Bundestag zu Sterbehilfe:Nächstenliebe oder Verbrechen?

Zum Sterben ins Hospiz - Mehrheit wünscht sich Sterbebegleitung

Mehr als zwei Drittel der Menschen in Deutschland sind nach einer aktuellen Umfrage für Sterbehilfe.

(Foto: dpa-tmn)

Wer todkrank ist, sollte den Hausarzt beauftragen dürfen, das Leiden zu verkürzen. Das finden sogar einige Mediziner. Nun entscheidet der Bundestag, und vom strikten Verbot bis zur Liberalisierung scheint alles möglich.

Von Matthias Drobinski und Nina von Hardenberg

Hans Küng ist dafür. Am 1. September soll ein Buch des 86 Jahre alten Schweizer Theologen erscheinen, der eigentlich keine Bücher mehr schreiben wollte: "Glücklich sterben?" heißt der Titel, und der Dissident der katholischen Kirche wird darin wiederholen, was er schon gesagt hat: Wenn er merkt, dass ihn der Verstand verlässt, wird er seinem Leben ein Ende setzen, mit Hilfe der Organisation Exit, deren Mitglied er ist. Gerade als Christ, der ans Jenseits glaubt, werde er das tun, hat er angekündigt.

Anne Schneider ist dafür, die Frau des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, die an Brustkrebs erkrankt ist. Sollte das Leiden unerträglich werden, werde sie zum Sterben in die Schweiz fahren, hat sie angekündigt. Ihr Mann Nikolaus ist gegen den assistierten Suizid, wie ihn Organisationen wie Exit und Dignitas in der Schweiz anbieten. Er hat aber öffentlich erklärt, seine Frau zu begleiten, sollte es so weit kommen.

Doch nun scheint es auf einmal völlig offen zu sein, wie sich die Abgeordneten positionieren

Die Bundesärztekammer ist dagegen. Ärzte "dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten", heißt es in ihrer Musterberufsordnung, die erst 2011 verschärft wurde. Namhafte Mediziner aber sind nun trotzdem dafür. Am Dienstag will eine Gruppe von Ärzten, Ethikern und Juristen einen eigenen Gesetzesentwurf vorstellen, der Medizinern die Hilfe beim Suizid explizit erlauben würde. Er dürfte einigen Wirbel verursachen, da zu den Verfassern auch Palliativmediziner gehören, darunter Gian Domenico Borasio, der lange an der LMU in München gelehrt hat, bevor er nach Lausanne wechselte.

Nicht die Ärzte und noch nicht einmal die Christen sind sich also einig, wenn es um die schwierige Frage geht, ob Ärzte oder Vereine schwerkranken Menschen helfen dürfen sollten, ihren Todeswunsch in die Tat umzusetzen. Wenn im September die parlamentarische Sommerpause endet, wollen die Abgeordneten des Bundestages genau diese Frage regeln. Es wird keine einfache Diskussion werden. Und die Antwort, die sie geben werden, wird auch die Weichen stellen, wie in Deutschland mit den Grenz- und Grauzonen am Anfang und am Ende des Lebens umgegangen werden wird.

Schon in der vergangenen Legislaturperiode hatten sie es nicht geschafft, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, zu unterschiedlich waren die Vorstellungen von Union und FDP. Als sich CDU/CSU und SPD dann zur großen Koalition zusammenschlossen, schien die Sache klar zu sein: In beiden Fraktionen, so sah es aus, würden die Befürworter eines strengen Verbots jeglicher organisierter Suizidhilfe die Mehrheit haben. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte einen entsprechenden Gesetzentwurf an.

Doch nun scheint es auf einmal völlig offen zu sein, wie sich die Abgeordneten im Herbst positionieren werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich zwar festgelegt - sie wünsche eine "sehr restriktive Regelung jedweder Sterbehilfe", sagte sie den Kieler Nachrichten. Doch bei der Abstimmung wird Merkel nur eine von 631 Abgeordneten sein - in ethischen Grenzfragen wie dieser besteht im Bundestag traditionell kein Fraktionszwang.

Und der Gröhe-Entwurf wird bei Weitem nicht der einzige sein, über den die Parlamentarier werden entscheiden müssen. Vom strikten Verbot bis zur Liberalisierung hält der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bis zu fünf verschiedene Anträge für möglich. Als echte Suizidhilfe-Befürworterin hat sich bislang nur Renate Künast geoutet. Sie plädiert für eine Regelung ähnlich wie in der Schweiz. "Gemeinnützige Sterbehilfevereine sollten auch in Deutschland erlaubt sein", sagt sie der Süddeutschen Zeitung. " Sie müssen allerdings an klare Regeln gebunden sein."

Das dürfte den meisten anderen Abgeordneten zu weit gehen. Die Sterbehilfe soll keine normale Dienstleistung aus den Gelben Seiten werden und schon gar kein erträgliches Geschäftsmodell, darin sind sich viele einig.

"Es kann keinen Zwang zu einem qualvollen Tod geben."

Was aber darf der Arzt? Auf diese Frage spitzt sich die Diskussion im Parlament derzeit zu. Darf er einem Patienten ein Gift geben, um sein Leid abzukürzen - und wenn ja, wem in welcher Situation? Vor allem Bundesgesundheitsminister Gröhe wirbt dafür, dass das Parlament hier ein klares Nein sagt. Dagegen aber regt sich Widerstand auch in den eigenen Reihen. Der CDU-Politiker Peter Hintze hält es in gewissen Situationen gar für ein Gebot der Nächstenliebe, die Beihilfe zum Suizid zu erlauben. "Wenn ein sterbenskranker Patient unter Schmerzen oder Ekel leidet, die auch die Palliativmedizin nicht lindern kann, dann muss der Arzt ihm helfen dürfen, wenn der Patient darum bittet", sagt Hintze. "Es kann keinen Zwang zu einem qualvollen Tod geben." Ähnlich sieht das auch Carola Reimann von der SPD. Beide Politiker wollen nicht nur ein strafrechtliches Verbot verhindern, sondern die Ärzte in ihrer Gewissensentscheidung stärken. Derzeit hätten Mediziner keine Rechtssicherheit, weil in den Landesärztekammern unterschiedliche Regelungen getroffen worden seien, so Reimann.

Tatsächlich verwirrt die Ärzte derzeit vor allem ihr eigenes Standesrecht. Denn das strikte Verbot aus der Musterberufsordnung haben nur zehn von 17 Landesärztekammern wortgetreu übernommen. Andere haben es abgeschwächt. Bayern und Baden-Württemberg wiederum haben es schlicht weggelassen. Was ein Arzt darf, hängt damit derzeit auch davon ab, wo er in Deutschland wohnt. "Die Situation ist chaotisch", sagt Urban Wiesing, Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin. "Kein Arzt weiß, was ihm im Einzelfall wirklich droht", sagt auch der Palliativmediziner Borasio. Beide fordern die Freigabe des ärztlich assistierten Suizids.

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hält strikt dagegen: Die reale Gefahr, belangt zu werden, sei für Mediziner gering. Das Tötungsverbot habe es schon immer in der Berufsordnung gegeben. "Und es hat in den letzten 40 Jahren keine Prozesse gegeben." Montgomery ist klar dagegen, dass Ärzte ihren Patienten beim Suizid helfen. "Wir sind Helfer zum Leben, nicht zum Tod", sagt er. Es ist ein schöner, klarer Satz. Nur einig sich die Mediziner darin eben nicht mehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: