Bundestag:Ein Tweet und seine Folgen

Mitten in die Parlamentsdebatte platzt die Nachricht, Seehofer habe die Union aufkündigt. Doch die Meldung ist Satire.

Von Bastian Brinkmann und Julian Dörr

Die irre Nachricht erreichte den Bundestag als Nachfrage von Beatrix von Storch. Die AfD-Politikerin meldete sich nach der Rede eines SPD-Manns zu Wort: "Die Bild meldet, dass Herr Seehofer die Fraktionsgemeinschaft aufgekündigt hat. Hat das irgendwelche Einflüsse auf das, was Sie gerade gesagt haben?" Kurz zuvor hatte die Zeitung auf viele Handys in Deutschland diesen Text geschickt: "Medienbericht: Seehofer kündigt Unionsbündnis mit CDU auf". Gelächter bricht im Bundestag aus, "Hey"-Rufe sind zu hören. Der SPD-Abgeordnete Helge Lindh antwortet: "Wir beschäftigen uns jetzt nicht mit dieser Meldung, sondern mit der Frage des Familiennachzugs." Das war eine sehr gute Antwort. Denn die Nachricht war falsch.

Viele Medien sind reingefallen auf einen Tweet von Moritz Hürtgen vom Satire-Magazin Titanic. Er hatte sein Twitter-Konto umbenannt zu "HR Tagesgeschehen", ein Logo des Hessischen Rundfunks als Profilbild hochgeladen und seit Donnerstagabend Nachrichten aus Hessen veröffentlicht. Dann postete er Freitagmittag: "Seehofer kündigt laut interner Bouffier-Mail Unionsbündnis mit CDU auf". Die Nachrichtenagentur Reuters brachte den Satire-Tweet als Eilmeldung. "Ich finde es beinahe besorgniserregend, dass das so einfach geht", sagt Hürtgen. Wahrscheinlich ließen sich viele Redaktionen davon blenden, dass Hürtgens getarntes Twitterkonto einen blauen Haken trägt, denn das heißt: Twitter hat den Inhaber des Kontos verifiziert, in diesem Fall als Moritz Hürtgen. Dass er sich in "HR Tagesgeschehen" umbenannt hat, war vielleicht nicht nett, aber doch erkennbar: Nicht geändert hatte Hürtgen jedoch die Abkürzung seines Accounts, die hieß weiterhin @hrtgn. Wer dem Satiriker auf Twitter folgt und daher dieses Kürzel kennt, oder es bei Google eingab, der sah sofort: Da steckt Titanic dahinter. Auch Börsenhändler haben Reuters abonniert, um schnell auf Nachrichten zu reagieren. Und das taten sie dann auch: Der Dax verlor nach der Falschmeldung fast ein halbes Prozent. Reuters will nun die internen Abläufe überprüfen.

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