Bundesregierung:Jeden kann es treffen

Egal, ob Anschlag oder Amoklauf: Taten wie in Nizza, Würzburg oder München beschädigen das Sicherheitsempfinden der Bürger. Kanzlerin Angela Merkel versucht, sich gegen das Gefühl permanenter Verunsicherung zu stellen.

Von Thorsten Denkler und Christoph Hickmann, Berlin

Als Angela Merkel am Samstagnachmittag im Foyer des Kanzleramts vor die blaue Wand mit dem Bundesadler tritt, wirken ihre Schritte schwerer als sonst. Am Tag zuvor erst hat sie ihren Urlaub angetreten, aber was heißt das schon in so einer Lage. Nun muss sie sich wieder zu einem Anschlag äußern, muss den Hinterbliebenen Trost spenden. "Wir alle trauern mit schweren Herzen um die, die nie mehr zu ihren Familien zurückkehren werden", sagt die Kanzlerin. Sie erwähnt Nizza und den Axt-Attentäter von Würzburg. Und sie sagt: "Immer sind es Orte, an denen jeder von uns hätte sein können."

Genau darum geht es: Jeden kann es treffen. Diese Gewissheit beginnt sich gerade zu etablieren, und zwar hier in Mitteleuropa. Jeden kann es treffen, genau diese Botschaft wollen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats mit ihren Mordtaten und denen ihrer frei agierenden Anhänger verbreiten. Und sie haben diese Botschaft bereits so erfolgreich auch in den Köpfen der Regierenden platziert, dass die meisten von ihnen mit dem gleichen Gedanken zur Krisensitzung nach Berlin geeilt sein dürften: Jetzt ist es auch hier passiert, kurz nach Würzburg - Islamisten, die sich durch eine Innenstadt schießen. Das Frankreich-Szenario, unter diesen Vorzeichen wird für Samstagmittag die Sitzung des Sicherheits-Kabinetts angesetzt, schließlich erinnern die im Laufe des Freitagabends verbreiteten Meldungen und Gerüchte über mehrere Täter, mit sogenannten Langwaffen ausgerüstet, unmittelbar an das, was etwa in Paris geschehen ist. Doch dann ist nach ersten Erkenntnissen alles doch ganz anders.

Nizza, Würzburg, München: Den Angehörigen dürfte egal sein, welches Motiv die Täter hatten

Nicht mit einer Terrorlage muss sich das Sicherheitskabinett beschäftigen, sondern mit den möglichen Motiven eines 18-Jährigen, der offenbar weder aus politischem noch aus religiösem Antrieb handelte. Für die Regierenden macht das in mehrerlei Hinsicht einen gewaltigen Unterschied. So entfällt zumindest für den Moment die Frage nach möglichen Unterstützern, einem Netzwerk, etwaigen weiteren Zielen. Vor allem aber ergibt sich aus dem Szenario von München keine weitere Debatte über die Flüchtlingspolitik, wie sie etwa nach dem Axt-Angriff von Würzburg begonnen hatte. Und dennoch ist die Stimmung in der Regierung am Wochenende von Erleichterung weit entfernt.

Erstens verbietet sich so etwas wie Erleichterung angesichts von neun Opfern, deren Hinterbliebenen es vollkommen gleichgültig sein dürfte, ob ihre Angehörigen von einem Terroristen oder einem Amokläufer umgebracht wurden. Zweitens geht man in der Regierung davon aus, dass es für das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ebenfalls ziemlich egal ist, wer die Schüsse von München abgegeben hat. Was hängen bleibt, ist ein Gefühl permanenter Unsicherheit, ausgelöst und verstärkt durch Anschläge wie in Frankreich und eben auch Würzburg. Dagegen mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen anzukommen, wonach der einzelne Bürger faktisch kaum etwas zu befürchten hat, wird mit jedem Ereignis schwerer.

Die Kanzlerin weiß, dass sie dagegenhalten muss, am Samstag verspricht sie: "Wir werden aufklären und alles daran setzen, die Sicherheit und Freiheit aller Menschen in Deutschland zu schützen." So weit das eben möglich ist.

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