vergrätzen die Leute?

Im Gegenteil. Wer künftig noch mit Autos in die großen Städte fahren will, muss auf die Grünen und das E-Auto setzen. Es sind SPD, Union und FDP, die mit ihrer Sentimentalität und dem viel zu langen Festhalten am Verbrennungsmotor vieles in Gefahr bringen.

Fahrverbote sind genau das, was die Grünen verhindern wollen. Wir stellen die alte Frage, nur neu: Wie komme ich von A nach B, möglichst komfortabel, bezahlbar, schnell - und nachhaltig, also ohne uns dabei krank zu machen oder unsere Welt zu zerstören.

Haben die Grünen noch etwas anderes zu bieten?

Wir müssen bei der Digitalisierung ganz anders vorangehen. Das ist kein Seitenaspekt mehr. Es durchdringt unser ganzes Leben und macht vielen Menschen Angst. Industrie, Handwerk, Senioren, Schulen - alle müssen dafür ausgebildet werden. Wir brauchen ein Volksbildungsprogramm; wir können nicht mehr so tun, als kommt das von selber. Schulen, Volkshochschulen, Handwerkskammern, Betriebe, Unis - überall müssen wir die Menschen fit machen.

Wir Grüne schlagen vor, dafür die Telekom-Aktien des Bundes zu verkaufen und mit den Milliarden-Erlösen genau das zu tun, inklusive Breitbandausbau. Und damit das aus einer Hand organisiert wird, brauchen wir ein Digital-Ministerium. Derzeit kümmern sich zu viele Ressorts darum - und behindern sich gegenseitig. Das ist Steinzeit.

Cem Özdemir will die Grünen eben doch zur Wirtschaftspartei umbauen.

Alle Parteien müssen sich um die Wirtschaft kümmern. Schließlich geht es um unseren Wohlstand und um Arbeitsplätze. Wir haben aber die großen Schicksalsfragen im Blick. Umwelt, Klima, Autoindustrie, Digitalisierung.

Nehmen Sie Estland. Dort kann man studieren, was eine gute Digitalisierung bedeutet: einen gigantischen Service für die Menschen. Dort können die Bürger heute fast alles digital machen, das erleichtert ihr Leben gewaltig. Gerade auch für Menschen, die auf dem Land leben. Sofern sie es zu nutzen wissen und die Technik haben. Dafür müssen wir sorgen.

Beißt sich diese Schwärmerei nicht mit allem, was Grüne stets über den Datenschutz sagen?

Im Gegenteil: Es geht, wenn man es klug macht, zusammen. Und es ist keine kleine Spinnerei, sondern für viele existenziell, an der Stelle nicht abgehängt zu werden.

Abgehängt?

Viele Menschen haben Angst vor der großen Veränderung. Die Mitarbeiter in den Auto-Fabriken. Menschen, für die das Internet und die Digitalisierung noch immer bedrohlich wirkt. Oder unzugänglich. Und das sind nicht nur ältere. Man kann sich über Donald Trump wahnsinnig aufregen oder über ihn Witze machen. Eines lehrt er uns: dass wir es nicht mehr ignorieren dürfen, wenn Menschen sich von Entwicklungen überrollt oder abgehängt fühlen. Wir müssen das ernst nehmen.

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