Bundestag:Merkels Mutrede

Bundestag Meets As Migrants Influx Continues

Bundeskanzlerin Angela Merkel, bekannt dafür, gerne mittels SMS zu kommunizieren, während der Generaldebatte am Mittwoch.

(Foto: Adam Berry/Getty Images)

Die Flüchtlingsfrage dominiert die Generaldebatte. Bundeskanzlerin Merkel fordert, Deutschland müsse vorangehen. Gabriel trägt sein Statement am Revers.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Sigmar Gabriel gehört zu den Politikern mit der Gabe, andere anzustecken, weniger epidemiologisch als emotional. Am Mittwochmorgen aber hat er sich selbst etwas angesteckt, und zwar ans Revers. Dort prangt, als der Vizekanzler kurz vor neun den Plenarsaal des Reichstagsgebäudes betritt, weithin sichtbar ein Button mit der Aufschrift "Wir helfen".

Der Anstecker stammt von der Bild-Zeitung, er ist Teil einer Flüchtlings-Hilfsaktion, und Gabriel ist dem Blatt recht eng verbunden. Das liegt unter anderem daran, dass er bei Gerhard Schröder in die politische Lehre gegangen ist, der ja einst deklarierte, er brauche zum Regieren neben der Bild eigentlich nur noch deren sonntägliches Schwesterblatt sowie die "Glotze". Ein Anstecker oder ähnliche Verlags-Accessoires sind von Schröder trotzdem nicht erinnerlich, doch vermutlich geht es Gabriel auch eher darum, die Dringlichkeit zum Ausdruck zu bringen, mit der dieses Land sich um die vielen Flüchtlinge kümmern sollte. Am Tag der Generaldebatte, mithin dem Höhepunkt der Haushaltswoche im Bundestag, kann man das durchaus als programmatische Ansage verstehen. Doch in der Debatte kommt es dann etwas anders.

Rein formal geht es ja um den Etat der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramts, was aber traditionell dazu genutzt wird, über die Dinge zu reden, die eben gerade so anliegen. Als Erster darf Gregor Gysi diese Gelegenheit nutzen, wobei der scheidende Fraktionschef der Linken erst einmal erklärt, dass dies noch immer nicht seine letzte Rede als Vorsitzender sein werde, er also diejenigen enttäuschen müsse, die seinen Abschied sehnlich erwarteten. Es folgt der gewohnt weite Bogen von den Krisenherden der Welt über globale Ungerechtigkeit und den Freihandel bis zu Maut, Betreuungsgeld und CSU.

Den größten Raum allerdings nimmt ganz im Sinne Gabriels das Thema Flüchtlinge ein - wobei Gysi es hier sogar übers Herz bringt, die Kanzlerin für jene sechs Milliarden Euro zu loben, die es nach jetzigem Stand zusätzlich geben soll. Davon abgesehen aber ziele die Koalition mit ihren jüngsten Beschlüssen in die falsche Richtung: Wie könne man denn, fragt Gysi, Kosovo zu einem sicheren Herkunftsland erklären, wenn dort nach wie vor die Bundeswehr benötigt werde, um die Stabilität zu garantieren? Es sei falsch, bestimmte Asylsuchende schneller loswerden zu wollen.

Deutschland müsse vorangehen, sagt die Bundeskanzlerin

Es folgt die Kanzlerin - doch die denkt überhaupt nicht daran, schnell zu jenem Thema zu kommen, neben dem es derzeit kaum noch ein anderes zu geben scheint. Stattdessen zieht Angela Merkel erst mal in aller Ruhe Bilanz: Rekordbeschäftigung, niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in der EU, Exportrekorde. Es geht weiter mit der Breitbandversorgung im ländlichen Raum, der Energiewende, der Pflege alter Menschen. Das löst nach den vergangenen Wochen einen gewissen Aha-Affekt aus: stimmt, das gibt es ja alles auch noch! Vor allem aber bildet diese Betonung des Sachlich-Fachlichen einen angenehmen Kontrast zu jener überschießenden Emotionalität, die in den vergangenen Tagen das Land oder jedenfalls große Teile davon ergriffen hatte. Wenn man so will, ist Merkels Rede der Gegenentwurf zu Gabriels "Wir helfen"-Anstecker, und es dürfte letztlich Geschmackssache sein, ob man das nun langweilig findet oder einfach seriös.

Doch auch Merkel kommt dann selbstverständlich noch zum Thema dieses Jahres oder auch Jahrzehnts. Sie leitet es, bevor sie noch einen kurzen Ausblick auf die Weltlage einstreut, mit diesem Satz ein: "Es ist Privileg und es ist ein Glück, in guten demokratischen Verhältnissen zu leben und über einen Haushaltsentwurf wie diesen zu sprechen." Da klingt dann erstmals ein Motiv an, das später noch deutlicher ihr Fraktionschef Volker Kauder aufgreifen wird: dass die wirtschaftliche Lage dieses Landes, beruhend auch auf dem Klein-Klein der Tagespolitik, ja letztlich die Voraussetzung dafür ist, dass es nun so vielen anderen helfen kann. Am Ende steht der Appell, sich nicht davon beirren zu lassen, dass diverse Länder in Europa sich derzeit verweigern: Deutschland, sagt Merkel, habe schon häufiger allein dagestanden. Wenn es aber mutig sei und vorangehe, dann komme am Ende auch eine europäische Lösung heraus. Was in der Schuldenkrise noch wie eine Drohung klang, wirkt nun beinahe wie eine Verheißung.

Den Grünen ist all das offensichtlich nicht emotional genug, weswegen ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt einleitend betont, dass sie erstmals "uneingeschränkt stolz auf unser Land" sei, bevor sie die Kanzlerin tadelt: "Als ich Sie heute hier gehört habe, dachte ich, Sie sind schon wieder im Verwaltungsmodus." Es dürfe nun aber nicht darum gehen, zu verwalten und zu "merkeln". Dieses unter Heranwachsenden offenbar beliebte Verb bedeutet laut jugendwort.de so viel wie "nichts tun, keine Entscheidungen treffen, keine Äußerungen von sich geben". Göring-Eckardt verwendet es mehrfach, doch ihren stärksten Punkt macht sie, als sie der Bundesregierung vorwirft, die weltweiten Fluchtbewegungen viel zu lange ignoriert zu haben: "Sie hätten es sehen können."

Das wiederum will Thomas Oppermann nicht auf sich sitzen lassen. Der SPD-Fraktionschef moniert, Göring-Eckardts Kritik sei doch etwas "kleinteilig" ausgefallen. Dann widmet er sich den großen Linien, was allerdings auch bedeutet, dass von seiner Rede wenig Konkretes in Erinnerung bleibt. Doch dafür gibt es bei der SPD ja noch den Parteichef mit seinem Button am Revers.

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