Laufzeiten beschlossen:Schwarze Grüne und ein Nazi-Vergleich

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Abkehr vom Atomausstieg: Mit der schwarz-gelben Mehrheit beschließt der Bundestag die Verlängerung der Atomlaufzeiten - und ein FDP-Politiker löst einen Eklat aus.

Thorsten Denkler, Berlin

Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, ist einer jener Politiker, die die Bürgerlichkeit mit der Muttermilch aufgesogen haben müssen. Kerzengerade steht er im Bundestag am Rednerpult. Er spricht in der Geschäftsordnungsdebatte, in der die Grünen die Energiegesetze von der Tagesordnung streichen wollen. Die Stimme weich, der Blick freundlich. Nur was er sagt bei der Debatte am Donnerstagvormittag, das empört die Parlamentarier der Opposition zutiefst.

Ganz in Schwarz und mit einem gelben Kreuz auf der Brust: Die Bundestagsfraktion der Grünen protestierte auf ihre Art gegen das Vorgehen der Koalition - und fühlte sich durch Jörg van Essens Aussagen mit der nationalsozialistischen Fraktion verglichen. (Foto: dpa)

Die Grünen sind heute allesamt in schwarzer Kleidung im Bundestag erschienen, mit gelbem Kreuz am Revers, dem Anti-Atom-Symbol aus Gorleben. In ihre Richtung sagt van Essen: "Mich macht es nachdenklich: Es hat keinem Parlament in der Geschichte gutgetan, wenn eine Fraktion einheitlich gekleidet aufgetreten ist."

War das ein Vergleich mit der uniformierten Nazi-Truppe im Reichstag zu Weimarer Zeiten? Die Opposition sieht das so. Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, ist außer sich. Zu sueddeutsche.de sagt er nach der verlorenen Abstimmung über die Absetzung: "Diese Anspielung ist unter Demokraten an Unverschämtheit und an Stillosigkeit nicht zu überbieten." Der Anstand gebiete es, "dass Herr van Essen diese Verbalinjurie zurücknimmt und sich bei den Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen für die Entgleisung entschuldigt".

Sein Kollege Thomas Oppermann von der SPD sieht das ähnlich, auch wenn er das Auftreten der Grünen ganz in Schwarz ebenfalls nicht billigt: Der in van Essens Äußerung "angeregte Vergleich mit der nationalsozialistischen Fraktion im Reichstag ist völlig unangemessen", sagt er. Dennoch gelte im Parlament "das Argument, nicht die Aktion".

In Aktion trat die schwarz-gelbe Koalition denn auch am Nachmittag, als sie für die Laufzeitverlängerung stimmte und so 17 deutschen Reaktoren zwölf weitere Produktionsjahre gewährte.

Van Essen will von seinem Satz nichts zurücknehmen. Zu sueddeutsche.de sagte er: "Ich würde ihn jederzeit genauso wiederholen." Er habe da ganz viele Bilder im Kopf gehabt: "Vom chinesischen Volkskongress über die Sandinisten in Nicaragua und Schwarzhemden in Italien." Im Übrigen habe er "ganz bewusst nicht von Uniformierung gesprochen".

"Tiefpunkt der parlamentarischen Kultur"

Der Grüne Volker Beck will nach van Essens umstrittenen Satz noch Schlimmeres gehört haben. Im Gespräch mit sueddeutsche.de sagt er: "Ein Kollege aus der Union hat Herr van Essen so verstanden, wie man ihn auch verstehen musste, und 'Faschisten' in unsere Reihen hineingebrüllt. Dies ist ein Tiefpunkt der parlamentarischen Kultur."

Alexander Bonde, Haushaltspolitiker der Grünen will auch das Wort "Nazis" gehört haben. Namentlich konnten aber beide den Zwischenrufer nicht identifizieren. Ein Unionsabgeordneter aber macht per Twitter klar, das van Essen wohl nicht missverstanden werden konnte: "Haben die Grünen aus der Geschichte nicht gelernt?", fragt der Düsseldorfer CDU-Parlamentarier Thomas Jarzombek.

Zuvor hatte van Essen den Grünen noch "Stil und Anstand" abgesprochen, weil sie sich im Umweltausschuss benommen hätten wie im Kindergarten. Dort war es am Dienstag zu einem Eklat gekommen. Die Grünen hatten versucht, mit Geschäftsordnungs- und 21 Änderungsanträgen den Zeitplan der Koalition zu torpedieren. Die wollte die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke und die damit verbundenen Gesetze offenbar im Eiltempo durch den Bundestag jagen und zum Teil Geschäftsordnungsanträge der Grünen mit Koalitionsmehrheit gar nicht zur Beratung zulassen. Nach Ansicht der Opposition ein klarer Verstoß gegen parlamentarische Regeln.

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Unmittelbar vor der Abstimmung über längere Atomlaufzeiten haben Greenpeace-Aktivisten das Dach des CDU-Gebäudes in Berlin besetzt und ein zehn Meter langes Transparent mit "Geschmäckle" ausgerollt.

Entsprechend hitzig verlief die Geschäftsordnungsdebatte am Morgen, mit der die Grünen die Abstimmung über die Atomgesetze verhindern wollten. Volker Beck begründete den Antrag in der Debatte mit dem Beratungsverfahren im Umweltausschuss, das aus seiner Sicht "allen Regeln des Parlamentes Hohn" spreche. Wie die Koalition dort agiert habe, das "war ein Putsch gegen die Rechte der Opposition. Das war ein Putsch gegen die Verfassung".

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Grünen-Fraktionschef Trittin bekräftigte die Kritik an der Union. Im Umweltausschuss habe sie tags zuvor wichtige Anträge und Fragen zum neuen Atomgesetz einfach abgebügelt, sagte Trittin. Es könne nicht sein, dass die Entscheidung durch den Bundestag gepeitscht werde. Zudem sei die Vorsitzende im Umweltausschuss, Eva Bulling-Schröter (Linke), so von "einer Rüpelbande der Union" gemobbt worden, "dass sie unter Tränen den Saal verlassen musste", kritisierte Trittin.

Der einzige Sachverständige, der im Ausschuss zu hören gewesen sei, bemängelte Beck, sei der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz gewesen, ein CDU-Mann. Über dessen Rechtsgutachten zur Frage, ob der Bundesrat der geplanten Laufzeitverlängerung zustimmen müsse, hat die Welt geschrieben, es sei vom Energie- und Atomkonzern Eon bezahlt worden. Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit. Im Gegensatz zu vielen anderen Staatsrechtlern kommt Scholz zu dem Schluss, dass der Bundesrat nicht zustimmen müsse. "Pfui!"-Rufe werden laut, als Beck das erwähnt.

"Sie spalten die Gesellschaft"

Becks Gegenspieler von der Union, Peter Altmaier, wirft dagegen den Grünen vor, mit "Geschäftsordnungstricks" eine sachliche Debatte verhindert zu haben. Er kommt gegen die akustische Wand aus Zwischenrufen kaum an. "Sie haben es vorgezogen, Klamauk zu machen!", brüllt er. "Das mag angehen für eine grüne Basisversammlung in Dinslaken, aber nicht in diesem Hohen Hause."

Nun hat der Bundestag die Abkehr vom Atomausstieg beschlossen. Ob es aber tatsächlich zur Laufzeitverlängerung kommt, wird sich wohl in Karlsruhe entscheiden. Vertreter aller Oppositionsparteien haben angekündigt, dagegen in Karlsruhe klagen zu wollen. "Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Schlussdebatte. Er halte es für rechtswidrig, dass der Bundesrat bei der Verabschiedung des Energiekonzepts umgangen wird. Zudem eröffne Schwarz-Gelb soziale Großkonflikte neu, sagte der frühere Bundesumweltminister: "Sie spalten die Gesellschaft, wo sie schon einig war."

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) verkündete später in Düsseldorf, dass auch ihr Bundesland "mit Hochdruck" eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vorbereite. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit kündigte eine entsprechende Klage an. Die Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung der Länder sei nicht rechtens, betonte Wowereit, ein Rechtsstreit in Karlsruhe sei unausweichlich geworden.

Van Essens Nazi-Vergleich wird wohl ebenfalls noch ein Nachspiel haben. Volker Beck kündigte im Gespräch mit sueddeutsche.de an, das Thema im Ältestenrat des Bundestags anzusprechen. Dort wird dann auch wohl über Stil und Anstand in der politischen Debatte zu reden sein müssen.

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