Bundestag debattiert über Patientenverfügung:Wessen Wille zählt?

In der Bundestagsdebatte wurde eines klar: Jeder Mensch hat das Recht, über sich und sein Leben zu bestimmen. Die Frage ist nur: Wer bestimmt, was der eigene Wille ist?

Thorsten Denkler, Berlin

Wie schön muss es sein, einfach sterben zu dürfen. So wie Johannes Paul II. "Lasst mich zum Haus des Vaters gehen", sprach der greise Papst vom Sterbebett. Vier Stunden später lag er im Koma, weitere sechs Stunden später war er tot.

Sterbende in Hospitz

Sterbende in Hospitz

(Foto: Foto: dpa)

Auch den Papst hätte die Medizin vermutlich noch einige Wochen am Leben halten können. Er hat es anders gewollt, hatte sich noch rechtzeitig artikulieren können.

Was aber, wenn Johannes Paul vorher ins Koma gefallen wäre? In Deutschland sichern sich für diesen Fall Millionen Menschen mit einer Patientenverfügung ab. Sie wollen sich eine Abhängigkeit von Apparaten, Schläuchen und Magensonden ersparen. Ob ihr Wille auch tatsächlich geschieht, hängt jedoch oft von der Entscheidung eines Arztes ab.

Ob dies auch künftig so sein soll, darüber debattierte heute der Bundestag. Mehr als drei Stunden haben sich die Parlamentarier dafür Zeit genommen. Dabei gibt es noch nicht einmal einen ausformulierten Gesetzesentwurf. Dafür aber widerstreitende Ideen, wie so ein Gesetz aussehen könnte.

Michael Kauch von der FDP sagte, wenn es gegen den schriftlichen Patientenwillen zur Therapie kommt, dann käme das einer Zwangsbehandlung gleich. Und "Zwangsbehandlung ist Körperverletzung". Das Selbstbestimmungsrecht sei untrennbarer Bestandteil der Menschenwürde. Deshalb müsse ihr in jedem Fall Vorrang eingeräumt werden. "Es gibt ein Recht auf Leben, aber keine Pflicht zu leben".

Eine Position, die auch von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und Joachim Stünker, dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, geteilt wird. Beide haben einen Vorschlag erarbeitet, in dem lediglich die Frage geklärt wird, wie eine Patientenverfügung beschaffen sein muss, damit der Arzt an sie gebunden ist.

Das Beispiel von der älteren Dame

Dem gegenüber steht ein Entwurf, den der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach mit Abgeordneten von SPD und Grünen erarbeitet hat. Auch er stellt den Patientenwillen über alles - bezweifelt aber, dass die Patientenverfügung im Zweifel weiterhilft. Der schriftlich erklärte Wille, sagte Bosbach, muss nicht immer dem aktuellen Willen entsprechen.

Bosbach brachte in der Debatte das Beispiel einer älteren Dame, der vorübergehend eine Magensonde gelegt wurde. In ihrer Patientenverfügung hatte sie das untersagt. Die Verfügung wurde nicht gefunden, die Frau behandelt. Sie lebte noch zwei Jahre glücklich weiter.

Ministerin Zypries reichte das nicht: "Was machen Sie, wenn der erklärte Wille noch gilt? Wer entscheidet, ob der erklärte Wille noch aktuell ist?" Das könne nur ein Dritter machen. Damit aber werde der Patientenwille außer Kraft gesetzt. Bosbach antwortete, das Selbstbestimmungsrecht dürfe nicht über dem Schutz des Lebens stehen. Es müsse die Möglichkeit geben, "im Zweifel für das Leben" zu entscheiden.

Es ist genau diese Stelle, an der eine Einigung zwischen den Lagern schwierig werden dürfte. Für die einen zählt einzig der schriftlich erklärte Wille eines Patienten.

Wessen Wille zählt?

Dazu gehört auch Olaf Scholz, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Er hat wie Zypries und viele Millionen anderer eine Patientenverfügung unterschrieben. Und will nicht einsehen, warum "der Bundestag es besser wissen soll als ich".

Die andere Gruppe der Abgeordneten zog diesen Willen in Zweifel, weil auch Scholz nicht vorhersehen könne, wie er sich in einer schweren Krankheitssituation verhalten würde. Josef Winkler, Abgeordneter der Grünen, hat da ganz eigene Erfahrungen gesammelt. Vor seiner Zeit als Bundestagsabgeordneter hat er fünf Jahre als Krankenpfleger gearbeitet.

Der dritte Weg

Winkler sagte, er hätte viele Fälle erlebt, in denen die Patienten vor ihrer Erkrankung sicher sehr weit reichende Verfügungen unterschrieben hätten. "Sie würden es heute nicht mehr tun."

Bleibt noch der dritte Weg: nichts regeln. Das klingt nach Drückebergertum, hat aber durchaus Befürworter. Die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin etwa. Die SPD-Politikerin gab zu bedenken: Was in einer akuten Situation zähle, müsse immer der aktuelle Wille des Patienten sein. Die Patientenverfügung könne da nur einen Hinweis geben.

Auch ein Gesetz entbinde niemanden, in Gesprächen mit Angehörigen und Freunden, den in der Patientenverfügung erklärten Willen auf seine Aktualität zu überprüfen, sagte Däubler-Gmelin.

Und noch eine Gefahr sieht sie: Wenn die Patientenverfügung zum Maß aller Dinge werde, dann könnte sie zu einer billigen Lösung der Pflegemisere werden.

Die liebenden Menschen "bleiben ein Ziel"

Ein Hinweis, der von Irmingard Schewe-Gerigk gerne aufgenommen wurde. Zu den wichtigsten Gründen, eine Patientenverfügung zu unterschreiben, gehöre die Angst vor schlechter Pflege und einem qualvollen Tod.

Alle wünschten sich ein Sterben in Würde, ohne Schmerzen und in der Nähe von liebenden Menschen, sagte die Grünen-Abgeordnete. Für mehr Würde aber müsse die Behandlung verbessert werden, gegen die Schmerzen könne mehr Palliativmedizin und Sterbebegleitung helfen. Nur die liebenden Menschen "bleiben ein Ziel".

"Wenn das alles gegeben ist, dann brauchen wir über Patientenverfügungen weniger reden", pflichtet Wolfgang Zöller bei. Der CSU-Experte für Gesundheitsfragen hatte den Papst in die Debatte eingeführt. Der konnte in Frieden streben. Und das, wie Zöller anmerkte: "Ohne Patientenverfügung." Sterben kann so einfach sein.

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